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war jener über die «Theorien der Persönlichkeit». Darin zeigte ich die verschiedenen Wege auf, wie Jung und Freud und all die anderen europäischen Psychiater und Psychologen arbeiteten und forschten. Ich arrangierte mit den Studierenden auch Studienreisen und viele Diskussionen, teils sehr persönliche. Mir war wichtig, dass diese jungen Leute lernten, selber zu denken und Fragestellungen schöpferisch anzugehen, statt nur auswendig zu lernen. Da die Psychologie als Universitätsfach damals in Amerika noch in den Kinderschuhen steckte, war viel Entwicklungspotenzial für mich vorhanden, was mich sehr beglückte. Einer meiner Kurse befasste sich mit kulturübergreifender Psychologie; ich legte den Studierenden die unbewusst wirksamen kulturellen Einflüsse auf das menschliche Tun dar. Die erste Lehrveranstaltung, die ich 1973 anbot, stand unter dem Titel «Encounters with Switzerland». Wen wunderts!

      Im Jahre 1976 kauften meine Frau und ich eine fünfundzwanzig Hektar grosse Farm ausserhalb der Stadt, auf der eine aus Zedernholz gebaute Blockhütte stand. Wir bauten sie als Sonnenenergie-Haus mit nach Süden gerichteten Fenstern um und nutzten das Grundwasser für die Wärmegewinnung. Bald galten wir mit unserem Projekt weit herum als Beispiel für alternative Energiebauweise – damals ein Novum in Amerika. Für uns war es immer wichtig, in der Natur draussen zu sein. Unsere Kinder wuchsen im Grünen auf, inmitten von Vieh, Schafen und Hühnern, die wir selber aufzogen und pflegten. Das Leben auf dem Land war ein herrlicher Kontrast zu meiner akademischen Tätigkeit an der Universität. Meine Frau war eine so wunderbare Partnerin und im sozialen Umgang viel spontaner als ich. Sie lud Menschen ein, liebte es, Gäste auf unserer Farm zu bewirten.

      Als wir aufs Land zogen, absolvierte Marilyn an der Ohio State University das Masterprogramm in Psychiatrischer Pflege. Und sie wurde wenig später mit dem Aufbau einer Krankenschwesternschule am Central Ohio Technical Collage beauftragt. Sie stieg in die Schulleitung auf und wurde Dekanin der akademischen Abteilung. Bis bei ihr 1990 Brustkrebs diagnostiziert wurde. In den nächsten fünf Jahren kämpften wir alle um ihr Leben. Es war traumatisch. Ich liess mich frühpensionieren, um mehr Zeit mit ihr verbringen zu können. Ihr Tod, 1995, war unglaublich hart für mich – ich glaubte, nicht mehr weiterleben zu können. Marilyn vermisse ich heute noch genauso stark wie vor siebzehn Jahren. Sie wollte unbedingt, dass ich gut weiterlebe. Und ich musste mit meinem Schicksal irgendwie fertig werden.

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      Mit 41 Jahren auf seinem 28-Tage Marsch durch die Schweiz – von Montreux nach Sargans.

      Es ist schon so, ab und zu fühle ich mich einsam im Haus hier am Waldrand, das ich mir später kaufte. Glücklicherweise habe ich meine Familie, Freunde, Bücher, diverse Forschungs- und Schreibprojekte, meine Begeisterung an langen Wanderungen und meine Leidenschaft für die Schweiz.

      Ja, die Liebe zum Land meiner Vorfahren ist ungebrochen. Meine erste Reise dorthin konnte ich mir erst leisten, als ich dreissig Jahre alt war. Ich wollte alles sehen. Ich erinnere mich an die unglaubliche Schönheit, jede Strassenecke brachte neue Entdeckungen, jeder Wanderweg eine neue Szenerie. Durch all jene Dörfer und Landschaften wollte ich wandern, von denen ich gehört oder die ich auf Bildern gesehen hatte. Später kam oft auch meine Familie mit. Um die Welt meiner Familie aber wirklich hautnah kennenzulernen, wanderte ich 1972 allein quer durch die Schweiz. Mein Freund Hugo Lüscher aus dem Kanton Aargau half mir mit topografischen Karten, die Route zu planen. Nach sechsmonatigem Training begann ich mein Abenteuer in Montreux und erreichte nach 13 Bergpässen und 26 Wandertagen Sargans, an der Schweizer Grenze zu Liechtenstein. Diese Wanderung wurde zu einer einmaligen Pilgerreise für mich.

