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Wie ein Engel auf Erden. Hannelore Kleinschmid
Читать онлайн.Название Wie ein Engel auf Erden
Год выпуска 0
isbn 9783752955668
Автор произведения Hannelore Kleinschmid
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Der Hunderter war verschwunden, meine Hausbar leergeräumt. Eine Reisetasche aus Kunstleder fehlte oben vom Kleiderschrank. Gottseidank fehlten auch mein Begleiter und seine Klamotten. Karin wunderte sich einige Sätze lang, warum ich zwei Gläser, zwei Bestecke und zwei Teller benutzt hatte. Über die Unordnung im Bad und in der Küche äußerte sie hingegen kein Wort. Vom Verlust des Westgeldes erwähnte ich nichts und schrieb auch sonst nichts auf.
15.
"Beeildich!" beeilte sich Karin zu sagen. "DiemachensichSorgeninPfaffi!"
Ich quälte mich in die Klamotten, die Treppe hinunter und in den Wagen meiner besten Freundin. So landete ich nach dem ersten Tag, an dem ich Ausgang gehabt hatte, wieder in der Rehabilitation. Ob ich mir einen zweiten Ausflug aus der beschützten Welt wünschen sollte, wusste ich nicht.
Erst nach heftigem Kopfnicken wurde ich Karin los. Ich versprach auf diese Art, falls ich wieder ausginge, zum Kaffeetrinken bei Ispens zu erscheinen.
Da ich mich weder in einer psychiatrischen Klinik und noch in einem Erziehungsheim befand, wurde mir der Ausgang am Sonntag nicht gestrichen. Ermahnungen, pünktlich zurückzukehren, nahm ich vom diensttuenden Personal ohne Wimpernzucken entgegen.
Ehe ich mich versah und viel überlegte, zog ich - schwarz von der Baskenmütze bis zu den Schuhen und trotz zeitweiligen Nieselregens durch dunkle Brillengläser getarnt - durch die Straßen. Meinen Gummiknien half ich mit dem Stock zu etwas mehr Standfestigkeit, während mein Gummikopf ziemlich schwer auf dem Hals lastete und zeitweise zu schwanken schien. Über meine Absichten und Gefühle war ich mir nicht im Klaren.
Vermeintlich planlos stakste ich die bekannten Wege entlang. Schließlich ertappte ich mich dabei, wie ich enttäuscht auf den leeren Platz des Bettlers stierte. Wo war er? Was war mit ihm geschehen? Warum saß er nicht hier? Weshalb wartete er nicht auf mich?
Mir wurde schwindlig, und ich lehnte mich an die Wand. "Ist Ihnen nicht gut?" fragte eine Frau im Vorübergehen. Ich schüttelte den Kopf. Die Frau blieb stehen. Sie hatte mein Kopfschütteln missverstanden. "Kann ich Ihnen helfen?" hakte sie nach. Nachdrücklich verneinte ich auf meine Art. Irritiert durch mein Schweigen sah sie mich genauer an. Ich bemerkte, wie sie ihre Augenbrauen hochzog. Sie sah mich an und platzte heraus: "Beate?" Und noch einmal: "Beate, bist du das?"
Ich wollte es nicht sein. Außerdem erkannte ich die Person nicht. Wut stieg in mir hoch, weil ich mich enttarnt fühlte. Heftig schüttelte ich den Kopf. Da das nicht zu helfen schien, sondern sie Beate mit Fragezeichen ein drittes Mal wiederholte, sah ich nur einen einzigen Ausweg. Ich hob den Stock ein Stück vom Boden und tippte mit dem Zeigefinger in bekannter Weise auf meine Stirn. Das reichte als Drohgebärde.
Wie gejagt ging die Frau mit schnellen Schritten weg. Sie nahm sich nicht einmal Zeit zum Umdrehen. Mir zitterten die Knie so heftig, dass ich die Wand entlang auf den Boden rutschte. Wie gestern saß ich auf dem Platz neben dem Bettler. Aber der war nicht da. Wo war er nur geblieben? Gleichgültig gegenüber der Welt blieb ich ein Weilchen sitzen.
Als ich den Blick hob, leuchtete mir ein, warum der Rotweintrinker nicht hier hockte. Noch hatte die Fußgängerzone zu wenig Anziehungskraft, um sonntägliche Spaziergänger herbeizulocken. Mit Einnahmen konnte ein Bettler bei so wenigen Passanten nicht rechnen. Also würde er nicht hier erscheinen. Diese Erkenntnis enttäuschte mich. Obschon nicht beladen, stand ich mühselig auf. Langsam trottete ich zu mir nach Hause. Am liebsten hätte ich mich auf die Stufen vor der Haustür gesetzt, um auszuruhen. Aber ich wusste, was sich gehört. Am Geländer zog ich mich nach oben in den ersten Stock, schloss die Tür auf und nahm eine Nase voll eigenartigen Duftes auf.
