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sehr beachtlich ist), hatte ihr Zeitgenosse Mulai Ismail (1646–1727), Sultan von Marokko, angeblich mindestens 888 Kinder. Eine Frau braucht also viel mehr Generationen, um ebenso viele Nachkommen zu erreichen wie ein Mann. Kürzlich wurde festgestellt, dass ca. 8% der Männer in Asien vom Kaspischen Meer bis zur Pazifikküste zu einer spezifischen Y-Chromosom-Linie gehören, die offensichtlich ihre Herkunft im mongolischen Raum vor ca. 1000 Jahren hat. Es wird vermutet, dass diese Linie von Dschingis Khan abstammt – dass es sich also um seine Nachkommen handelt.

      Das Problem des Missverständnisses ist in Abb. 3.3 dargestellt. „Adam“ und „Eva“ sind nur zwei von vielen gemeinsamen Vorfahren. Wir tragen auch Gene von anderen Vorfahren, und je nachdem welches Gen (Allel) wir zurückverfolgen, kommen wir zu einem anderen Vorfahren. Verschiedene Gene erzählen verschiedene Geschichten. Die Hypothese der „Eva der Mitochondrien“ unterstützt die schon von Charles Darwin postulierte afrikanische Herkunft des Homo sapiens (Box 2.2).

      Abb. 3.4: Die Vererbung von Familiennamen in der männlichen Linie ist analog zur Vererbung des Y-Chromosoms und verdeutlicht die zufällige Substitution des Familiennamens (des Y-Chromosoms) ohne größere Unterschiede in der Fitness der berücksichtigten Personen; rote Ovale = weiblich, blaue Vierecke = männlich.

      Die gesamte Diversität menschlicher DNA finden wir in Afrika, und die außerafrikanischen Populationen stellen nur eine kleine Gruppe innerhalb der afrikanischen Diversität dar, üblicherweise eine monophyletische Gruppe; darüber hinaus sinkt die genetische Variabilität linear mit der Entfernung von Afrika.

      Diese Erkenntnisse führten zu einer Hypothese des rezenten Austausches, der sogenannten „Out-of-Africa“ Hypothese. Sie besagt, dass moderne Menschen in Ostafrika entstanden und später in einer oder (weniger wahrscheinlich) in zwei Kolonisierungswellen die ganze Welt besiedelten. Dabei hätten sie die älteren Formen von Menschen, denen sie unterwegs begegneten, auf irgendeine Art und Weise ersetzt (vielleicht auch ausgerottet), ohne dass deren archaische Gene in das Genom des H.sapiens eingegangen wären (Abb. 3.5).

      Abb. 3.5: Schematische Darstellung der Modelle der Besiedlung der Welt und der genetischen Evolution von Homo sapiens; grau: H.ergaster, schwarz: H.heidelbergensis, rot: H.erectus (bzw. auch H.neanderthalensis), blau: H.sapiens (nach Hodgson und Disotell 2008).

      Diese Hypothese über die Geschichte der Menschen hat die ältere multiregionale Hypothese verdrängt, die annahm, dass H.sapiens aus den genetisch miteinander verbundenen Populationen im ganzen afroeurasiatischen Raum entstand. Hier ist es notwendig, den modernen Multiregionalismus klar vom alten „Polygenismus“ zu unterscheiden: Nach dem Multiregionalismus entstanden menschliche „Rassen“, egal was wir uns unter diesem Begriff vorstellen, nicht in einer Isolation auf den einzelnen Kontinenten aus unterschiedlichen lokalen Vorfahren, sondern durch eine intensive lange Vermischung von einzelnen, miteinander verbundenen Populationen (Abb. 3.5).

      Die Frage einer möglichen Hybridisierung moderner Menschen mit Neandertalern bezog sich damit nicht nur auf die Frage des Untergangs der Neandertaler (sind sie ausgestorben, wurden sie ausgerottet oder sind sie mit uns verschmolzen?), sondern auch auf die Frage der genetischen Struktur der heutigen menschlichen Population. Morphologische Beweise für die Hybridisierung waren eher schwach – beide Arten lebten Tausende Jahre nebeneinander, wobei die unterschiedliche Morphologie jeweils behalten wurde. Angeblich hybride Individuen (aus Fundorten in Portugal, Tschechien und Rumänien) sind fraglich. Die Unterschiede in der Ontogenese zwischen den beiden Menschenformen machten die Hybridisierung auch eher unwahrscheinlich und auch der Vergleich der mtDNA beider Arten lieferte keine Indizien für die Hybridisierung.

      Darauf, dass unsere Vorfahren tatsächlich mit Neandertalern in Kontakt kamen, könnten auch kulturelle Übereinstimmungen hinweisen: Die paläolithische Châtelperronien-Kultur, die in einigen europäischen Regionen die ursprüngliche Moustérien-Kultur ersetzt hat, wird von einigen Archäologen für eine Neandertalerkultur gehalten, die durch die Kultur moderner Menschen (H.sapiens) inspiriert wurde.

