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Sprachwandel - Bedeutungswandel. Sascha Bechmann
Читать онлайн.Название Sprachwandel - Bedeutungswandel
Год выпуска 0
isbn 9783846345368
Автор произведения Sascha Bechmann
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
In diesem ersten Kapitel werden wir zunächst gemeinsam überlegen, welcher Gegenstand überhaupt zu betrachten ist, wenn vom Wandel in der Sprache die Rede ist. Diese Überlegungen werden wir dann im zweiten Kapitel mit der Frage verknüpfen, wie Sprache und Wandel miteinander in Beziehung gesetzt werden können. Wir nähern uns also über die nachfolgenden Definitionen der Grundbegriffe dem Phänomen des allgemeinen Sprachwandels, das in diesem ersten Teil der Einführung im Fokus stehen soll. Zudem dienen die Ausführungen dazu, das spezielle Phänomen des Bedeutungswandels im zweiten Teil dieses Buches besser verstehen zu können.
Dazu kreisen wir in diesem Kapitel zunächst den Begriff Sprache ein. Beantworten Sie bitte zum Einstieg die folgenden Fragen und machen Sie sich gerne auch stichwortartige Notizen dazu:
Was ist eine Sprache? Schlagen Sie die Definition in einem Lexikon nach!
Wie viele Verwendungsweisen des Wortes Sprache fallen Ihnen ein? Gibt es eigentlich so etwas wie die Sprache?
Können Sie denken, ohne zu sprechen?
Sprechen Sie eine Fremdsprache? Was ist ähnlich und was ist völlig anders, als Sie es aus Ihrer Muttersprache kennen?
1.1 Brauchen wir Sprache und wenn ja, wozu?
Was Sprache ist, lässt sich eigentlich ganz leicht beantworten: Sprache ist all das, was übrigbleibt, wenn man weiß, was Sprache alles nicht ist. Sprache müssen wir uns also nur einmal wegdenken, dann sehen wir, was noch da ist und dann wissen wir, was Sprache ist. Klingt das plausibel? Nun, dann überlegen Sie doch einmal, was alles keine Sprache ist. Denken Sie sich die Sprache dabei einfach weg aus der Welt.
Vielleicht denken Sie jetzt an einen Baum oder an ein Fahrrad oder an viel abstraktere Dinge wie Ihren letzten Urlaub. Sie haben recht: All das ist keine Sprache. Aber Sie haben einen Fehler gemacht: Sie haben sich die Sprache nicht weggedacht, als Sie darüber nachgedacht haben, was alles keine Sprache ist. Aber das ist nicht Ihr Fehler, denn ich habe Sie vor eine unlösbare Aufgabe gestellt. Sprache lässt sich nämlich nicht wegdenken, denn zum Denken selbst brauchen Sie die Sprache. Ohne Sprache wären Sie nämlich gar nicht in der Lage, an einen Baum zu denken. Zumindest wüssten Sie nicht, dass man ihn Baum nennt. Dass man Dinge überhaupt benennt, wüssten Sie nicht. Sie wüssten noch nicht einmal, was Sie überhaupt wüssten. Denn: Sprache und Denken hängen untrennbar miteinander zusammen.
Unsere Denkweise prägt die Art und Weise, wie wir sprechen. Komplexe Gedanken erfordern komplexe sprachliche Ausdrucksmittel. Der Einfluss wirkt aber auch in der Gegenrichtung: Bringt man Menschen etwa neue Farbwörter bei, verändert das ihre Fähigkeit, Farben voneinander zu unterscheiden. Lehrt man sie, auf eine neue Weise über Zeit zu sprechen, so beginnen sie, auch anders darüber zu denken.
Man kann sich der Frage auch anhand von Menschen nähern, die zwei Sprachen fließend sprechen. Nachweislich ändern bilinguale Personen ihre Weltsicht je nachdem, welche Sprache sie gerade verwenden. Ein anderes Beispiel: Für Europäer, die von links nach rechts zu schreiben gewohnt sind, liegt früher links von später; Araber ordnen die Zeit hingegen von rechts nach links; für Aborigines liegt früher im Osten (vgl. BORODITSKY 2012).
