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was es bedeutet, wenn man diese Zugreihung umkehrt. Herr T. schrieb, er habe dank der Wagennummerierung seinen reservierten Sitzplatz gefunden und gleich darauf den »Zugbegleiter« (auch so ein Wort!) gehört, wie er über Lautsprecher bekannt gab: »Dieser Zug verkehrt heute in umgereihter Zugreihung…«

      Hä?

      »… das heißt, die erste Klasse befindet sich am Zuganfang.«

      Aha. Und wo war noch mal der Zuganfang?

      Am Bahnsteigende.

      Apropos Anfang und Ende. Da fällt mir ein, was der Zugchef einmal auf einer Fahrt nach Westdeutschland mitteilte: dass nämlich der Zug einen »Zuglaufteil« mit sich führe, der nur bis Köln »verkehre« – und dann? Darüber informierte der Zugchef dergestalt, dass er sagte: »Die Wagen verbleiben in Köln und enden dort.« Und auch Herr H. aus Erlangen schrieb mir, er habe sich neulich »in der Anfahrt« (ach, seufz!) auf Nürnberg befunden, als es hieß: »Der Zug endet hier, bitte alles aussteigen!«

      Dazu bemerkt H. in seinem Brief: »Nachdem ›alles‹ ausgestiegen ist, werfe ich einen wehmütigen Blick auf den noch ganz rüstig aussehenden Zug, der hier endet, und bin froh, daß ich mit meinem Gepäck dem Ende entrinnen konnte!« In der Zeitung las ich dann, die Bahn bemühe sich nun um einen neuen Ton in ihren Ansagen, man werde die Bahnsprache reformieren und zum Beispiel nicht mehr vom »Wagen mit der Ordnungsnummer sieben« reden, wenn man auf den Speisewagen verweise, sondern einfach vom »Wagen Nummer sieben«.

      Eine Sprachwelt geht unter. Endet hier.

      Schade.

      AUFSTELLUNGSORT DES SEINS

      Das Reisen ist ja in den Zeiten der Pauschalreisen und Billigflieger bis zur Unerträglichkeit so banalisiert worden, dass der empfindsame Mensch am liebsten nur zu Hause bliebe. Doch lässt sich beweisen, dass es noch Ziele gibt, an denen es Unglaubliches zu entdecken gibt (→ Betäubunglärm), Abenteuer der Poesie und Leidenschaft, so erregend, dass ich mit dem Gedanken spiele, eine Tourismus-Gesellschaft zu gründen, Wortstoffhof-Tours, warum nicht? Hier eine Auswahl möglicher Ziele:

      Das Hotel S. Mamede in Portugal, auf das mich Frau D. aufmerksam machte, die in einem Münchner Reisebüro arbeitet und der Folgendes angeboten wurde: »Hotel S. Mamede benutzen 41 Viertel und 2 Räume. Alle Viertel haben privative WC, Trockner des Haares, bedingte Luft, Stab, Aufstellungsort des Seins, Aufstellungsort der Mahlzeiten und Aufstellungsort des Fernsehapparates.«

      Das Hotel Principe Palace am Lido di Jesolo in Italien, das Frau T. aus Bischofswiesen kennenlernte. Das Hotel empfiehlt seinen Gästen Exkursionen nach Österreich, wo ein rares Vergnügen angeboten wird: »Durchnässen Sie auf der Atmosphäre des Landes zusammen mit dem Probieren des örtlichen Apfelstrudels.«

      Die kleine Stadt Nant in Frankreich, die Frau V. aus München besuchte. Dort gibt es eine Kirche, an deren Eingang dieses Angebot gemacht wird: »Um Ihnen zu erlauben, die Schönheit besser zu schätzen von dieses Romane Abteikirche: stehen zu Ihrer Verfügung – Ein Zeitmesser, um ›schönen Christus von Nant‹ zu beleuchten, tief in die Die Kirche, an Ihrer Rechte, indem man hineingeht. – Ein Zerstäuber der Umgebungsmusik mit Beleuchtung des ganze angesiedelten Gebäudes, indem man auf der niedrigen Seite der Rechte aufrichtet, angesichts des dritten Pfeilers. Dort ein Stück von 1 Euro zu rutschen, dann zu bewundern.«

      Urlaub auf dem Bauernhof L’Uliveto bei Imperia, wie Frau W. aus Wien ihn kennenlernte: »Für die Entspannung der netten Gäste bietet der Garten Winkel von Schatten und anderen von Tankfüllung allein an … Die Struktur verfügt über fünf Wohnungen von verschiedenen Oberflächen alle mit FERNSEHER satellitare und beraubt Parkplatz … Vorherige nach Buchung kann Ausflüge im Boot machen sowohl für sportliche Fischerei sowohl für die Sichtung von Walen ins Heiligtum der Walfische.«

