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Buchs – zu besseren, umfassender informierten Juden gemacht. Die Vertrautheit mit dem Neuen Testament hilft dabei zu erkennen, welche verschiedenen Optionen für Juden im ersten Jahrhundert möglich waren (Jesus oder Johannes dem Täufer zu folgen; sich der Gemeinde am Toten Meer anzuschließen oder sich die pharisäische Lehre anzueignen; sich auf Seiten Roms oder der Aufständischen zu schlagen usw.). So hilft es auch dabei, besser zu verstehen, weshalb die meisten Menschen im jüdischen Volk Jesus bzw. der sich in seinem Namen entwickelnden Bewegung nicht folgten. Bisweilen stellen wir fest, dass viele der neutestamentlichen Texte fundamentale jüdische Werte auf vorzügliche Weise wiedergeben: die Liebe zu Gott und zu seinem Nächsten (Lk 10,25-28, Dtn 6,5 zitierend; Lev 19,18; Jos 22,5; zur Liebe zu Gott s. ARN 48 [67a]; zum Primat von Lev 19,18 s. R. Aqiva in jNed 9,4/41c, der anmerkt, dies sei „ein Hauptprinzip der Tora“); Zedaqa (die in Wohltätigkeit ausgedrückte Rechtschaffenheit; Mk 10,21; Mt 25,34–40; s. Jer 22,3; Spr 21,3; zu ihrem Primat in rabbinischen Texten s. bBB 9a; bSukk 49b); die Sehnsucht nach dem Königreich bzw. der Herrschaft Gottes (Mt 16,24–26) und der Verbesserung der Welt (Offb 21,1–4); vgl. das Alenu-Gebet: „die Welt durch die Herrschaft des Allmächtigen zu verbessern“. Es ist Nichtchristen durchaus möglich, einen Großteil der (sehr jüdischen) Botschaft des Neuen Testaments wertzuschätzen, ohne dabei den Boten zu verehren.

      Viele Jüdinnen und Juden sind mit dem Neuen Testament nicht vertraut oder fürchten sich sogar, es zu lesen. Sein Inhalt und seine Erzählformen sind ihnen fremd, und sie brauchen erläuternde Notizen. Andere wiederum halten die neutestamentlichen Schriften für irrelevant für ihr Leben oder argwöhnen, jegliches kommentierte Neue Testament ziele auf Überredung oder gar Bekehrung. Dieser Band, zumal von jüdischen Gelehrten herausgegeben und geschrieben, soll diesen Verdacht nicht erwecken. Es ist nicht unsere Absicht, jemanden zur Konversion zu bewegen – weder Juden zum Christentum noch Christen von ihren eigenen Kirchen fort. Vielmehr will dieses Buch allen Leserinnen und Lesern dabei helfen, die Bedeutung der neutestamentlichen Schriften innerhalb ihres je eigenen sozialen, historischen und religiösen Kontexts zu verstehen; einige der Essays beschreiben den Einfluss, den das Neue Testament auf jüdisch-christliche Beziehungen geübt hat. Ferner sind wir überzeugt, dass Juden die christliche Bibel – das, was aus christlicher Perspektive Altes und Neues Testament genannt wird – verstehen sollten, denn in dieser Form ist sie für die meisten englischsprachigen Menschen die Heilige Schrift: Es ist für Juden schwierig, ihre Mitmenschen zu verstehen oder die breite Gesellschaft, zu der jüdische Staatsbürger auch gehören, ohne mit dem Neuen Testament vertraut zu sein. Genauso, wie wir uns als Juden wünschen, dass unsere Mitmenschen unsere Texte, Überzeugungen und Praktiken verstehen, so sollten wir mit den Grundlagen des Christentums ebenfalls vertraut sein.

      Es gibt weitere Gründe für eine jüdische Vertrautheit mit diesen Texten. Das Neue Testament ist eine wichtige Quelle für die Literatur, Kunst und Musik in der westlichen Kultur. Um die Meisterwerke Bachs umfassend zu würdigen, ist es sinnvoll, die Texte zu kennen, die ihnen zugrunde liegen. Die Vertrautheit mit den Schilderungen der frühen Kindheit Jesu im Matthäus- und Lukasevangelium hilft dabei, die großartigen Porträts der Madonna mit Kind zu schätzen; Kenntnisse des Neuen Testaments liefern den notwendigen Hintergrund, um zu verstehen, wie die Kulturen Jesus und Judas, Maria Magdalena und Petrus über die Jahrhunderte dargestellt haben. Das Neue Testament ist nicht nur ein religiös bedeutsames Buch, es ist ebenfalls ein Buch kultureller Bedeutung.

