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mich stirnrunzelnd an – auch das kann sie gut.

      „Was hatten wir über private Telefonate während der Arbeitszeit vereinbart?“, fragt sie mich mit vorwurfsvoller und gezierter Stimme. Schon allein diese Frage! Was hatten wir doch gleich vereinbart?

      So eine dumme Kuh. Sie könnte auch einfach sagen, dass ich nicht telefonieren soll, das ist nämlich die Vereinbarung. Oder vielmehr die Anordnung. Der Befehl.

      Ich senke scheinbar zerknirscht den Kopf und murmle: „Tut mir leid, kommt nicht wieder vor.“

      Agnes schüttelt den Kopf wie ein Pferd, das eine lästige Fliege verscheuchen will.

      „So, jetzt pack dein Handy weg und hilf Sonja mit den Salaten.“ Sie benutzt ihre Ich-bin-hier-nur-von-Kleinkindern-umgeben-Stimme und klingt, wie eigentlich fast immer, ungeheuer herablassend. Ich stopfe mein Handy in die Schürzentasche und gehe zur Salatbar, nicht ohne insgeheim eine wahre Kanonade an Schimpfwörtern auf sie abzufeuern.

      Während ich die Salate zubereite – einen kleinen italienischen Salat, zweimal großer Salat mit Hähnchenbruststreifen und einmal Tomate-Mozzarella – denke ich über meinen Job nach. Oder besser gesagt, meine beiden Jobs. Und weil Studieren auch irgendwie als Arbeit zählt – man gibt schließlich als Berufsbezeichnung „Student“ an – sind es eigentlich drei Jobs. Und ich kann gar nicht sagen, welcher der drei Jobs mich mehr nervt. Vermutlich immer gerade der, mit dem ich mich im Moment beschäftige. Bin ich an der Uni, finde ich das am nervigsten, bin ich in Tinas Laden, denke ich, das sei der schlimmste meiner Jobs, und bin ich hier – das Schema sollte jedem klar sein.

      Nach dem Abitur hatte ich große Pläne, wollte unbedingt in die Medienbranche. Ich sah mich selbst als die neue Anna Wintour – die Chefin der amerikanischen ‚Vogue‘. Oder als Carrie Bradshaw, ja, die aus ‚Sex and the City‘. Nur wie wird man Anna Wintour oder Carrie Bradshaw? Gut, blond war ich schon von Geburt an, aber ob das allein schon reicht? Eher nicht.

      Ich entschloss mich zum Studium der Germanistik. Kann ja nicht schaden, wenn man gut deutsch kann, und Medienwissenschaften hatte eine Zulassungsbeschränkung, da kam ich mit meiner mittelprächtigen Abiturnote einfach nicht rein. Blauäugig wie ich damals war – und damit meine ich nicht meine Augenfarbe, die ist nämlich braun – ging ich davon aus, dass man mit einem Magister in Germanistik einfach alles machen könne, dass einem die Welt quasi zu Füßen läge.

      Bald merkte ich, dass man möglichst früh sozusagen einen Fuß in die Tür der Medienbranche bekommen muss. Am besten hätte man schon in der Schülerzeitung der Grundschule mitgearbeitet und als Schüler beim Radio oder besser noch bei einem Fernsehsender gejobbt. Leider hatte ich all dies versäumt und musste dann feststellen, dass keine der von mir angeschriebenen Zeitschriften Interesse an meiner Bewerbung hatte – wegen fehlender Vorkenntnisse.

      Das Problem war, ich konnte mir auch keine „Vorkenntnisse“ mehr nachträglich aneignen, da ich bei der Finanzierung meines Studiums größtenteils auf mich selbst angewiesen war. Meine Eltern unterstützten mich natürlich so gut es ging, aber ohne mir etwas dazu zu verdienen, hätte es vorn und hinten nicht gereicht. An die guten, die bezahlten, Nebenjobs in der Pressewelt kam ich nicht heran und für die unbezahlten Praktika fehlte mir die Zeit. Ein Teufelskreis.

      Ich streue großzügig die Käsemischung aus gehobeltem Gouda und Mozzarella in die Salatschachteln und mir wird klar, dass ich jetzt schon seit fünf Jahren diesen Job bei „Pizza-Pasta-Pronto“ habe, dem bekanntesten Pizza-Service der Stadt.

      Eigentlich ist es kein schlechter Job, aber mit Mitte-Ende zwanzig wollte ich eigentlich in einem großen Loft wohnen, ein schickes Auto fahren, teure Designerkleidung tragen und einen weit verbreiteten Ruf als stilsichere Modeikone haben.

      Das war der Plan, welchen Buchstaben ich diesem Plan verpasst hatte, weiß ich nicht mehr, irgendetwas zwischen Plan D und Plan L wird es wohl gewesen sein. Ach ja, und natürlich wollte ich schon längst meine eigene, erfolgreiche Modezeitschrift leiten, das war essentieller Bestandteil von Plan E, H, K oder wie auch immer.

