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seien eine Baseballmannschaft aus Boston? Der nie die Trainingsjacke ausziehen wollte, auf der sein Name stand? Wie hieß er noch gleich?«

      »Das weißt du ganz genau.«

      »Nein, ich weiß es nicht mehr.« Sie wusste genau, dass Radjif Radjif hieß. Immerhin stand es auf seiner Trainingsjacke. Sie tat das nur, um mich zu ärgern.

      »Das ärgert mich überhaupt nicht«, sagte ich.

      »Natürlich. Ich laufe den ganzen Tag herum und denke, hmm, was könnte ich tun, um dich zu ärgern. Na klar! Unglück in mein Liebesleben bringen.« Matilda kurbelte die Fensterscheibe wieder hinauf, da die Sturmböen immer stärker wurden.

      »Du gibst den Männern keine faire Chance. Denk nur an Tomas.«

      »Fang nicht wieder von diesem schwedischen Alkoholiker an.«

      »Tomas war kein Alkoholiker, sondern Wodkapromoter.«

      »Er ist mir mit zwei Promille in die Seite gefahren, nachdem ich ihn abserviert habe.«

      »Das ist eine unübersichtliche Situation gewesen.«

      »Nachts um zwei im Kreisverkehr an der Hringbraut?«

      »Außerdem tat es ihm leid.«

      »Das Einzige, was ihm daran leid tat, war, dass ich ein schwedisches Auto hatte.«

      »Aber Svend war anders.«

      »Ja. So anders, dass es gar nicht auszuhalten war. Ich habe mich neben ihm nicht ausgehalten. Eine merkwürdige Frau mit einem merkwürdigen Job in einer merkwürdigen Daunenjacke aus einem merkwürdigen Land. Ich hatte das Gefühl, er wollte sein Leben durch mich ironisch brechen, weil sonst alles zu perfekt gewesen wäre.«

      »Was ist daran schlimm, wenn etwas mal perfekt ist? Du wehrst dich so sehr dagegen, das ist ja … neurotisch.«

      »Wenn du nicht so scheißglücklich wärst, könntest du gar nicht so reden.«

      »So ein Quatsch.«

      »Wenn du verliebt bist, muss ich auch jemanden haben. Als wären wir eine verdammte Elefantenherde, wo sich alle zur gleichen Zeit paaren müssen, damit der Nachwuchs nicht das ganze Jahr über die Herde aufhält.«

      Matilda wusste, dass ich für Tiermetaphern sehr empfänglich war. Ich dachte an Elefanten, deren stoisches Vegetationszertrampeln und Bäumezerrupfen sich in eine jähe Paarungsorgie verwandelte, die nach ein paar Stunden ebenso schnell vorbei war, wie sie begonnen hatte. Matilda hatte Recht. Auch mir war aufgefallen, dass sich unsere Beziehungszyklen angeglichen hatten. Nur dass sich bei uns statt Nachwuchs meist Ernüchterung einstellte.

      »Wenn dich dann wieder jemand sitzen lässt, bist du froh, dass ich auch wieder allein bin.«

      »Mich lässt diesmal keiner sitzen!«, sagte ich, vielleicht etwas zu triumphierend.

      »Dich lässt diesmal keiner sitzen. Herzlichen Glückwunsch! Freu dich doch. Und erklär mir, warum ich mich deswegen nicht trennen darf.«

      »Wer sagt das?«

      »Du. Eben gerade.«

      Es überraschte mich, dass sie Recht hatte. Eigentlich hatte ich doch Recht. Ganz abgesehen davon ärgerte es mich, dass Matilda, obwohl sie Recht hatte, nicht einfach mal ihrem Glück eine Chance geben konnte. Aber so was kann man ja nicht sagen.

      »Warum konntest du deinem Glück nicht einfach mal eine Chance geben?«

      »Das darf ich ja wohl selber entscheiden!«

      »Man weiß selber nie, was Glück ist.«

      »Dann sag du es doch. Sag, was für mich Glück ist.«

      »Schon gut, schon gut!«, sagte ich. Dann fragte ich endlich, was ich schon die ganze Zeit fragen wollte:

      »Kann Svend trotzdem mit uns Weihnachten feiern?«

      »Er ist sofort nach Göteborg zurück.«

      »Aber sein Segelboot.«

      »Pff.«

      »Wir wollten doch zusammen Weihnachten feiern. Nur wir vier.« Das war die Idee. Nun war unsere ohnehin sehr überschaubare Familie der weihnachtlichen Wahlverwandschaften bereits am Freitag vor dem ersten Advent um eine Person geschrumpft.