Was für ein kaputter Typ war ich doch! Würde es mir je gelingen, das Leben zu genießen? Ich ließ Stock, Jacke und Mütze einfach fallen und schleppte mich samt meiner Enttäuschung darüber, wie lebensuntüchtig ich war und sein würde, zum Bett. Ich erinnerte mich nicht daran, dass ich die Rollos heruntergezogen hatte. Aber das war unwichtig. Irgendwie war mir mein Möbellager auch im Dunkeln vertraut. Während ich mich aufs Bett plumpsen ließ, erkannte ich im schwachen Lichtschein von draußen, dass mein neuer Bekannter dort lag, wo ich zerknülltes Bettzeug vermutet hatte. Er brummelte im Halbschlaf und hüllte mich in seine Alkoholfahne ein.
Ich akzeptierte, was war, und fragte mich nicht, wie er in die Wohnung gekommen und ob er sauber genug war, sich an ihn zu kuscheln. Ich tat es einfach und konzentrierte mich auf meinen Körper und seine vielfältigen Gefühlsstimmen.
16.
Wie lange ich still gelegen und dem Schnarchen gelauscht hatte, wusste ich nicht. Es ging mir gut. Nicht oft hatte ich in meinem früheren Dasein registrieren können, dass ich mich gut fühlte.
Dann begann ich mich langsam auszuziehen. Warum ich so behutsam vorging, hätte ich nicht erklären können. Doktor Blaugrüns Nie durchzuckte mich. Wahrscheinlich verunsicherte es mich, nackt zu sein. Nicht allein und schutzlos entblößt zu sein, war ich nicht gewöhnt. Männern gegenüber empfand ich große Scheu. Ein betrunkener Penner kam mir vermutlich gerade recht. Ihm hielt mein Selbstbewusstsein stand, da er noch kaputter war als ich.
Er lallte unverständlich, als ich ihn auszuziehen begann. Ohne auf seinen Protest zu achten, genoss ich, was ich tat. Meine Hände griffen auf seine warme Haut. Vor seinem Glied zuckten sie zurück. Wieder erfasste mich unerklärlich Unruhe. Da war etwas, das ich nicht erinnerte. Wie ein Filmschnitt schob sich das Bild des Hautarztes in meinen Kopf. Aus blasser Haut quälten sich Blutstropfen. Ich schüttelte mich. Das Bild verschwand.
Der Bettler knurrte schlaftrunken. Ich zitterte vor Begierde und streckte meine Hand aus. Aber etwas hemmte mich. Als ob ich eine Wand durchstieße, griff ich heftig nach dem Ding, das mich anwiderte und gleichzeitig faszinierte. Ich umfasste es. Rasend reagierte mein Körper. Mein Griff wurde zur Umklammerung. Ich spürte Widerstand.
"Wasmachstenda?“ protestierte der Mann. Als ich sein Ding erregt rieb, antwortete es unabhängig von seinem grummelnden Herrn. Auch ich reagierte auf mein Tun.
Wenn ich mich als alte Jungfer beschreibe, so hat das mehr mit meinem vergangenen Lebensstil als mit meiner Jungfernhaut zu tun. Defloriert worden bin ich dereinst. Es war der Nachbarssohn, und es geschah am helllichten Tag im dunklen Schuppen am hinteren Ende des verwilderten Gartens, in dem die Villa stand, deren erstes Stockwerk wir bewohnten. Er war mit seinen Pickeln und Sommersprossen eine Schönheit wie ich. Einig waren wir uns in dem Wunsche, ES endlich auch und wenigstens einmal im Leben zu tun. Ein paar Jährchen waren wir damals schon über das Alter hinausgewachsen, in dem wir verschwörerisch davon flüsterten, das GESCHENK machen zu wollen. ES blieb bei dem einen einzigen Mal. Soweit ich mich erinnere, tat das so weh, dass ich schrie. Pickelgesicht hielt mir den Mund zu. Beinahe wäre ich erstickt. Für mich schien ES meine klaustrophobischen Zustände auszulösen, die der Volksmund irrtümlicherweise als Platzangst bezeichnet.
„Tu das nie wieder! Tu das nie wieder!“
Warum fielen mir Blaugrüns Drohungen ein?
Hormone nahmen mir die Hemmungen. Noch heute staune ich, wie meine Hände, nachdem ich mich über den im Halbschlaf liegenden Mann gehockt hatte, das großgewordene warme Ding in mich hineinsteckten. Ich ritt. Vom Traben ging ich zu gefühlvollem Galopp über. Dabei schrie ich, und es war mir völlig egal, dass ich Töne hinausbrüllte. Wunderbar überkam es mich. Welch ein Glück - dachte ich -, dass ich überlebt habe!
Dann ließ ich mich neben den Mann auf die Matratze gleiten. Wohin es lief, welche Flecken es hinterließ, war mir gleichgültig.
Einige Stunden schliefen wir geräuschvoll Seite an Seite.
17.
Dass ich das erleben durfte, dachte ich, als meine Lebensgeister langsam erwachten. Mehr davon verlangten Kopf und Körper. Meine Hand begann zu wandern. Ich schwöre, sie tat es unbewusst. Zielgerichtet schon, das gebe ich zu.
Der Mann, dessen Namen ich nicht wusste, war ausgeschlafener und nüchterner als beim ersten Mal. Es machte mich stolz, dass er mittat und ich schließlich - wie