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      Über das Buch

      Kabul, Paris, Los Angeles. Die Schicksale dreier Helden, die ihre Identität suchen, finden und wieder verlieren, rasant verknüpft mit politischem Weltgeschehen. Ein spannender Roman, der poetisch und mit surrealem Humor von der Sehnsucht nach Zugehörigkeit erzählt.

      Sommer 2001. »Survivor« von Destiny’s Child geht um die Welt wie ein Omen für kommende Ereignisse. Im Pariser Penthouse von Hasir Zaman, einem wohlhabenden Exil-Afghanen, tanzt zu der Melodie die mysteriöse Frau, die er verführen möchte. Beyoncés Stimme schleicht sich in die sündigen Gedanken seines Neffen Sameer, der im Waisenhaus von Kabul aufwächst. Der Song schallt aus dem Lautsprecher eines geheimen Trainingslagers, wo Leutnant Ryder, ein US-Marine, für einen internationalen Spezialeinsatz ausgebildet wird. Und die Hymne übertönt das Surren der Drohnen im Hindukusch, als sich dort die Schicksale der drei ›Überlebenden‹ untrennbar verstricken. Eva Munz erzählt von Zugehörigkeit und Identität in einer aus den Fugen geratenen Welt, von trügerischen Wahrheiten im Zerrbild der Medien, von der Unzuverlässigkeit der Erinnerung und einer fragwürdig gewordenen Männlichkeit. Wer ist Freund, wer Feind? Vor allem: Wer bin ich und wer darf ich sein?

      Die Autorin

      Eva Munz studierte an der HFF München Film und arbeitete viele Jahre als Regisseurin und Journalistin in verschiedenen Ländern Asiens. Heute lebt sie in New York und schreibt für Magazine und Tageszeitungen. Eva Munz ist Co-Autorin von Die totale Erinnerung – Kim Jong Ils Nordkorea (2006) und hat Kurzgeschichten in Anthologien veröffentlicht. Oder sind es Sterne ist ihr erster Roman.

       Eva Munz

       ODER SIND ESSTERNE

       Roman

      IN A DREAM YOU SAW

      A WAY TO SURVIVE

      AND YOU WERE FULL OF JOY

      Jenny Holzer

      SAMEER

      KABUL

      KURZ VOR SONNENAUFGANG hat sich die Schlange noch gehäutet, dann ist sie eingegangen. Wie ein Geist zittert ihre abgestoßene Haut nun neben dem Kadaver in der Brise. Ein süßlicher Geruch hängt in der Hütte, die sich an den Berg im Norden der Stadt klammert. Der Tanz der Cobra sollte mein kaputtes Auge heilen, Mullah Usmeen und ich haben den ganzen Weg durch Kabul umsonst zurückgelegt. Der Mullah kräuselt seine Nase – sie ragt wie eine gebrochene Flöte aus seinem faltigen Gesicht – und spricht dem Schlangenbeschwörer Trost zu. Dann machen wir uns auf den Rückweg ins Waisenhaus.

      Der rostige Ventilator hängt untätig von der Decke des Klassenzimmers, es ist unerträglich heiß diesen Sommer. Wir haben schon lange keinen Strom mehr. Unsere Stimmen verschmelzen beim Aufsagen der Sure, die besagt, dass nur Allah die Vögel in den Lüften hält. Wenn ich Flügel hätte, ich würde sie ausbreiten, den Wind durch die Federn wehen lassen und davonfliegen. Aber ich sitze hier am Boden fest.

      Manchmal wünsche ich mir, ich wäre unsichtbar und niemand könnte mein rotes Teufelshaar oder meine Sommersprossen sehen, niemand würde seinen Blick von meinen grünen Augen abwenden müssen. Ich wünschte, niemand könnte erkennen, dass ich der Sohn einer Hure bin, die sich von einem sowjetischen Dreckschwein hat nehmen lassen. Die Sünden meiner Mutter stehen in meinem Gesicht geschrieben. Jeden Tag muss ich dafür büßen. Einmal habe ich mir freiwillig eine widerliche Schnecke übers Gesicht kriechen lassen, in der Hoffnung, der Schleim würde die Punkte wegradieren, vergeblich. Früher wurde ich nur gehänselt, inzwischen haben sich alle gegen mich verschworen, und sobald die Erwachsenen wegsehen, bin ich fällig.

      Irfahn wirft einen Kiesel auf meine takke, seinen Tritten habe ich das zugeschwollene Auge zu verdanken. Zu dritt haben sie mich verprügelt in jener Nacht, so schlimm war es noch nie. Ein andermal haben sie mir im Schlaf die Haare angezündet. Sie nutzen jede Gelegenheit, um mich zu quälen. Ich würde das Unheil anziehen, sagen sie. Langsam glaube ich es selbst.

