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Uhr kalibrieren, also die Mutationsrate pro Zeiteinheit kennen. Zum Kalibrieren nutzt man einen bekannten genetischen Abstand zwischen zwei Arten mit deren Stellung auf dem phylogenetischen Baum und Kenntnis des Zeitpunkts ihrer Aufspaltung anhand von datierten Fossilien. Bei der Methode wird angenommen, dass die Mutationsrate (bei dem untersuchten DNA-Abschnitt) konstant in der Zeit und gleich bei allen untersuchten (wie auch bei den zum Kalibrieren verwendeten Referenz-)Arten ist. Die Genauigkeit der molekularen Datierung ist natürlich auch von der Genauigkeit der Kalibrierung abhängig. Und dies ist ein Problem, denn nicht immer ist die Datierung der Fossilien genau genug und verlässlich (Abb. 3.2). Aus der datierten Phylogenese der Hominiden (und altweltlichen Affen im Allgemeinen) ergibt sich auf diese Weise eine Mutationsrate von 10-9 Mutationen pro Nukleotid und pro Jahr.

      Abb. 3.2: Schematische Darstellung der im Verlauf der Zeit steigenden genetischen Divergenz zwischen zwei getrennten Populationen bzw. Arten und der Berechnung der Zeit dieser Divergenz. Wenn wir wissen, dass z.B. bestimmte genetische Unterschiede zwischen Schimpansen und Menschen 30-mal höher sind als durchschnittliche Unterschiede in vergleichbaren Genen zwischen Afrikanern und Nichtafrikanern und wenn wir die Divergenz zwischen den Schimpansen- und Menschenlinien anhand der Datierung der Fossilien kennen, können wir – angenommen, dass die Mutationsgeschwindigkeit in den beiden Linien gleich ist – mittels eines einfachen Dreisatzes bestimmen, wann sich die nichtafrikanische Population von der afrikanischen getrennt hat. Abhängig von der paläontologischen Datierung (in unserem Beispiel 5, 6 oder 7,5 Millionen Jahre) kommen wir zu unterschiedlichen Zeiten (in unserem Beispiel jeweils 166000, 200000 oder 250000 Jahre).

      Wenn wir allerdings die Menge der Mutationen zwischen den nachfolgenden Generationen gegenwärtiger Menschen betrachten, ergibt sich eine Geschwindigkeit von ca. 1,3 * 10–8 Mutationen pro Nukleotid und Generation – also nach der Umrechnung auf eine 25 Jahre dauernde Generation – eine Geschwindigkeit von ca. 0,5 * 10–9 Mutationen pro Nukleotid und Jahr. Diese Mutationsgeschwindigkeit unterscheidet sich also von derjenigen aus den datierten phylogenetischen Bäumen abgeleiteten Geschwindigkeit. (Es ergibt sich natürlich die Frage, wie legitim die Evolutionsextrapolationen der Mutationsgeschwindigkeit sind, die auf der Untersuchung von zwei nacheinander folgenden Generationen beruhen.) Eine halbe Mutationsgeschwindigkeit verlangt doppelt so viel Zeit, um die beobachteten Unterschiede in Genomen zu akkumulieren und damit auch die Verdopplung der früheren Schätzungen der Zeiten der Divergenzen in der menschlichen Evolution. Wenn wir diese Zwischengenerationen-Mutationsgeschwindigkeit zur Datierung der Evolutionsereignisse verwenden, kommen wir zu unterschiedlichen Schätzungen: Die Ereignisse erscheinen dann wesentlich älter (z.B. Speziation Mensch – Schimpanse ca. 7,5 mya, Diversifizierung der modernen Menschheit ca. 250 tya) – was in beiden Fällen aber auch besser den Fossilaufzeichnungen entspricht.

      Da sich die zeitliche Skala der Schlüsselereignisse in der menschlichen Evolution ändert, ändert sich auch der geografische und klimatische Kontext, in dem sich diese Ereignisse abgespielt haben, und plötzlich öffnet sich auch der Raum für eine neue Interpretation vieler fossiler Funde.

