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tun, war grässlich. Doch dann wanderte meine Hand über den Hosenschlitz, und die Berührung gefiel mir. Energisch riss ich mich los, nahm den Hausschlüssel, kleidete mich an und öffnete vorsichtig die Korridortür. So leise es ging, zog ich sie ins Schloss.

      Wieder war in meiner Wohnung eine Katastrophe geschehen, schoss es mir durch den Kopf.

      Ohne eine Begegnung menschlicher Art gelangte ich aus dem Haus und auf die Straße. Da der Himmel wolkenverhangen war, herrschte vollkommene Dunkelheit. Noch immer wurde wie zu DDR-Zeiten bei der Straßenbeleuchtung gespart, vor allem in den Seitenstraßen. Das Helle meidend, gelangte ich ziemlich erschöpft zum Krankenhaus.

      Nun war die nächste Hürde zu nehmen. Wie geht man ungesehen am Pförtner vorbei? Ich durfte keine Zeit verlieren, denn ich wusste nicht, wie spät es war. Meine Uhr ruhte oben in der Schublade des Nachtkastens. Als schwarzes Gespenst umschlich ich das Gebäude - und hatte Glück: eine Stahltür stand offen, von der ich nicht wusste, wohin sie führte. Ich nutzte die Chance. Immer nervöser werdend, eilte ich durch Gänge, von denen keine Treppe nach oben zu führen schien. Der Verzweiflung nahe, entdeckte ich einen Fahrstuhl. Zwar war zu riskant, ihn zu benutzen, doch ich wusste, wo ein Fahrstuhl ist, muss auch die Treppe in der Nähe sein. Keuchend vor Aufregung, erreichte ich schließlich ungesehen das Ziel meiner Sehnsucht, das weiße Reha-Zimmer mit dem weißen Bett.

      In Rekordzeit steckte ich im Schlafanzug.

      Den Stock wusch ich am Waschbecken mit Seife ab und stellte ihn an die Heizung zum Trocknen. Ich nahm mir vor, später Fingerabdrücke darauf zu hinterlassen. Erschöpft und gedankenleer sank ich ins Bett und deckte mich, auf dem Rücken liegend, bis zur Nasenspitze zu. Ich atmete tief durch und sah etwas vor mir, das ich im ersten Leben hauptsächlich von Abbildungen kannte. Dem inneren Bilde folgte, was ich erhoffte.

      19.

      Am nächsten Morgen war ich erstaunlich ruhig. Gelassen, geradezu kalt, sah ich den kommenden Ereignissen entgegen. Als Fingerzeig eines gutmeinenden Schicksals erschien mir die Möglichkeit, auf alle Fragen zu schweigen. Hundertprozentig - dessen war ich sicher – wussten die Medizinmänner noch immer nicht, ob mein Kopf normal funktionierte. Der Verlust der Sprache deutete auf eine Schädigung hin. Befriedigt nahm ich den Schutz an, den mir das Schweigen bot.

      Aber zunächst geschah außer der täglichen Routine nichts Nennenswertes. Allein meine Phantasie beschäftigte sich mit dem Mann auf der Couch. Dabei gelang es mir, an seine beglückende Stelle, nicht jedoch an meine rote Rage und deren Folgen zu denken.

      In seiner Denk- und Funktionsweise ist der Mensch ein Wunder. Wunderbar klammert er aus, was er verdrängen muss, um Ruhe zu finden. Nach der Visite, die ablief, als werde ein alter Film wiederholt, kleidete ich mich an. Raffiniert suchte ich unter den Kleidungsstücken, die Karin mir gebracht hatte, farbenfrohe aus. Farbenfroh bedeutete in meinem Kleiderschrank Beige und Grau, Dunkelgrün und -blau, Braun und Violett. Ich wählte Jacke und Hose in Beige und eine dunkelgrüne Bluse aus. Warum ich mich anzog, wusste ich nicht. Ich tat es einfach. Während ich mich kämmte, klopfte es an der Tür. Nachdem er EinsZweiDrei gezählt hatte, trat der Oberarzt mit einem munteren Guten Morgen ein. Ich nickte lächelnd.

      "Oh" sagte er, "Sie haben das Bett verlassen und sich angekleidet. Unsere Absichten stimmen offenbar überein. Wir haben nämlich beschlossen, dass wir Sie entlassen, wenn Sie einverstanden sind. Sie gehen nach Hause und probieren das normale Leben. Falls es Schwierigkeiten gibt, dürfen Sie jederzeit zu uns kommen. Unbürokratisch und schnell nehmen wir Sie dann auf. Wie finden Sie die Idee?" Er merkte, dass er die Frage falsch gestellt hatte. Also fragte er: "Sind Sie einverstanden?"

      Mir lief es bei dem Gedanken, meine Wohnung zu betreten, kalt den Rücken hinunter. Doch ein Kopfschütteln könnte mich verdächtig machen. So nickte ich. "Also einverstanden!" sagte er und war's zufrieden. Ich zog die Stirn in Falten und zeigte auf meine Utensilien im Schrank.

