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man Grenzen ohne empathisches Einfühlen, so nimmt man den Kindern die Möglichkeit, Selbstdisziplin zu verinnerlichen.16 Niemand mag kontrolliert werden, somit überrascht es nicht, dass Kinder ­Grenzen ablehnen, die nicht empathisch sind. Wenn Kinder sich unseren Grenzen widersetzen, nehmen sie die »Kontrolle« außerhalb von sich wahr. So verrückt es auch klingen mag, dies bedeutet, dass sie es als Ihre Aufgabe ansehen, sie davon abzuhalten, ihren Bruder anzugreifen, wenn sie wütend sind, und nicht als ihre eigene Aufgabe, sich zu regulieren. Wenn wir Grenzen setzen, bei denen sich das Kind verstanden fühlt, verinnerlicht es am Ende unsere Grenzen – und übernimmt Verantwortung für sich, sogar wenn keine Autoritätsperson anwesend ist.17

      3 Kinder, die mit Bestrafung aufwachsen, lernen, diese gegen ihre Geschwister einzusetzen, um ihre eigene Position und Macht zu erhöhen. Wenn Kinder wissen, dass ihr(e) Konkurrent(in) bestraft werden wird, haben sie einen Anreiz zu petzen, denn so können sie entweder dem Geschwisterkind wehtun oder die Rolle des »braven Kindes« einnehmen.“ (Mehr über Petzen in Kapitel 4.)

      4 Wenn Geschwister dafür bestraft werden, dass sie sich streiten, werden sie nachtragender zueinander und konzentrieren sich mehr darauf, sich zu rächen. Oftmals geraten sie in einen negativen Kreislauf von aufwiegelnden Konflikten und versuchen es so darzustellen, dass es die Schuld des anderen Kindes ist.

      5 Wenn Kinder mit strafender Disziplin aufwachsen, neigen sie eher zu Wut und Depression.18 Das liegt daran, weil wir ihnen beibringen, dass der Teil ihres Ichs, der ihre Emotionen ausmacht, für uns nicht annehmbar ist. Da die Eltern ihnen nicht dabei helfen zu lernen, wie sie mit diesen schwierigen Gefühlen umgehen können, werden sie allein gelassen und versuchen für sich herauszufinden, wie sie ihre »niederen« Impulse überwinden können. Aus diesem Grund haben sie Probleme, ihre Wut zu beherrschen und neigen dazu, dies an ihren Geschwistern auszulassen, die sich in den meisten Fällen in unmittelbarer Nähe befinden.

      6 Bestrafung lehrt Angst. Kinder lernen, was sie erleben und was Sie vorleben. Wenn Kinder das tun, was Sie wollen, weil sie Angst vor Ihnen haben, ist es nur noch ein kleiner Schritt zum Tyrannisieren. Wenn Sie schreien, werden die Kinder schreien. Wenn Sie Gewalt anwenden, werden die Kinder Gewalt anwenden. Und zwar gegen jede(n), gegen die oder den sie es können – auch ihre Geschwister.

      Vielleicht ist es nicht leicht zu hören, aber die Forschungsergebnisse sind eindeutig: Kinder lernen durch Bestrafung am Ende völlig unbeabsichtigte Lektionen über die Themen Macht ausüben, Streitigkeiten beilegen und Umgang mit aufwühlenden Gefühlen. Somit gefährdet es für gewöhnlich nicht nur die Entwicklung Ihres Kindes, wenn Sie es bestrafen, sondern es hat einen negativen Einfluss auf die Beziehung Ihrer Kinder zueinander.

      Disziplin überdenken

      Und wie ist es mit Disziplin? Wie kann sie in Beziehung zu unserer Diskussion über Bestrafung gebracht werden? Das Wort »Disziplin« bedeutet im eigentlichen Sinne »anleiten« und leitet sich vom lateinischen Wort discere – »lernen« ab. Bestrafung hat mehr mit Gewalt zu tun als mit Anleitung. Die Definition des Wortes Bestrafung lautet: einer anderen Person emotionalen oder physischen Schaden zufügen, um diese dazu zu bringen, das zu tun, was man ihr sagt. Aber in unserer Kultur ist meistens das, was wir für Disziplin halten, tatsächlich darauf ausgerichtet, dem Kind emotional (und manchmal physisch) wehzutun, damit es das tut, was wir wollen. Insofern ist Disziplin, wie wir sie verstehen und über sie denken, eine Form der Bestrafung.

      Da das Wort »Disziplin« so oft und hartnäckig missverstanden wird, schlage ich vor, dass wir das Wort nicht verwenden. Stattdessen wollen wir bewusst die »Disziplin hinter uns« lassen und uns als Eltern verstehen, die mit liebevoller Führung ihre Kinder coachen. Was würde das ändern? Nun, es würde zunächst unser Verständnis über unsere Kinder verändern. Anstatt zu glauben, unsere Kinder bräuchten »Disziplin«, damit sie sich nach unseren Vorstellungen benehmen, würden wir sie mit komplett anderen Augen sehen.

      1 Kinder werden geboren und müssen sich mit einem Erwachsenen verbunden fühlen, der sie leiten wird. Kinder werden unserer Führung folgen und diese Eltern-Kind-Verbindung beschützen, solange diese nicht ihre Integrität gefährdet. Wenn Sie mit Ihrem Kind verbunden bleiben, dann wird es kooperieren wollen. Wenn es dies nicht will, dann weil es nicht kann und es Ihre Hilfe bei den Emotionen braucht, die sein unangemessenes Verhalten steuern.

