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deren Kriminalitätsrate zu erklären, und benennt das je nach Hautfarbe enorm unterschiedliche Vorgehen in jedem Stadium des Strafrechtsverfahrens – bei Durchsuchungen, bei der Festnahme, beim Aushandeln der Strafe mit dem Gericht und bei der Verurteilung. Kurz, in diesem Kapitel wird erklärt, wie die gesetzlichen Regeln, nach denen das System funktioniert, zwangsläufig zur Diskriminierung führen. Diese gesetzlichen Regeln garantieren, dass die Unterkaste überwiegend aus People of Color besteht.

      Kapitel 4 zeigt, wie das Kastensystem nach der Entlassung aus dem Gefängnis funktioniert. Die Entlassung aus dem Gefängnis bedeutet in vieler Hinsicht nicht den Beginn der Freiheit, sondern vielmehr eine grausame neue Phase der Stigmatisierung und Kontrolle. Unzählige Gesetze, Vorschriften und Regeln diskriminieren die ehemaligen Straftäter und verhindern praktisch ihre echte Reintegration in die normale Arbeitswelt und die Gesellschaft. Ich behaupte, dass die mit dem »Gefängnisetikett« verbundene Scham und das Stigma in mehrfacher Hinsicht der afroamerikanischen Gemeinde mehr Schaden zufügen als einst Jim Crow. Die Kriminalisierung und Dämonisierung schwarzer Männer spaltet ihre Community, bringt die Familien auseinander, zerstört das Netz gegenseitiger Unterstützung und verstärkt die Scham und den Selbsthass der heutigen Parias.

      Die vielen Parallelen zwischen der Masseninhaftierung und Jim Crow, deren wichtigste die gesetzlich gebilligte Diskriminierung ist, werden in Kapitel 5 nachgezeichnet. Wie Jim Crow marginalisiert die Masseninhaftierung große Teile der afroamerikanischen Gemeinde, segregiert sie physisch (in Gefängnissen und Gettos) und durch die Diskriminierung beim Wählen, im Arbeitsleben, bei der Wohnungssuche, in der Bildung, bei Sozialleistungen und beim Dienst in Geschworenengerichten. Die Bundesgerichte haben das gegenwärtig System praktisch gegen den Vorwurf rassistischer Vorurteile abgeschirmt, so wie frühere Kontrollsysteme vom Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten geschützt und verstärkt wurden. Aber das ist noch nicht alles. Wie Jim Crow trägt die Masseninhaftierung zur Definition dessen bei, was »Rasse« in Amerika bedeutet und welchen Stellenwert sie hat. Das Stigma der Kriminalität wirkt ganz ähnlich wie einst das Stigma der Rasse. Es rechtfertigt eine gesetzliche, soziale und ökonomische Grenzziehung zwischen »uns« und »ihnen«. In Kapitel 5 werden aber auch Unterschiede zwischen Sklaverei, Jim Crow und Masseninhaftierung erläutert, vor allem die Tatsache, dass die Masseninhaftierung dazu dient, einen ganzen Bevölkerungsteil, der für überflüssig erklärt wird, wegzusperren, weil er in der neuen globalisierten Wirtschaft nicht benötigt wird, während frühere Kontrollsysteme dazu dienten, schwarze Arbeiter auszubeuten und auf ihren Platz zu verweisen. Außerdem widmet sich dieses Kapitel den Auswirkungen des neuen Kastensystems auf Weiße: Auch wenn sie nicht das vorrangige Ziel des Kriegs gegen die Drogen sind, werden sie dennoch davon beeinträchtigt – eine beeindruckende Illustration dessen, wie ein rassistischer Staat Menschen jeder Hautfarbe beschädigt. Und schließlich ist das Kapitel auch eine Antwort auf Kritiker, die behaupten, die Masseninhaftierung könne schon deshalb nicht als rassisches Kastensystem bezeichnet werden, weil das »harte Durchgreifen gegen Kriminalität« auch von Afroamerikanern gutgeheißen werde. Aber das überzeugt heute so wenig wie vor hundert Jahren, als Schwarze und Weiße sagten, die Rassentrennung spiegele lediglich die »Wirklichkeit« wider, nicht aber rassistische Feindseligkeit, und die Afroamerikaner täten besser daran, an sich selbst zu arbeiten, statt Jim Crow zu bekämpfen. In unserer Geschichte hat es immer Afroamerikaner gegeben, die aus verschiedenen Gründen das herrschende Kontrollsystem verteidigten oder sich damit gemein machten.

