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was dem Auszugrenzenden für seine politischen Positionen überhaupt Anlass gibt. Dann kann man sich etwa über „offensichtlich unbegründete“ Ängste lustig machen oder diese als „bloß vorgeschoben“ ausgeben – und die „eigentlichen Gründe“ in zweckgerecht düsteren Farben ausmalen. Noch mehr ist erreicht, wenn dem Gegner wichtige Begriffe weggenommen sind, oder wenn zumindest deren öffentlicher Gebrauch durch eine passende Ziehung von „Grenzen des Sagbaren“ unterbunden oder leicht skandalisierbar geworden ist. Dann nämlich lassen sich jene Unterscheidungen und Bewertungen, auf die es dem Andersdenkenden ankommt, nur noch gegen unmittelbar erhobenen Widerspruch vortragen – und setzt den Gegner allein schon seine Wortwahl ins Unrecht.

      Die nächste Stufe des Ausgrenzens ist erreicht, wenn man seinem Gegner Etiketten anheften kann, von denen „ein jeder weiß“, dass sie jemanden wirklich als einen „schlechten Menschen“ ausweisen. Am besten beginnt man mit dessen Einschätzung als „notorischer Querulant“ oder als „Ewiggestriger“. In Deutschland macht es sich bei einer solchen „strategischen Kontextbildung“ besonders gut, wenn man jemanden als „Rechtspopulist“, als „Faschist“ oder – neuerdings populär – als „Rassist“ ausgeben kann. Und falls am Auszugrenzenden allzu wenig direkt erkennbar Übles auffällt, hilft meist die Rede vom „Extremismus der Mitte“, den der Auszugrenzende verkörpere. Außerdem ist es auf dem Weg zu nachhaltiger Ausgrenzung besonders nützlich, wenn man den Auszugrenzenden als die personifizierte Erscheinungsform eines für die Allgemeinheit gefährlichen Typus hinstellen kann. Dann nämlich richtet sich das Ausgrenzungsverlangen nicht mehr gegen einen – unter anderen Umständen vielleicht sogar sympathischen – Mitmenschen oder sein konkretes Tun, sondern schlechterdings gegen das Böse sowie gegen dessen Verkörperung im Feind. Das erlaubt dann auch Ansprüche auf eigene moralische Überlegenheit, die sich für alle praktischen Zwecke nicht mehr entkräften lassen.

      Wer aber einmal Schellen trägt wie die, ein „Latenznazi“ oder ein „Populist“ zu sein, der kann anschließend mit großer Plausibilität um seine öffentlichen Auftritte gebracht werden. Einem Rechtsradikalen oder Rassisten darf man „keine Bühne bieten“; also gehört er nicht mehr als gleichberechtigter Gesprächspartner in Talkshows – und natürlich auch nicht mehr auf Diskussionspodien oder an Rednerpulte. Perfekt wird das Ergebnis solchen Vorgehens, wenn sich der Auszugrenzende alsbald nicht nur Blößen gibt, die derlei Ausgrenzung nacheilend rechtfertigen, sondern wenn er auf solchen Ausgrenzungsdruck gar noch dahingehend reagiert, dass er seine Außenseiterrolle eben annimmt und sich voller Trotz selbst immer mehr ins Unrecht setzt.

      Das Ausgrenzen kann aber noch weiter gehen. Anzustreben ist es, den Abweichler vor einen „virtuellen Gerichtshof“ zu bringen – etwa: ihn in einer Talkshow „fertigzumachen“ und den entsprechenden Videoclip dann ins Internet zu stellen. Vielleicht kann man dem Auszugrenzenden auch ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren anhängen; es wird schon etwas hängen bleiben. Das Ziel ist erreicht, wenn der Auszugrenzende als „nicht mehr ernst zu nehmen“ gilt, wenn er nicht mehr als ein „redlicher Fachmann“, ja vielleicht nicht einmal mehr als ein „akzeptabler Mitbürger“ angesehen wird. Und zum erwünschten Abschluss gelangt das Ausgrenzen, wenn der Gegner sich aus der Öffentlichkeit zurückzieht, in einer Diktatur vielleicht eingesperrt oder exiliert, in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert, womöglich auch umgebracht wird.

      Alle diese Ausgrenzungsschritte lassen sich aufs Beste mit Häme gegenüber „den Bösen“ und mit sich selbst feiernden symbolischen Aktionen „der Anständigen“ abrunden. Besonders wirkungsvoll ist es, wenn sich zur Häme nicht nur ernst zu nehmende Drohungen gesellen, sondern wenn diese auch exemplarisch ins Werk gesetzt werden: von der Verhinderung öffentlicher Reden bis hin zur Umwidmung von Torten zu anklägerischen Wurfgeschoßen, von diskursverhindernden Sprechchören übers Steinewerfen bei Demonstrationen bis hin zu Anschlägen auf Büros, Fahrzeuge und Menschen. Zur wechselseitigen Praxis geworden, beschädigt das alles eine bislang bestehende Bürgergesellschaft von innen heraus und untergräbt die Grundlagen ihrer pluralistischen Demokratie.

