Скачать книгу

Stück zurücktragen und jagte schließlich, den treibenden Wind im Rücken, nach unten und in ein Wellental hinein. Unsichtbar für mich hielt er sich tief hinter der Woge, flog eine Strecke in dem Tal dahin, parallel zu den Wasserwänden an beiden Seiten, und schoss dann plötzlich etwa zwanzig bis dreißig Meter weiter im reißenden Aufwärtsflug aus dem Wellental und ließ sich vom Aufwind der Woge wieder in die Höhe tragen. Das ganze Manöver wiederholte er zu meiner Begeisterung immer wieder, als wollte er eine Vorstellung geben. Wenn er in einer langen Kurve am Schiff vorbeizog, sah man, dass er die breiten Füße zum Steuern benutzte, er hielt sie senkrecht neben dem kurzen Schwanz. Es war eine Darbietung von fliegerischer Eleganz und Kühnheit, die kaum zu übertreffen war, atemberaubend schön und wild zugleich, und sie schien ganz zweckfrei zu sein.

      Warum machte der Vogel das, wenn nicht aus reiner Lust am Flug, am Vergnügen, mit dem harten Wind und der hohen See zu spielen? Ich hatte mich dasselbe gefragt, als ich ein paar Tage zuvor einen Wal aus dem Meer hervorbrechen sah, etwa dreihundert Meter vom Schiff entfernt. Es war ein Buckelwal, und er musste unter Wasser einen ungeheuren Anlauf genommen haben, um sich ganz aus seinem Element, dem Wasser, herauszukatapultieren. Das gewaltige Tier stand einen Augenblick senkrecht in der Luft, nur die Schwanzflosse blieb zu einem Teil im Wasser, um sich dann, langsam, so schien es, seitlich kippend wie ein gefällter Baum wieder mit einem enormen Aufklatschen und Aufschäumen ins Wasser fallen zu lassen. Es war ein Weibchen mit einem Kalb. Immer wieder tauchte es, blieb Minuten unter Wasser, um dann unvermittelt wie in einer Explosion senkrecht aus dem Wasser herauszubrechen. Das Kalb schwamm in der Nähe herum. Auch der Wal schien das »aus Spaß« zu machen – oder gibt es einen verborgenen Zweck hinter den Steilflügen des Schwarzbrauenalbatros und dem gewaltigen Herausschnellen der Wale? Freute sich die Walmutter so überschwänglich, weil es ihr gelungen war, ihr Kalb aus den wärmeren Wassern um den Äquator hier herunterzuführen, wo es endlich wieder unerschöpfliche Nahrung gab? Liebte der Albatros den Wind so sehr, dass er diese berauschenden Manöver vollführte? Geht das zu weit? Unterstellt man da Tieren zu viel an menschlichem Gefühl? Schon Darwin hat sich diese Frage gestellt. Beantworten kann sie niemand.

      Der Schwarzbrauenalbatros führte noch immer sein Kunststück auf, aber das Schiff entfernte sich, stetig mit den Wellen rollend, weiter von ihm, und bald sah ich sein Aufsteigen im Aufwind der Woge nur noch als kleinen schwarz-weißen Punkt in der Weite des Meeres. Ich hielt ihn so lange wie möglich im Glas, überwältigt von diesem Schauspiel der Flugkunst auf der endlosen Bühne des Meeres.

      Grenzen scheint der Schwarzbrauenalbatros nicht zu kennen. Die Welt ist klein für diesen großen Flieger. Er ist es, der manchmal nach Norden fliegt, immer weiter nach Norden, bis er vor Schottland oder Sylt, bei den Orkneys, den Shetlandinseln oder vor der norwegischen Küste auftaucht. Auch an der amerikanischen Ostküste ist er gesichtet worden, etwa vor North Carolina oder Massachusetts, und selbst an der grönländischen Küste hat man ihn beobachtet. Man sieht ihn in Südafrika, Australien und Neuseeland, im Indischen Ozean, aber vor allem ist er im Südatlantik zu Hause, in dem riesigen Seegebiet zwischen der Packeisgrenze und dem Wendekreis des Steinbocks, der sich etwa auf der Höhe von Rio de Janeiro und südlich von Madagaskar um den Globus zieht, aber es gibt auch Albatros-Kolonien im Indischen Ozean und im südlichen Pazifik. Offenbar ist er unermüdlich, keine Reise ist ihm zu weit.

      Ich verließ das Heck und ging hinein, um mich irgendwo aufzuwärmen. Ich dachte an die beiden berühmten Gedichte, die sich mit dem Albatros verbinden, das von Baudelaire, in dem er den Poeten mit dem Albatros vergleicht – schwerfällig, fast hilflos an Land, was für den Poeten gleichbedeutend mit dem Alltag ist, und unerreicht in seiner Kunst des Fliegens, was für den Dichter natürlich der Flug der Fantasie ist.2 Wobei Baudelaire glaubte, dass die riesigen Flügel des Albatros ihm beim Gehen an Land behinderten, was in der Logik des Gedichts liegt, aber ornithologisch nicht richtig ist. Dass er aber an Land sehr unbeholfen ist, besonders bei der Landung, ist wahr, wie ich des Öfteren beobachtet habe.