      In Kapitel 6 geht es um die Frage, was die Existenz des Neuen Jim Crow für die Zukunft der Bürgerrechtsbewegung bedeutet. Ich bin der Meinung, dass nichts weniger als eine große soziale Bewegung nötig ist, um das neue Kastensystem endgültig abzuschaffen. Zwar können auch ohne eine solche Bewegung bedeutende Reformen erreicht werden, aber so lange der öffentliche Konsens, der das gegenwärtige System stützt, nicht vollständig überwunden ist, wird es intakt bleiben. Doch auch der Aufbau einer sozialen Bewegung auf breiter Basis wird nicht reichen. Es genügt nicht einmal annähernd, die Wähler davon zu überzeugen, dass zu viele Menschen inhaftiert werden und Drogenmissbrauch ein öffentliches Gesundheitsproblem ist, kein Verbrechen. Wenn es einer kommenden Bewegung zur Bekämpfung der Masseninhaftierung nicht gelingt, sich der entscheidenden Rolle des Konstrukts »Rasse« in unserer Gesellschaftsstruktur zu stellen und eine Ethik echter Fürsorge, des Mitgefühls und der Anteilnahme an Menschen aller Schichten oder Klassen, Hautfarben und jeder Herkunft in unserem Land (einschließlich der armen Weißen, die oft gegen arme People of Color ausgespielt werden) zu entwickeln, wird selbst das Ende der Masseninhaftierung nicht das Ende der rassisch definierten Kaste in Amerika bedeuten. Es wird unausweichlich ein neues System rassistischer sozialer Kontrolle entstehen, das wir nicht voraussehen können, genauso wie das gegenwärtige System der Masseninhaftierung vor dreißig Jahren von niemandem erahnt wurde. Keine Aufgabe der Bewegung für Rassengerechtigkeit ist heute dringlicher, als dafür zu sorgen, dass Amerikas gegenwärtiges rassisches Kastensystem sein letztes sein wird.

      1

       Die Rückkehr der Kastengesellschaft

      Der Sklave trat in die Freiheit; er stand einen Augenblick in der

      Sonne; und schon ging es wieder zurück in die Sklaverei.

      W.E.B. Du Bois, Black Reconstruction in America

      Seit mehr als hundert Jahren schreiben Historiker über den illusorischen Charakter der Emanzipations-Proklamation, mit der Präsident Abraham Lincoln die Sklaven in den Konföderierten Staaten befreien wollte. Tatsache ist, dass dadurch kein einziger schwarzer Sklave seinen Herrn verlassen konnte. Bevor die Schwarzen in den Südstaaten ihre Freiheit erhielten, musste erst ein Bürgerkrieg gewonnen werden, der Hunderttausende das Leben kostete. Doch auch diese neue Freiheit entpuppte sich als illusorisch. Die ehemaligen Sklaven genossen »einen Augenblick in der Sonne«, wurden aber bald wieder in einen Zustand ähnlich dem der Sklaverei gezwungen, wie W. E. B. Du Bois plastisch schildert. Als die Gegenreaktion der Weißen auf die sogenannte Reconstruction, die Wiedereingliederung der Südstaaten nach dem Bürgerkrieg unter Aufsicht der Nordstaaten, an Fahrt gewann, zeigte sich, dass die Zusatzartikel zur Verfassung, nach denen auch den Afroamerikanern »der Schutz durch das Gesetz« und das Wahlrecht garantiert werden sollten, genauso wirkungslos waren wie die Emanzipations-Proklamation. Die schwarze Bevölkerung war bald wieder so machtlos wie eh und je. Viele fanden sich in Strafgefangenenlagern wieder, die sie als Zwangsarbeiter vermieteten. Dieses System war in vielerlei Hinsicht noch schlimmer als die Sklaverei. Nach dem kurzen Augenblick der Sonne senkte sich wieder Finsternis herab, und ein neues System der Segregation entstand, das unter dem Schlagwort »Jim Crow« bekannt wurde – ein System, das die Schwarzen fast wieder auf ihren Ausgangspunkt zurückverwies, den einer aufgrund ihrer Rasse untergeordneten Kaste.

      Dass dem Ende der Sklaverei ein System wie Jim Crow folgte, verwundert kaum jemand. In Geschichtsbüchern wird dies als zwar bedauerliche, aber angesichts des virulenten Rassismus des Südens und der politischen Dynamik jener Zeit vorhersehbare Entwicklung beschrieben. Viel beachtlicher ist da schon, wie nahezu unbemerkt in den Jahren nach dem Zusammenbruch von Jim Crow eine ganz ähnliche politische Dynamik bald wieder ein neues Kastensystem entstehen ließ – eines, das bis heute fortbesteht. Im »Black History Month«, alljährlich im Februar in den USA begangen, wird gewöhnlich eine Erfolgsgeschichte präsentiert: Offiziell gilt das System der rassisch definierten Kasten als überwunden und begraben. Wer das Gegenteil behauptet, erntet ungläubiges Staunen. »Wie kommen Sie darauf, dass heutzutage ein rassistisches Kastensystem existiert? Denken Sie mal an Barack Obama! Oder an Oprah Winfrey!«, heißt es dann.

      Doch der Erfolg einiger Afroamerikaner bedeutet noch lange nicht, dass es so etwas wie ein rassisches Kastensystem nicht mehr gibt. Ein solches System hat in den Vereinigten Staaten nie für alle Schwarzen im gleichen Maß gegolten. Es gab immer »freie Schwarze« und Schwarze, die es in der Gesellschaft zu etwas bringen konnten, sogar in Zeiten von Sklaverei und Jim Crow. Wenn heute einige Schwarze auch in ehemals rein weißen Domänen sensationelle Erfolge erzielen, so bedeutet dies allenfalls, dass das alte Jim-Crow-System tot ist, aber nicht notwendigerweise das Ende des rassischen Kastensystems überhaupt. Wenn man irgendwas aus der Geschichte lernen kann, dann vielleicht dass das System einfach eine andere Form gefunden hat.

      Wer

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