      Das Wort Jewish im Titel erfüllt noch eine letzte, wichtige Funktion: Es spiegelt die Empfindungen der Mitwirkenden wider. Nicht nur jüdische Gelehrte verfügen über die Kompetenz zum Verfassen dieser Erläuterungen, die vielerlei Kenntnisse zu den Themen Hebräisch, Tanach, Zweiter Tempel und rabbinische Texte voraussetzen. Es ist überall ersichtlich, wie viel die Mitwirkenden der Gelehrsamkeit von Forscherinnen und Forschern jeglichen religiösen Hintergrunds verdanken. Dank der zunehmenden Anzahl jüdischer Gelehrter mit Sachkenntnis auf diesem Gebiet war es zugleich möglich, eine ausreichende Zahl an Mitwirkenden ausfindig zu machen, was die Offenheit gegenüber dem Studium religiöser Texte belegt und auch die wachsende Kooperation zwischen jüdischer und christlicher Forschung hervorhebt, wenn es darum geht, sowohl die Unterschiede als auch die Gemeinsamkeiten zwischen dem frühen Christentum und dem Judentum jener Ära zu verstehen.

      Als professionelle Geisteswissenschaftler bringen die Autorinnen und Autoren der Erläuterungen und Essays dem Text die gebührende Achtung entgegen, die alle religiösen Texte verdienen. Ein genaues Verständnis des Griechischen, in dem das Neue Testament verfasst wurde, sowie fundierte Kenntnisse der griechischen wie römischen literarischen Konventionen, die es beeinflusst haben, sind für ein richtiges Verständnis des Neuen Testaments unerlässlich – genauso wie Kenntnisse nahöstlicher Kultur und der Sprachen des Altertums notwendig sind, um die gemeinsamen Schriften der Juden und der Christen zu verstehen. Die Erläuterungen legen nicht nur besonderen Wert auf das, was aus einer jüdischen Perspektive von besonderem Interesse sein könnte, sondern sie liefern auch Informationen zu geschichtlichen Hintergründen, sprachlichen Details und zeigen Bezüge zu früheren biblischen Texten, wie sie jede kommentierte Bibel bietet. Die Erläuterungen wollen und können auch nicht ein letztes Urteil über die Bedeutung der Texte sprechen, weder im Altertum noch heute: Neue Entdeckungen und neue Theorien werden unser Wissen ständig erweitern. Außerdem sind die, die an diesem Band mitgearbeitet haben, in einigen Fällen untereinander uneins, und in weiteren Fällen waren Herausgeberin und Herausgeber anderer Meinung als die Mitarbeitenden. Dies liegt in der Natur biblischer Studien. Wir sind der Meinung, dass die in diesem Werk enthaltenen Diskussionen der Kategorie von Debatten entsprechen, die im Namen des Dienstes an Gott geführt werden, wie mAv 5,17 schreibt:

      „Jeder Streit, der im Namen des Himmels [geführt wird], hat endlich dauernden Erfolg; aber [jeder Streit,] der nicht im Namen des Himmels [geführt wird], hat endlich keinen dauernden Erfolg. Was ist ein Streit, der im Namen des Himmels [geführt wurde]? Das ist der Streit zwischen Hillel und Schammaj; und [was ist ein Streit,] der nicht im Namen des Himmels [geführt wurde]? Das ist der Streit des Korach und seiner ganzen Rotte.“

      Solche Studien können auch zu einem noch viel größeren Ergebnis führen. Der verstorbene Krister Stendahl, lutherischer Neutestamentler, emeritierter Bischof von Stockholm und ehemaliger Professor und Dekan der Harvard Divinity School, prägte den Ausdruck „heiliger Neid“, um auszudrücken, dass eine andere religiöse Tradition als die eigene schöne und bedeutsame Vorstellungen hervorrufen könnte. Keine Religion enthält die allumfassende, vollkommen ausgedrückte Weisheit, und Vieles im Neuen Testament finden wir sowohl schön als auch bedeutsam. So ist Paulus‘ Beschreibung der Liebe in 1Kor 13,4–7 etwa außerordentlich faszinierend: „Die Liebe ist langmütig und freundlich, … sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, … sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit, sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“

      Genauso wie wir durch die gemeinsame Arbeit an diesem wegweisenden Projekt – das erste Mal, dass jüdische Gelehrte Erläuterungen und Essays zum gesamten Neuen Testament verfasst haben – viel gelernt haben, so hoffen und erwarten wir gleichermaßen, dass alle, die diese Erläuterungen und Essays lesen, ein tieferes Verständnis für dieses zentrale religiöse Werk gewinnen. Wir hoffen, dass nichtjüdische Leserinnen und Leser anerkennen können, dass wesentliche Teile des Neuen Testaments dem Herzen des Judentums entstammen. Wir hoffen ebenso, sie in die Lage zu versetzen, diese Texte zu verstehen, ohne falsche Vorstellungen über die Zeugnisse Jesu und seiner frühesten Anhänger in sie hineinzuinterpretieren. Und wir hoffen schließlich, dass jüdische Leserinnen und Leser durch dieses Werk offener für das Neue Testament werden (viele von ihnen sind mit seinem Inhalt nicht vertraut), dass diese neuen Leserinnen und Leser vertrauter mit den Traditionen ihrer Mitmenschen werden und dass das Lesen sogar „heiligen Neid“ in ihnen erwecken möge.

      Amy-Jill Levine

      Marc Zvi Brettler

      28. Siwan 5771 / 30. Juni 2011

      Zur zweiten Auflage

      Wir freuen uns, diese vollständig überarbeitete und erheblich erweiterte zweite Auflage des Jewish Annotated New Testament vorlegen zu können. Die 2011 veröffentlichte

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