      2 Fragen Sie sich, ob so manches Fehlverhalten daher rührt, dass das Kind einfach das tut, was es will? Aber selbstverständlich! Doch in diesem Fall ist es ein Anzeichen dafür, dass die Verbindung zu Ihnen für das Kind weniger wichtig ist als das zu tun, was es möchte. Somit muss die Beziehung gestärkt werden oder aber das Kind braucht Hilfe mit den Gefühlen, die es davon abhalten, mit Ihnen verbunden zu sein. Wenn ein Kind darauf vertraut, dass wir wirklich auf seiner Seite sind, wird es bereit sein, das aufzugeben, was es gerade will, um etwas zu tun, was es mehr will – nämlich mit uns hundertprozentig verbunden zu bleiben. Wenn Sie darüber nachdenken ist das die Definition von Selbstdisziplin – etwas aufzugeben, was man will (das Stück Kuchen), für etwas, das man mehr will (Gesundheit und Fitness). Sprich, jedes Mal wenn Ihr Kind sich entscheidet, die Schwester nicht zu schlagen, weil es Ihren warmherzigen Respekt mehr will, baut es die Nervenbahnen auf, um selbstdisziplinierter zu werden. Und diese Selbstdisziplin wird den Rest seines Lebens Bestand haben.

      3 Kinder lernen, was sie erleben, durch wiederholte Erfahrung. Jede Interaktion mit Ihrem Kind ist Vorbild dafür, wie man sich selbst auskommt und sich anderen gegenüber verhält.

      4 Jedes Fehlverhalten ist ein Schrei nach Hilfe oder Verbindung. Gehen Sie auf das Bedürfnis ein, und das Verhalten ändert sich. Wenn ein Kind sich nicht unseren Vorstellungen entsprechend verhält, dann benötigt es Unterstützung, um dies zu tun. Dies kann bedeuten, dass es Anleitung braucht, Verbindung zu uns oder Hilfe bei der Bewältigung der Emotionen, die ihm im Weg stehen. Vieles von dem, was wir als »Fehlverhalten« bezeichnen, ist normale Kindlichkeit und kann einfach mithilfe von liebevoller Führung »korrigiert« werden.

      5 Sobald Kinder in der Lage sind, ihre Emotionen zu regulieren, können sie ihr Verhalten regulieren. Wenn sich Ihr Kind mit Ihnen verbunden fühlt, will es Ihrem Beispiel folgen. Aber manchmal kann es dies nicht, da seine großen Gefühle seinen sich immer noch entwickelnden präfrontalen Cortex überwältigen. Wie wir bereits erörtert haben, können Sie ihm mit dem wirksamen Mittel der Empathie helfen zu lernen, seine Emotionen zu regulieren. In manchen Fällen wird das nicht genügen, und heftige Emotionen werden Ihr Kind dazu bringen, um sich zu schlagen. In diesen Momenten braucht Ihr Kind Ihre Hilfe, um sich durch diese Gefühle durchzuarbeiten, damit es diese nicht anders ausleben muss. Mit zunehmendem Alter sind sie immer besser in der Lage, ihre Emotionen in Worten auszudrücken und sie so hinter sich zu lassen. Doch jüngere Kinder brauchen für gewöhnlich eine Möglichkeit, zu weinen. Dies wird später in diesem Kapitel näher beschrieben.

      6 Der Schlüssel, um effektive Grenzen setzen zu können, liegt in der Fähigkeit, empathisch zu sein. Hierbei handelt es sich nicht um permissive Elternschaft. Sie sind die Person, die führt, und Sie sind verantwortlich dafür, das Verhalten Ihres Kindes zu lenken. Folglich bedeutet Coachen nicht, dass Sie Ihrem Kind einfach alles geben, was es will. Es darf nicht an die Wände malen, die ganze Nacht wach bleiben oder das Baby hauen. Aber gerade wenn wir darauf ­bestehen, dass es sich in Übereinstimmung mit unseren Regeln verhält, können wir ihm zeigen – indem wir zuhören, empathisch sind und gewillt sind, Win-win-Lösungen zu finden –, dass es uns interessiert, was ihm wichtig ist. Empathische Grenzen entschärfen Widerstand, denn das Kind fühlt sich zumindest verstanden, auch wenn es nicht das bekommt, was es will.

      Wenn wir also unser Kind gelassen führen, beinhaltet dies, dass wir daran arbeiten, entspannt zu bleiben und mit Ruhe statt mit Gewalt anzuleiten. Wir leben vor, wie man Bedürfnisse ausdrückt und dem Verhalten einer anderen Person respektvoll Grenzen setzt. Gelassene Eltern wissen, dass sie das Verhalten ihrer Kinder nicht kontrollieren können. Dies kann nur das Kind selbst. Somit gestalten wir mit unserem Kind eine Beziehung basierend auf Vertrauen, damit es für unsere Führung offen ist. Seine gesunden Entscheidungen ergeben vorteilhafte Resultate in seinem Leben: Es beginnt die Vorteile zu erkennen und fängt an, diese erstrebenswerten Verhaltensweisen »in Besitz zu nehmen«. Aus diesem Grund entscheiden

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