      Thema Mode, das bringt mich zu meinem anderen Nebenjob. Vor ein paar Jahren überlegte ich mir, dass es nicht schaden könnte, mir eine Arbeit in der Modebranche zu suchen, außerdem war gerade wieder das Geld knapp. Doch auch hier konnte ich lediglich eine schlecht bezahlte Stelle als studentische Aushilfskraft bekommen, auch hier gab es für jemanden ohne besondere Qualifikationen keinen Posten als Chefeinkäuferin – nur um mal ein Beispiel dessen zu nennen, was ich gerne gemacht hätte.

      Besser Verkäuferin als gar nichts, Hauptsache einen Job in der glitzernden Modewelt ergattern, dachte ich mir. Es stellte sich dann jedoch schnell heraus, dass das Aufräumen von Umkleidekabinen und das Zusammenfalten zerknüllter Shirts weit weniger glamourös war, als ich mir das zuerst vorgestellt hatte.

      Da hänge ich nun. Trage eine knallrote Schürze mit der neongelben Aufschrift „Pizza-Pasta-Pronto“, bereite Salate zu, sortiere Kleidungsstücke auf die richtigen Kleiderbügel und habe mit meinen beiden Jobs einfach nicht die Zeit, meine Abschlussarbeit zu schreiben. Mehr brauche ich eigentlich nicht mehr, dann ist mein Studium beendet. Aber ich habe Angst davor, wie es danach weitergehen soll. Mir fehlt ein Plan.

      Zu meiner größten Verzweiflung muss ich gestehen, dass ich noch nicht ein Wort geschrieben habe, das es Wert wäre, an irgendeine Zeitschrift geschickt zu werden. Es sieht wohl eher so aus, dass ich nach Abschluss des Studiums weiter Gelegenheitsarbeiten machen werde, da ich einfach nicht weiß, was ich sonst machen soll. Taxifahrerin könnte ich sicher auch noch werden, oder Raumpflegerin.

      „Hilda!“ Agnes steht schon wieder neben mir und unterbricht meine Grübelei. Dabei fällt mir auf, dass niemand meinen sowieso schon ungeliebten Namen so abwertend aussprechen kann wie sie.

      „Warum dauert das denn heute so lange? Sind die Salate fertig?“

      „Ja, äh, hier, bitte“, stammle ich mit rotem Gesicht. Auweia. Heute schon der zweite Anpfiff von der Chefin. Die Chefin. Wie das klingt. Agnes ist zwei Jahre jünger als ich, aber sie hat ihr Studium schnell absolvieren können, da ihr Vater alles bezahlt hat. Die Wohnung, die Gebühren, die Auslandsaufenthalte und den roten Mini-Cooper. Sie hat Betriebswissenschaften studiert und ist dann sofort als Filialleiterin bei „Pizza-Pasta-Pronto“ eingestiegen. Entsprechend hochnäsig behandelt sie mich, da ich außer zwei Jahren mehr Lebenserfahrung nichts vorweisen kann.

      „Ach, und was habe ich eben bei deinem unerlaubten Privatgespräch mitbekommen? Du planst eine Urlaubsreise?“ Sie spricht total geziert, was mich wiederum total ärgert.

      „Nein, Urlaub ist das falsche Wort. Mein Freund George, du weißt schon, der Dozent an der Uni, macht eine Exkursion mit einem seiner Seminare. Und er hat mich gebeten, ihn zu begleiten.“ Ich weiß zwar nicht, warum ich ihr gegenüber Rechenschaft ablegen sollte, aber andererseits will ich das sowieso schon angespannte Verhältnis zwischen uns nicht durch unnötige Zickereien verschlechtern.

      „Aha.“ Wie viel Verachtung doch in einem Wort stecken kann! Und schon wünschte ich, ich hätte ihr einfach nicht geantwortet.

      „Und wann wolltest du mich darum bitten, Samstag und Sonntag frei zu bekommen?“ Ah, daher weht der Wind. Sie nimmt eine affektierte Haltung ein, die sie sich wahrscheinlich bei Kleopatra aus dem Film ‚Asterix und Kleopatra‘ abgeguckt hat. Nur leider fehlt ihr die nötige Anmut, um eine solche Haltung glaubhaft und mit Würde rüberbringen zu können.

      „Ach, da mach dir keine Sorgen, wir fahren morgen los, ich hab‘ ja die Frühschicht, und wir starten danach. Und wir kommen nächsten Samstag zurück, aber vormittags. Da ich dann die Spätschicht habe, brauche ich keinen freien Tag“, erkläre ich ihr gespielt fröhlich.

      Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, sie niemals merken zu lassen, dass ich mich wegen ihres Gehabes und Getues tatsächlich manchmal nutzlos und als Loser fühle. Immer den Schein wahren, das ist das Wichtigste im Umgang mit solchen Schnöseln. Zu meinem größten Leidwesen gelingt mir das nicht immer, aber ich arbeite daran.

      Agnes schnaubt und geht in ihr Büro. Dann, als sie schon fast aus meinem Blickfeld verschwunden ist, dreht sie sich wieder zu mir um.

      „Ja

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