      Mehr aus Spass habe ich vor ein paar Jahren die Umrisse der Schweiz auf eine US-Landkarte gelegt. Dieses Fleckchen Land ist verschwindend auf unserem Kontinent, aber die Leistungen der Schweizer hier sind gross, die Geschichte der Einwanderer aus der Schweiz ist eine unglaubliche. Ich bin seit über fünfundzwanzig Jahren Mitglied und jetzt auch Treuhänder der Columbus Swiss Home Association. Und auch die Sammlung alter Dokumente, Fotografien und Protokolle von Schweizer Einwanderern, oft in schlechtem Zustand, liegt mir am Herzen, deren Übersetzung und Sicherstellung. Ich habe mit recht vielen Schweizern, die in Amerika leben, Kontakt, nicht zuletzt durch mein Engagement bei der Swiss American Historical Society. Und obwohl ich anfänglich aus verschiedensten Kreisen ziemlich Gegenwind hatte und viele skeptisch reagierten, war ich von der Idee eines Swiss Center of North America, eines Dokumentations- und Informationszentrums für die Schweiz in Amerika, überzeugt. Ich engagierte mich für dessen Errichtung und Finanzierung. Diese Institution ist mittlerweile in New Glarus, der wohl authentischsten Schweizer Gemeinde in den USA, eingerichtet. Es ist wichtig, dass die Dokumente der Auswanderer aller Epochen an einem Ort gesichert und archiviert werden. Meine persönliche Bibliothek, die inzwischen etwa viertausend Schweizer Bücher und siebzehntausend Schweizer Postkarten umfasst, werde ich dem Swiss Center of North America schenken.

      Ich kann es nicht leugnen, dass ich mich schweizerischer fühle als mancher Schweizer, der in den USA lebt. Ich bin Amerikaner, aber der Reiz ist für mich gross, einmal für längere Zeit dort leben zu dürfen, wo meine Vorfahren herkommen – etwa auf dem abgelegenen Hof «Schürgut», das meinen Vielfach-Ur-Ur-Ur-Ur-Grosseltern Christina Griessen und Hans Tritten Mitte des 17. Jahrhunderts gehörte.

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       Heinz Bachmann, 1933

      Von Neuhausen am Rheinfall nach Comus, Maryland

      «AMERIKA WAR DAMALS FÜR VIELE SCHWEIZER EIN TRAUM.»

      Auswandern wollte er eigentlich nicht, und doch lebt Heinz Bachmann seit fast fünfzig Jahren in den USA. Von seinem Wohnzimmer in Comus blickt er auf den Sugarloaf. Schon Christoph von Graffenried, der Schweizer Amerika-Pionier und Gründer von New Berne, zog 1712 auf seinem Rückweg nordwärts durch diesen Landstrich im Montgomery County, Maryland, und beschrieb den Berg in seinen Memoiren. Heinz Bachmann und seine Frau Ilse leben hier auf ihrer Farm, vierzig Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Washington D. C. Das nächste Einkaufszentrum, und damit Zivilisation und Zahnarzt, sind zwanzig Autofahrminuten entfernt.

      Auswandern war für mich eigentlich nie ein Thema. Die Weltbank war es, die mich nach Amerika führte. Wir zogen vor 46 Jahren mit der Absicht nach Washington, drei, vier Jahre zu bleiben, um praktische Erfahrung zu sammeln. Wir kamen nicht als Auswanderer, sondern mit internationalem Beamtenstatus und UNO-Pass.

      Über Amerika hatte ich daheim als Kind gehört; nicht viel zwar, aber auf den Fotos sahen meine Eltern als Paar in New York sehr glücklich aus: Vater wollte nach seinem Ökonomiestudium in Oxford in die USA; im Juli 1922 reiste er mit dem Schiff nach New York, landete in Ellis Island und fuhr mit dem Zug nach Connecticut weiter. Damals war es für einen Mann einfach, auszuwandern; Mutter folgte ihm im Januar 1923 nach. Vater hatte sie während der Schulzeit an der Kantonsschule in Frauenfeld kennengelernt. Sie gehörte zu den ersten Mädchen, die in Frauenfeld die Matura gemacht hatten. Eigentlich wollte sie Medizin studieren. Aber als Kind einer Scheidungsfamilie mit strenger Stiefmutter wurde ihr das verwehrt. Stattdessen folgte sie ihrer grossen Jugendliebe nach New York, wurde aber auf Ellis Island unerwartet gestoppt. Es hiess, eine kaum zwanzigjährige, alleinstehende Frau dürfe nicht ohne männliche Begleitung einreisen. Eine Heirat war für sie der einzige Ausweg, amerikanischen Boden zu betreten. Mein Vater holte seine Braut am Hafen ab und schon am 18. Januar 1923 heirateten die beiden in New York. Obwohl anders geplant, blieben sie nicht lange in den USA. Aus der Schweiz kam nach wenigen Monaten die Depesche, Grossvater Bachmann, der Unternehmer in Frauenfeld, sei schwer krank. Grossmutter hatte Panik und wollte, dass ihr Ältester sofort heimkehre. Meine Eltern hatten wenig Lust, ihre Koffer schon wieder zu packen und das faszinierende Land Amerika zu verlassen. Sie nahmen das langsamstmögliche Schiff nach Europa, fuhren durchs ganze Mittelmeer runter bis nach Konstantinopel und kehrten schliesslich über den Balkan in die Schweiz zurück. Im Sommer 1924 waren sie retour, und Grossvater starb kurz darauf. Dass meine Eltern unter anderen Umständen definitiv in den USA geblieben wären, glaube ich allerdings nicht. Vater wollte als Nationalökonom Auslanderfahrungen sammeln – und Amerika bot ihm diese Chance.

      Vater bekam bald nach seiner Rückkehr den Posten als Leiter des Sekretariats

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