      6. Zu beherzigende Lehren

      Man wird sich der Vorteile einer Bürgergesellschaft nur solange erfreuen, wie wünschenswerte Streitlust oder Radikalität gerade nicht zur Gewaltanwendung führen, wie also dem jeweiligen Streitgegner – und sei er auch ein Radikaler – gerade nicht mit Gewalt begegnet wird. Deshalb sind unbedingt die folgenden Regeln zu akzeptieren und zu befolgen. Erstens: Gewalt, die gegen Gesetze verstößt, ist grundsätzlich abzulehnen, ganz gleich, gegen wen sie sich richtet, und unabhängig von allen Motiven außer Notwehr und Nothilfe. Gegen dennoch ausgeübte Gewalt ist polizeilich vorzugehen. Zweitens: Als Mittel innerstaatlicher Politik ist Gewalt erst recht abzulehnen, und zwar bereits solche Gewalt, die – noch ganz im Rahmen der Gesetze – auf Einschüchterung ausgeht. Auch Sorgen um die Folgen unzulänglicher Politik oder Empörung ob der Arroganz politischer Gegner rechtfertigen niemals Gewalt oder deren Androhung.

      Wir tun gut daran, solche Grundsätze für das Funktionieren einer Bürgergesellschaft nicht nur abstrakt aufzustellen, sondern sie auch in ihren konkreten Folgen zu bedenken und ganz praktisch zu beherzigen. Beziehen wir deshalb diese Grundsätze beispielsweise auf die – uns gewiss noch lange begleitenden – Streitfragen der Einwanderungs- und Integrationspolitik, und zwar präzis auf die immer wieder vorkommenden Übergriffe auf Geflüchtete und auf deren Unterkünfte. Zwar ist dieses Beispiel austauschbar, derzeit aber besonders lehrreich. Halten muss man es – bei aller Radikalität im politischen Streit – nämlich so:

      Es ist ungerecht, Unzufriedenheit über Mängel von Einwanderungs- oder Integrationspolitik an Bürgerkriegsflüchtlingen oder Asylbewerbern, an im Land lebenden Ausländern oder an fremdartig anmutenden Mitbürgern auszulassen. Deshalb sind Flüchtlings- und Asylbewerberunterkünfte die völlig falsche Stelle für Protestaktionen zur Einwanderungs- und Integrationspolitik. Es ist schäbig, um der öffentlichen Aufmerksamkeit willen derlei Kundgebungen dort zu veranstalten, wo vor allem solche Menschen zur Zielscheibe von Feindseligkeiten werden, die gar nichts für die in einem Land auszufechtenden politischen Konflikte können. Es ist ferner ungerecht, Sorgen und Empörung angesichts der Unzulänglichkeiten oder Fehlerhaftigkeit von Einwanderungs- und Integrationspolitik in Feindseligkeiten gegen überforderte Bürgermeister und Landräte oder gar gegen jene Polizisten umzusetzen, die unter so schwierigen Umständen die öffentliche Ordnung zu wahren sowie die Demonstrationsrechte aller zu sichern haben. Und dass jemand anders aussieht oder anders kulturell geprägt ist als man selbst, rechtfertigt es ohnehin in keiner Weise, ihn herabzusetzen, zu verachten oder gar entsprechend zu behandeln. Wer das tut, sich also rassistisch verhält, hat einen beschädigten moralischen Kompass oder einen schlechten Charakter. Und wen man trotz eigener Dialogbereitschaft nicht für ein humanes Miteinander gewinnen kann, den muss man aus dem akzeptablen politischen Diskurs eben ausgrenzen.

      Aufs Knappste verdichtet, heißt das alles: Gerade um des Fortbestehens einer Bürgergesellschaft und ihrer pluralistischen Demokratie willen muss man gewalttätige Radikale sowie alle Extremisten bekämpfen – und kann sich dann gerade dank selbstverständlicher Durchsetzung von Gewaltlosigkeit die für politische Lernfähigkeit so wichtige Radikalität leisten und dadurch die pluralistische Demokratie besonders lernfähig machen. Gewiss ist das eine komplexe Einsicht, eine nicht selten emotional schwerfallende Haltung. Doch ohne die entsprechenden intellektuellen und emotionalen Kosten auf sich zu nehmen, kann man einfach nicht vom großen Wert einer Bürgergesellschaft und ihrer pluralistischen Demokratie profitieren.

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