      Schließlich das Hotel La Perla in Rimini, von dem mir Leser S. berichtete. Es heißt dort auf der Internet-Seite: »Das Hotel La Perla von Rimini hat von Semprini Familie, die eine Erfahrung prahlt, geleitet von darüber hinaus 20 Jahre, siegreiche auch mit dem 1° Preis ›Gradisca 2001,‹ im 2002 und im 2003, außer: Besonderer Preis 2004! Das Hotel La Perla bietet die folgenden Dienste an: Heben Sie; Nacht-Pförtner; Weltraum hat mit Tischen und Stühle auf dem Spaziergang ausgestattet; Herrenfriseur und schmutzige Wäsche-Dienste (auf Bitte); Großer Karpfen-Arche…«

      Wenn man darauf am Ende eines langen Lebens zurückblicken könnte, auf ein Leben voller Reisen. Einmal am Aufstellungsort des Seins gewesen! Einmal Umgebungsmusik zerstäubt! Einmal auf der Atmosphäre Österreichs durchnässt! Einmal das Heiligtum der Walfische gesehen – und auch die Große Karpfen-Arche!

      Alles hätte sich gelohnt, nicht wahr?

      AUF- UND ABSCHMELZEN

      Aus der Welt der Koalitionsverhandlungen drang vor Jahren das Wort »Ehegattensplitting« an mein Ohr. Das hört sich an, dachte ich, wie ein anderes Wort für Scheidung, oder es klingt jedenfalls irgendwie nach einem schweren, mit Äxten ausgetragenen Ehestreit, bei welchem am Ende der eine oder andere Gattensplitter im Flur liegt.

      Aber es ist ein Begriff aus dem Steuerrecht. Man wolle das Ehegattensplitting »maßvoll und flexibel abschmelzen«, sagte damals Frau Göring-Eckardt von den Grünen.

      Abschmelzen.

      Der Sprachfreund staunt, wie jenes wunderbar klangvolle Wort, das Connaisseure am liebsten im Konjunktiv genießen (Hamlet: »Oh, schmölze doch dies allzu feste Fleisch…«), wie dieses Poetenverb also nun in der Hans-Eichel-Welt angekommen ist. Und wie doch das Steuerrecht alles im Leben aufnimmt und sich anverwandelt, auch die Liebe, die stets beginnt mit maßlos-leidenschaftlichem Dahinschmelzen im Arme eines anderen und dann eben endet im maßvoll-flexiblen Abschmelzen von Gattensteuersätzen.

      Schmelzlich, schmelzlich, wie der Chinese sagt.

      In vielen Fällen sind die Vorteile, welche Ehepartner aus dem Splitting ziehen, ja nichts anderes als Schmelzensgeld. Kann eigentlich etwas, das abschmilzt, auch aufschmelzen? Irgendwo bei Goethe heißt es:

      » Das Allerstarrste freudig aufzuschmelzen

      Muss Liebesfeuer allgewaltig glühen.«

      Aber hier liegt der Verdacht nahe, der Alte habe das »auf« bloß aus metrischen Gründen angefügt; ihm wäre sonst der Versrhythmus zum Teufel gegangen. Hätte er übrigens geschrieben »Das Allerstarrste freudig abzuschmelzen«, wäre es das Gleiche gewesen – zwischen Auf- und Abschmelzen ist kein Unterschied, immer wird Hartes weich und Festes flüssig.

      In Ganghofers Roman Das große Jagen findet sich der Satz: »Würdevoll, die Amtsmiene mit einiger Heiterkeit aufgeschmälzt, betrat der Landrichter … den stillgewordenen Hofraum.« Aber hier bedeutet »aufschmälzen«: einer Sache etwas hinzuzufügen, so wie man Maultaschen oder Brotsuppe mit Fett aufschmälzt, nicht wahr? Vor Jahren noch hätte man gesagt: »Frank Lehmann, die Berichterstattermiene mit einiger Heiterkeit aufgeschmälzt, verkündet uns Tag für Tag das Abschmelzen der Aktienkurse.« Sie erinnern sich an Lehmann? Das war jener Herr, der früher vor der Tagesschau die Börse kommentierte, lustig wie im Kasperltheater.

      Man wartete immer, dass einer kam und ihm mit Kasperls Klatsche auf den Kopf haute. An manchen Tagen wollte man’s am liebsten selbst tun.

      Was noch mal das Ehegattensplitting angeht, so handelte es sich bei seinem Abschmelzen um eine Steuererhöhung, wenn ich alles richtig verstanden habe. Seltsam: Gewinne, Aktienkurse, Vermögen, auch die Polkappen – alles schmilzt ab. Aber die Zeiten werden immer kälter und härter.

      AUSGEMACHTENUDELTUCKE

      Dank eines weit gespannten Leserkorrespondentennetzes bin ich seit einiger Zeit in der Lage, über kulinarische Entwicklungen in aller Welt zu berichten, von denen man anderswo nicht mal etwas ahnt (→ Drahthuhn, Fischtageszeitung, Huhntorte). In diesem Kapitel

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