      Das Entschlüsseln der kompletten Kerngenome vom Neandertaler und „Denisovaner“ (siehe auch Box 3.3) brachte jedoch eine große Überraschung mit sich. Man hat festgestellt, dass 1–4% (nach den neuen, genaueren Berechnungen 1,5–2,1%) des Genoms aller nichtafrikanischen Populationen von H.sapiens Spuren des H.neanderthalensis tragen (Abb. 3.6). Die einfachste Vorstellung wäre, dass Menschen des modernen Typs Afrika verlassen haben, im Nahen Osten den Neandertalern begegneten, die dort damals schon gelebt hatten, und sich mit ihnen kreuzten. Es scheint tatsächlich so zu sein, dass Neandertaler, deren Gene in unser Genom eingegangen sind, mit den Neandertalern aus der kaukasischen Lokalität Mezmaiskaya (also der dem Nahen Osten am nächsten liegenden Lokalität) näher verwandt sind als mit den europäischen oder altaischen Neandertalern. Die nahöstliche Hybridisierung hätte sich allerdings in einem außerordentlich kurzen Zeitraum abspielen müssen, noch bevor sich die modernen Menschen auf unterschiedliche Populationen aufgespalten haben, die dann unterschiedliche Regionen Eurasiens, Australien und Amerika besiedelten (Abb. 1.1; Box 1.1).

      Abb. 3.6: Darstellung der genetischen Verwandtschaft der untersuchten Völker und des Genflusses von Neandertalern zu den Nichtafrikanern (nach Green et al. 2010).

      Box 3.3

      Paläogenetik

      Die Paläogenetik untersucht die Geschichte und Evolution durch die Analyse vom genetischen Material, das aus fossilen, subfossilen und prähistorischen Überresten (Knochen, Mumien etc.) von Organismen gewonnen (extrahiert, mittels Polymerasekettenreaktion kloniert und sequenziert) wurde. Der Begriff wurde von Emile Zuckerkandl und Linus Carl Pauling bereits 1963 geprägt. Als Begründer gelten allerdings der in den USA tätige Neuseeländer Allan Wilson (1934–1991) (siehe auch Box 3.2), der mit seinem Team 1984 über die erste Sequenzierung von DNA des ausgestorbenen Zebras Quagga berichtete und der Schwede Svante Pääbo (geb. 1955), der 1985 erstmals DNA einer ägyptischen Mumie klonierte. Pääbo leitet seit 1997 als Direktor die Abteilung Evolutionäre Genetik des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Pääbo und sein Team publizierten wichtige Arbeiten zu genetischen Unterschieden (besser gesagt: zu den Ähnlichkeiten) zwischen Menschen und Schimpansen. 2002 sorgte die aus seinem Labor stammende Arbeit zur Evolution und zum Alter des „Sprachgens“ (FOXP2, dessen Fehlen oder Defekt zu Sprachunvermögen führt) für große Aufregung. Pääbo ist für seine Erfolge, DNA von alten Fossilien, darunter auch Neandertalern, gewonnen, sequenziert und analysiert zu haben, bekannt. Pääbo und seine Mitarbeiter haben unter anderem die Genome von Neandertaler, Denisova-Mensch und Bonobo sequenziert. 2007 zählte Pääbo dem Nachrichtenmagazin Time zufolge zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt.

      Die Paläogenetik hilft nicht nur, genealogische, phylogenetische und phylogeografische Fragen zu klären, sondern auch phänotypische (morphologische, physiologische und ethologische) wie auch kulturelle (z.B. Diätpräferenzen) sowie die Geschichte und Evolution von Krankheiten wie auch die Populationsökologie zu rekonstruieren.

      In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass Menschen unseres Typs Afrika möglicherweise zweimal verlassen haben (siehe auch Kapitel 2.6.4). Die erste Auswanderung des modernen Menschen aus Afrika 115–135 tya hinterließ fossile Funde in breiten Regionen des Nahen Ostens, später (zumindest in den israelischen Gebieten Qafzeh und Skhul) wurden moderne Menschen wieder durch Neandertaler ersetzt. Dieser Austausch korreliert offensichtlich mit dem Austausch der afrotropischen Fauna (Rennmäuse, Kusuratten, Kuhantilopen, Warzenschweine, Esel, H.sapiens) durch die paläarktische Fauna (Maulwürfe, Hamster, Bilche, Rehwild, Pferde, H.neanderthalensis) – es handelte sich also eher um klimatische Effekte als um einen brudermörderischen Krieg. Damals hätten wir dennoch die Neandertalergene gewinnen können, mit ihnen nach Ostafrika zurückkehren und sie von dort aus bei der zweiten „Out-of-Africa“-Invasion 85 tya über die ganze Welt verbreiten können. (Sowohl die ursprünglichen

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