      »Entschuldige, dass ich nicht in deinen Weihnachtsplan passe. Ich bin halt nicht so perfekt.«

      Ich beschloss, trotz des Orkans türenschlagend das Auto zu verlassen, wenn Matilda noch einmal das Wort perfekt in den Mund nehmen sollte. Warum hasste sie es so sehr? Das war ein Wort wie jedes andere, es konnte nichts dafür, dass es um die meisten Menschen so schlecht stand.

      »Was findest du an perfekt bloß so schlimm?«

      »Perfekte Menschen sind keine Menschen.«

      »Das ist so kindisch.«

      »Nein, das ist erwachsen.«

      »Was ist denn an Trotz erwachsen?«

      »Das ist kein Trotz, das ist Desillusionierung.«

      »Ach, und das ist gut?«

      »Das ist nicht gut. Aber erwachsen.«

      »Außerdem war Svend gar nicht perfekt. Er liebt dich bestimmt immer noch.«

      »Kann sein.«

      »Dann hast du ja geschafft, was du wolltest. Du hast es nicht ausgehalten, dass es ihm so gut ging mit dir.« Du gehst zu weit, dachte ich mir. »Er hat seine Träume um dich herum gebaut, und du lässt ihn hierher ziehen, hierher segeln sogar! Dann spielst du ihm zwei Jahre lang ein Glück vor, das du überhaupt nicht in der Lage bist zu empfinden, und schickst ihn danach wieder weg, weil dir einfällt, dass du lieber desillusioniert sein willst, weil das so wunderbar erwachsen ist, und freust dich, dass du einen glücklichen Menschen traurig gemacht hast!«

      »Und du buchst plötzlich deinen Flug um, kommst einen Tag eher, nur um mir das zu sagen?«

      Matilda wusste genau, warum ich einen Tag vor Milan gekommen war. Um bei ihr zu sein. Ich freute mich auf ihre große Wohnung, in der alles so leer war und still, im achten Stock, mit Blick auf das Meer und das Laugar-Tal, den Sportplatz und das Schwimmbad mit der mächtigen Betontribüne. Ich beschloss, ihr nicht zu antworten.

      »Kann ich einen Schluck?«, fragte sie nach einer Weile.

      »Du hast selber.«

      »Ich möchte aber einen Schluck von dir.« Ich gab ihr von meinem Kaffee und wollte gerade sagen, dass es mir leid tat, dass es mit Svend nicht geklappt hatte, da sagte sie:

      »Tut mir leid, dass es mit Svend nicht geklappt hat.«

      »Wollen wir uns heute Abend bei dir treffen?«, fragte ich.

      »Nein, ich …«, Matilda wich meinem Blick schon wieder aus.

      »Ich war so lange nicht mehr in deiner Wohnung«, sagte ich.

      »Lieber bei dir.«

      Ich wollte nicht mehr streiten. Selbst wegen Weihnachten war ich ihr nicht mehr böse. Wir konnten auch zu dritt feiern. Matilda, Milan und ich.

      Milan.

      Milan hatte noch in Hamburg zu tun. Das Universitätskrankenhaus Eppendorf richtete eine internationale Traumatagung aus, bei der er als Assistent des Pressesprechers der psychiatrischen Klinik dabei sein musste. Er war gerade mit dem Studium fertig geworden, und dies war sein erster Job. Danach würde er nach Island kommen. Matilda kannte Milan schon aus Deutschland und mochte ihn mindestens so sehr, wie ich Svend mochte. Sie liebte es, dass er genau wie sie niemals wendete, wenn er sich mit dem Auto verfuhr, wie er ›Abruzzen‹ sagte, wenn er nieste, und wie er sich freuen konnte über eine einzelne Textzeile in einem Lied; sie liebte das fast so sehr, wie ich es liebte, wenn er morgens so verloren in die Welt sah, als hätte er sie noch nie zuvor gesehen.

      Matilda hatte das Fenster

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