      Studien der mitochondrialen DNA führten zur Hypothese der „mitochondrialen Eva“ („Eva der Mitochondrien“). Als mitochondriale Eva wird der gemeinsame Vorfahr der gegenwärtigen Menschheit in der mütterlichen Linie bezeichnet. Diese hypothetische Person lebte vor ca. 140–230 Tausend Jahren (nach neuerer Datierung vielleicht auch früher) in Ostafrika. Ihr Gegenpart, der letzte Vorfahre väterlicherseits, der sogenannte „Adam des Y-Chromosoms“, war etwas jünger, wahrscheinlich 120–200 Tausend Jahre (frühere Schätzungen gingen von einem noch jüngeren Alter aus) und bewohnte ebenfalls Afrika. Man muss sich klar machen, dass es sich in beiden Fällen um sogenannte Koaleszenz-Punkte handelt, also um Punkte, in denen sich alle matri- bzw. patrilinearen Linien begegnen (Box 3.2, Abb. 3.3). Ein Individuum wird zu so einem Vorfahren nur in dem Fall werden, wenn alle seine Nachkommen (und ihre Nachkommen) bis heute mindestens einen fruchtbaren Nachkommen des jeweiligen Geschlechts hatten. Wenn wir eine Generationszeit von ca. 25 Jahren annehmen, stehen zwischen uns und der mitochondrialen Eva ca. 8000 Generationen – tiefer reichen unsere Genealogien nicht, was bedeutet, dass die älteren Nachkommen nicht mit einer ununterbrochenen Linie mit uns verbunden sind; einer Linie die nicht gleichzeitig auch Eva oder Adam einschließen würde. Ergänzen wir aber, dass der „genealogische gemeinsame Vorfahr“ der Menschheit wohl noch jünger, nur ein paar Tausend Jahre alt, ist. Unsere genealogischen Vorfahren (zwei Eltern, vier Großeltern, acht Urgroßeltern) nehmen nämlich exponentiell zu, und unsere Genealogien beginnen schnell sich zu überlappen („pedigree collapse“). Menschen haben oft Kinder mit ihren fernen Verwandten, ohne dass sie es eigentlich wissen. Hierzu müssen wir noch zusätzliche Verschmelzungen der zeitweilig isolierten Populationen durch spätere Migrationen zurechnen. Und so z.B. charakterisieren europäische Gene in der ursprünglichen amerikanischen Population beginnend mit 1492 eigentlich nicht einen gemeinsamen Vorfahren, der mehrere Zehntausende Jahre alt wäre, sondern schon einen nur noch ein paar Hundert Jahre alten gemeinsamen Vorfahren.

      Abb. 3.3: Vererbung bzw. Substitution der mitochondrialen DNA, des Y- und des X-Chromosoms und beliebiger auf Autosomen lokalisierter Allele im Verlauf mehrerer Generationen. Das Schema illustriert ein Missverständnis des Konzepts „Eva der Mitochondrien“ bzw. „Adam des Y-Chromosoms“. Obwohl die mtDNA und das Y-Chromosom selbst nach einigen Generationen in unserem Schema alle von einer Frau bzw. einem Mann stammen, ist es klar, dass die Population nicht von einem einzigen Paar gegründet wurde und dass Allele auf Autosomen und X-Chromosomen der Gründer aller Vorfahren auch in den nächsten Generationen vertreten sind. Unterschiedliche Farben repräsentieren unterschiedliche Haplotypen (Allel, mtDNA bzw. Chromosom).

      Box 3.2

      Die „Eva der Mitochondrien“ und der „Adam des Y-Chromosoms“

      R. L.Cann, M.Stoneking und A.C. Wilson publizierten 1987 das Konzept der „Eva der Mitochondrien“. Es beruht auf der Tatsache, dass Mitochondrien vorwiegend in mütterlicher Linie vererbt werden und eine eigene DNA (mtDNA) besitzen, die eine hohe Mutationsrate aufweist. Aufgrund der Analyse mitochondrialer Genome von 147 Menschen aus fünf geografisch verschiedenen Populationen stellten sie die Hypothese auf, dass diese gesamte mtDNA von einer Frau stammt, die vor etwa 200000 Jahren wahrscheinlich in Afrika lebte. Alle untersuchten Populationen, mit Ausnahme der afrikanischen Population, sind multiplen Ursprungs, wodurch impliziert wird, dass jede Region wiederholt kolonisiert wurde. Diese Arbeit sorgte sowohl in Fachkreisen als auch in der Öffentlichkeit für sehr viel Aufregung und inspirierte zahlreiche weitere Forschungen. Die Analyse und ihre Interpretation wurden bestätigt, aber auch kritisiert. Abgesehen von den Vorwürfen, dass die mtDNA, wie man heute weiß, nicht ausschließlich in der mütterlichen Linie (matrilinear) vererbt wird und dass auch bei der mtDNA Rekombination möglich ist (wobei beide Phänomene die Ergebnisse aber wahrscheinlich nicht wesentlich beeinflussen), führten unterschiedliche Studien zu teilweise (jedoch nicht dramatisch) unterschiedlichen Berechnungen des Zeitraums, wann die „Eva der Mitochondrien“ lebte. Heute wird meistens eine Zeit vor ca. 140000 Jahren angenommen. Allerdings wurde (und wird immer noch) die Interpretation der Ergebnisse oft missverstanden. Die Autoren sagten, dass die gesamte mtDNA der untersuchten Menschen von einer Frau stammt. Das heißt jedoch nicht, dass diese Frau der einzige und älteste gemeinsame Vorfahre aller untersuchten Menschen wäre. Es gab in der Zeit, als die „Eva der Mitochondrien“ lebte, (und davor) auch andere Frauen, und auch deren Gene tragen wir. Die „Eva der Mitochondrien“ war nur der jüngste gemeinsame Vorfahre der gesamten heutigen mtDNA (Abb. 3.3).

      Während Mitochondrien matrilinear vererbt werden, werden Y-Chromosomen, ähnlich wie in manchen Gesellschaften die Familiennamen (Abb. 3.4), patrilinear weitergegeben. Der jüngste gemeinsame Vorfahre der Männer (der „Adam des Y-Chromosoms“) lebte vor etwa 120000 Jahren (die Schätzungen schwanken zwischen 30000 und 200000 Jahren), also nach der „Eva der Mitochondrien“, und stammte ebenfalls aus Afrika. Die „Eva der Mitochondrien“ und der „Adam des Y-Chromosoms“ waren also kein Paar. Dies lässt sich dadurch erklären,

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