      "Hm," sagte er, "wir können Ihre Freundin anrufen, oder wollen Sie warten, bis sie Feierabend hat?" Ich nickte. "Sie wollen warten?" versicherte er sich.

      Wieder nickte ich.

      "Na, dann auf Wiedersehen bis später." sagte er freundlich und ging.

      Mir war wirr im Kopf. Kein vernünftiger Gedanke ließ sich festhalten. Das würde ein aufregender Spätnachmittag werden. Angezogen legte ich mich aufs Bett. Kurz bevor gegen elf Uhr das Mittagessen serviert wurde, klopfte es hastig, und hastig wurde die Tür vom Vormüllerchen aufgerissen. "GutenTagEntschuldigung!" rief er. "Sie wollten mir doch Bescheid geben, ob wir gemeinsam zur Konferenz fahren. Ich hörte, Sie werden noch heute entlassen.“

      Ich nickte und musste aufpassen, dass meine Miene die abschweifenden Gedanken nicht verriet. Er nahm es für ein Ja zu meinem Auftritt als Versuchskaninchen und verließ zufrieden das Zimmer.

      Erstaunlicherweise gelang es mir, die Stockschläge und den leblosen Mann weitgehend aus meinem Denken zu vertreiben und mir stattdessen Angenehmes, zum Beispiel den jungen Holger Vormüller, vorzustellen. Nach dem Mittagessen schlief ich sogar den Schlaf, der gern als Schlaf der Gerechten bezeichnet wird.

      Als Karin auf der Bildfläche erschien, war sie bereits von der Stationsschwester informiert worden. Ohne Luft zu holen, fragte sie mich, ob ich schon gepackt hätte und mit zu ihnen kommen wolle. Mir erschien es lächerlich, erst zu nicken und anschließend sofort den Kopf zu schütteln, also sah ich sie einfach an, bis sie begriff.

      "Möchtest du, um nicht allein zu sein, die erste Nacht bei uns verbringen?" artikulierte sie beleidigend deutlich. Nun konnte ich den Kopf schütteln. Ich hatte ein Zettelchen vorbereitet, das ich ihr hinhielt.

      BITTE, WIE BEKOMME ICH GELD?

      LEIDER HABE ICH DEN WOHNUNGSSCHLÜSSEL VERLOREN.

      TUT MIR LEID!

      stand darauf.

      20.

      "Wie sieht es denn hier aus?" entfuhr es Karin, nachdem sie die Korridortür mit ihrem Schlüssel geöffnet hatte. Mit meinem Koffer in der Hand stand sie im Flur. Mein Herz klopfte Stakkato. Die Schweißtropfen auf meiner Stirn waren keine Folge des Treppensteigens. Aber das wusste nur ich, und zu sagen brauchte ich - gottseidank - nichts.

      Langsam schob ich mich mit Stock und Handtasche in den engen Korridor. "Ich bringe den Koffer gleich ins Schlafzimmer." sagte meine beste Freundin und riss die Wohnzimmertür auf. In den DDR-Zwei-Raum-Wohnungen des Typs, den ich ergattert hatte, geht man vom Flur ins größere und von dort ins kleinere Zimmer.

      Ich erwartete einen Schrei, da ich Karin nicht für eine Person halte, die still in Ohnmacht fällt. Statt des entsetzten Ausrufs war jedoch nur meckerndes Gerede zu vernehmen, das mehr als Selbstgespräch zu deuten war denn als Kritik. Zögernd betrat ich das Wohnzimmer und sah ebenfalls nichts. Mein Bettler lag nicht herum. Unordentlich und zerwühlt bot sich die Couch dar. Von einem großen Kissen leuchtete mir ein dunkler Fleck entgegen, den nur ich als getrocknetes Blut erkannte. Das Buffet aus der elterlichen Wohnung, von dem ich mich nicht hatte trennen können, obgleich es überhaupt nicht in die Platte passte, war geöffnet. Herausgezogene Schubladen und offenstehende Türen zeugten davon, dass etwas gesucht worden war.

      Karin schüttelte den Kopf. Sie kopierte damit meine Ausdrucksweise. Von mir erwartete sie keinerlei Kommentar zum Chaos. Aber das war mir so egal, wie einem nur etwas egal sein kann! Ich war unendlich erleichtert und dem Mann dankbar, weil er verschwunden war.

      Erst viel später am Abend fiel mir ein, dass er meinen Schlüssel besaß. Da erschrak ich doch und überlegte lange, ob ich die Korridortür verbarrikadieren sollte.

      Karins Kopfschütteln mündete in der Frage, welcher Teufel mich geritten habe, so in meiner Wohnung zu wüten. Statt einer Antwort bat ich sie schriftlich, mich so bald wie möglich zur Bank zu begleiten.

      "Ich komme morgen früh um Acht." versprach sie prompt.

      Ich nickte und schob sie freundlich - wie ich meinte -, aber nachdrücklich aus der Tür.

      Mein Leben gehört mir, dachte

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