      Ich hätte schon lange abhauen sollen, weit weg von hier, aber am Ende traue ich mich doch nie. Die Bärtigen sammeln Buben von der Straße ein, bringen sie in die Berge und zwingen sie, schlimme Dinge zu tun, von denen nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird. Im Frühling sind sie im Hof der Schule vorgefahren und haben AliAli geholt, er war der Einzige, der mich in Ruhe ließ. AliAli hieß eigentlich Ali, aber weil er alles doppelt und dreifach sagte und sich immer hin und her bewegte, nannten ihn alle AliAli. Er litt unter Anfällen, bekam oft Krämpfe, einmal quoll sogar Schaum aus seinem Mund. Meistens schwebte er auf einer Wolke des Glücks. Ich beneidete ihn, trotz der Krämpfe. Die Bärtigen kitzelten AliAli, und er wirbelte im Kreis wie ein besessener Derwisch. Mullah Usmeen kam angerannt und bat sie, ihn in Ruhe zu lassen. Er appellierte an den Glauben der Männer. Sie stießen den Mullah in den Dreck und warfen AliAli auf die Ladefläche ihres Wagens, dort, wo das Maschinengewehr befestigt war. Als sie abfuhren, winkte AliAli vom Wagen, lachend. Selbst Irfahn wischte sich Tränen weg.

      Seitdem weiß ich, dass wir auch hier nicht sicher sind und dass die Gelehrten uns nicht schützen können. Das Böse lauert überall.

      LEUTNANT RYDER

      SAN DIEGO

      RYDER IST GRUNDZUFRIEDEN mit diesem Tag. Ein Tag wie je-der andere. Die Sonne Kaliforniens scheint wie immer gelangweilt auf den Stützpunkt. Alltag und Routine sind eingezogen und haben die Vergangenheit weichgespült. Ryder hat die Ausbildung bei den Marines bestanden, seitdem ist das Soldatenleben ein Spaziergang. Militärkonfrontationen auf amerikanischem Boden unwahrscheinlich. Somalia ein unscharfer Fleck auf der Weltkarte. Truppen im Kosovo nur noch mit Friedenstauben bewaffnet. Kriegsführung zukünftig ferngesteuert. Der amerikanische Soldat im Schützengraben wird bald ein Anachronismus sein.

      Ryder kann sich zurücklehnen. In ein, zwei Jahren wird er sich von einer Sicherheitsfirma anstellen lassen und bei Geldtransporten eine ruhige Kugel schieben oder ein paar Omas vor einem Waldbrand retten. Sogar die verkochten Rippchen in der Kantine sind bei diesen Aussichten akzeptabel.

      Da grätscht ausgerechnet dieser General in seine geordnete Idylle. »Ah, ich liebe den Geruch von Meister Proper!«, ruft er und atmet tief ein. »Hygiene! Segnung der freien Welt!« Surfer-Bräune, silbriger Dreitagebart, Pilotenbrille. Die Uniform hängt locker am drahtigen Körper, als wäre sie vom Kostümverleih. Der General wirkt wie ein Schauspieler, der sich bemüht, gleichzeitig authentischer und unattraktiver daherzukommen, als er wirklich ist. Wie alt kann er sein? Fünfzig? Sechzig?

      Das Namensschild Bender, Sterne und alle erdenklichen Orden dekorieren seine Jacke. Anscheinend ist er ein hohes Tier.

      »Was hat der Spaßvogel hier verloren?«, fragt Ryder seinen Kumpel Kellogg, der ihm Nägel kauend beim Essen zusieht.

      Der General kann den Schuss nicht gehört haben, wenn er vorhat, hier mit den Gefreiten zu speisen. Die Kantine des Stützpunkts ist nicht gerade für ihre Gourmetküche bekannt. Streunende Hunde drüben in Mexiko ernähren sich besser. Sogar der fiese Drill-Sergeant bringt sein eigenes Essen mit, dabei kann er seit dem Balkankrieg nichts mehr riechen.

      Küchenkraft Lupe beobachtet den General aus dem Schützengraben ihrer rostfreien Anrichte.

      »Wunderschönen guten Tag, Fräulein Lupe.«

      Ryder kann Lupe aus der Entfernung schlucken sehen.

      »Ich bin General Lawrence Bender, Freunde nennen mich Larry. Ich werde demnächst öfter in diesem Etablissement vorbeischauen, die Atmosphäre auf mich wirken lassen, sozusagen. Hätten Sie heute noch etwas anderes zur Auswahl außer den Rippchen? Ich bin Vegetarier, keiner dieser Fundamentalisten, also Eier sind durchaus in Ordnung.«

      Lupes tätowierte Augenbrauen fahren hoch, und ihr Häubchen staut sich in ihrem Nacken. »Sir, ich hab noch Hühner-Curry mit Ananas, von gestern, Sir.« Sie wischt sich ein paar Schweißperlen vom Oberlippenflaum und klatscht das atomgelbe Zeug auf

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