      Das andere Gedicht ist die lange Ballade von Coleridge, »The Rime of the Ancient Mariner«3, in der der alte Seefahrer immer wieder davon berichten muss, dass er einst mit seiner Armbrust einen Albatros erschoss. Ein Fluch liegt auf ihm, er ist gezwungen, bestimmten Menschen seine Geschichte zu erzählen. Und er erkennt jeweils sofort den Mann, der ihn anhören muss, auch wenn der viel lieber auf die Hochzeit einer Verwandten ginge. Aber zu dem Fluch gehört auch die Unfähigkeit des Angesprochenen, sich abzuwenden. Der Blick des Alten hält ihn unerbittlich fest, er muss zuhören. Seine Geschichte beginnt mit den klassischen Worten: »There was a ship …«, und der Gipfelpunkt ist das Eingeständnis, dass der alte Seefahrer ohne Not den menschenfreundlichen Albatros erschossen hat. Das ist sein Sündenfall, und dafür wird er bestraft, wie er auf die Frage des Hochzeitsgastes eingesteht:

      God save thee, ancient mariner, from the fiends that plague thee thus.

      What lookst thou so? – With my crossbow I shot the albatross.

      Dieser Albatros ist sehr wahrscheinlich ein Schwarzbrauenalbatros gewesen, denn der folgt gerne Schiffen, und tut das oft über mehrere Tage. Angeblich verdankt sich die wilde Intensität des langen Gedichts der Tatsache, dass Coleridge unter dem Einfluss von Opium stand und das Gedicht wie in einem Fieberanfall niederschrieb. Später fürchtete er, die Leute würden nicht verstehen, was er da gesagt hatte, und fügte ganz überflüssige Kommentare und Erklärungen als Marginalien hinzu.

      Bei zwei der ehemaligen Walfangstationen auf South Georgia, Grytviken und Stromness, die nun schon seit vielen Jahren verlassen waren und still verfielen, waren wir an Land gegangen. Die Station an der Stromness Bay war jene, in welcher der erschöpfte Shackleton mit seinen Gefährten Worsley und Crean auftauchte und von den erstaunten Walfängern in Empfang genommen wurde. Er hatte die Fahrt im offenen Boot von Elephant Island nach South Georgia hinter sich gebracht, etwa tausend Meilen in den stürmischsten Gewässern der Welt – eine der größten seemännischen Leistungen aller Zeiten. Worsley war es, der das Wunder einer Navigation vollbrachte, die verhinderte, dass sie auf dem weiten, wilden Meer an der kleinen Insel South Georgia vorbeisegelten – ins Nirgendwo. Sie waren an der Südküste gelandet und mussten die schneebedeckten Berge überqueren, die das Rückgrat der Insel bildeten, denn der Weg die Küste entlang war unpassierbar, und um die Insel herumzusegeln erschien Shackleton bei den stürmischen Winden zu gefährlich. Er wollte kein Risiko mehr eingehen, denn er wusste, dass die zurückgebliebenen Männer auf Elephant Island zum Untergang verurteilt waren, wenn er nicht zurückkehrte, um sie zu retten. Dass er sie nach zwei Jahren tatsächlich alle nach England zurückbrachte, macht seinen Ruhm aus und bedeutete ihm am Ende mehr als die Erkundung der Antarktis. Er ließ drei Männer der Besatzung an der südlichen Küste South Georgias zurück und versuchte, mit Worsley und Crean die schneebedeckten Berge zu überqueren, auf deren anderer Seite sich die Stromness Bay mit der Walfangstation verbarg. Die Überquerung erschöpfte ihn und seine beiden Begleiter so, dass sie mit Wahnvorstellungen zu kämpfen hatten. Berühmt wurde Shackletons hartnäckiges Gefühl, dass noch einer mit ihnen ging, eine rätselhafte Gestalt, die sich keiner von ihnen erklären konnte. Shackleton deutete das später religiös:

      Wenn ich an diese Tage zurückdenke, habe ich keinen Zweifel daran, dass die Vorsehung uns geleitet hat … Während jenes langen, zermürbenden Marsches von sechsunddreißig Stunden über die namenlosen Berge und Gletscher South Georgias hatte ich oft das Gefühl gehabt, wir seien nicht zu dritt, sondern zu viert. Ich redete darüber nicht mit meinen Gefährten, aber hinterher sagte Worsley zu mir: »Boss, ich hatte das seltsame Gefühl, als wäre auf dem Marsch noch jemand anderes bei uns gewesen.« Crean gestand mir dasselbe.4

      Dieses Rätsel fand Eingang in T. S. Eliots großes Gedicht, das berühmte »The Waste Land«: »Who is the third who walks always beside you?«5, heißt es da, wobei Eliot die drei, Shackleton, Worsley und Crean, auf zwei Männer reduziert hat. Sicherlich wusste Eliot, dass sie zu dritt waren, aber ein geheimnisvoller Dritter ist einfach poetischer als ein Vierter. Den letzten Steilhang auf der Nordseite South Georgias rutschten sie auf dem Hosenboden herunter, weil sie nicht mehr die Kraft hatten, vorsichtig abzusteigen. Worsley und Crean wollten rasten und langsamer vorangehen, aber Shackleton trieb sie an. Sie mussten es noch an diesem Tag schaffen, darauf bestand er mit eiserner Willenskraft. Später stellte sich heraus, wie recht er gehabt hatte. In der Nacht brach ein Sturm los, den die

Скачать книгу