Die Menschen sprechen in den vielen Ländern dieser Welt auf mannigfaltige Weise miteinander, und jede Sprache verlangt von ihren Benutzern ganz unterschiedliche kognitive Anstrengungen. Die kognitive Linguistin LERA BORODITSKY beschreibt das so:
Angenommen, ich möchte Ihnen mitteilen, dass ich Anton Tschechows Drama „Onkel Wanja“ auf einer Bühne in der 42. Straße New Yorks gesehen habe. Auf Mian, das in Papua-Neuguinea gesprochen wird, würde das Verb aussagen, ob das Stück soeben, gestern oder vor langer Zeit gespielt wurde. Das Indonesische dagegen gibt damit nicht einmal preis, ob die Aufführung bereits stattfand oder noch bevorsteht. Auf Russisch enthüllt das Verb mein Geschlecht. Wenn ich Mandarin verwende, muss ich wissen, ob Onkel Wanja ein Bruder der Mutter oder des Vaters ist und ob er blutsverwandt oder angeheiratet ist, denn für jeden dieser Fälle gibt es einen speziellen Ausdruck. (BORODITSKY 2012)
Was wir also Denken nennen, ist offenbar in WirklichkeitWirklichkeit eine komplexe Verschaltung linguistischer und nichtlinguistischer Prozesse. Demnach dürfte es wohl kaum Denkprozesse geben, bei denen die Sprache keine Rolle spielt. Ein Grundzug menschlicher Intelligenz ist ihre Anpassungsfähigkeit – die Gabe, Konzepte über die Welt zu erfinden und so abzuändern, dass sie zu wechselnden Zielen und Umgebungen passen. Sie sehen also:
[bad img format]Alles Denken ist Sprache und nichts ist ohne Sprache denkbar. Denn: „Ohne Sprache gibt es kein Denken!“ (DÖRNER 1998: 41) Und ohne Denken gibt es keine Sprache.
Dieser Gedanke ist auch für das Thema unseres Buches interessant. Veränderte Sprachmuster führen demnach auch zu veränderten Denkmustern und umgekehrt. Diesen Umstand bezeichnet man als Linguistischen DeterminismusDeterminismus. Etwas salopp formuliert ließe sich sagen:
[bad img format]Sprachwandel führt zu Denkwandel und Denkwandel führt zu Sprachwandel.
Aber beantwortet das bereits die Frage, was Sprache genau ist? Wenn wir darauf Antworten bekommen wollen, müssen wir uns ansehen, wie die Sprache in den Wissenschaften betrachtet wird. Wir müssen schauen, welche Auffassungen von der Struktur und Funktion von Sprache vorherrschen. Und wir müssen überlegen, wie die Verschiedenheit der Sprachen zu erklären ist. Diese letzte Frage können wir am ehesten mit einem Blick in die Sprachgeschichte klären.
Exkurs: Die Sapir-Whorf-Hypothese — oder: Wie bestimmt die Sprache unser Denken (und Handeln)?
Wenn man davon ausgeht, dass unser Denken über sprachliche WissensbeständeWissensbeständesprachliche in unserem Gehirn organisiert ist und wenn wir weiterhin davon ausgehen, dass wir uns mit unserem Denken in einem ständigen Austausch mit unserer Umwelt befinden, dann ist es plausibel anzunehmen, dass hier Wechselwirkungen bestehen zwischen dem Denken und der Sprache auf der einen und der Welt um uns herum auf der anderen Seite.
Die sogenannte Sapir-Whorf-Hypothese besagt, dass die Art und Weise, wie wir denken, durch die Bedingungen unserer Sprache, also durch die lexikalische und grammatische Struktur unseres Sprachsystems, determiniert wird. Nach dieser Auffassung ist es prinzipiell unmöglich, dass wir uns mit einem Menschen, der eine andere Sprache als wir spricht, so verständigen können, dass wir uns verstehen. Die Hypothese geht davon aus, dass es bestimmte Gedanken einer einzelnen Person in einer Sprache gibt, die von jemandem, der eine andere Sprache spricht, nicht verstanden werden können.
Zudem ist es nicht möglich, etwas zu denken, für das wir den Begriff nicht kennen — was wir nicht sprachlich konzeptualisieren können, können wir schlicht und einfach auch nicht denken.
So definiert bedingt die Fähigkeit, Sprache benutzen zu können, unsere Fähigkeit, denken und die Welt wahrnehmen zu können. Die Sapir-Whorf-Hypothese geht also davon aus, dass die semantische Struktur einer Sprache die Möglichkeiten der Begriffsbildung von der Welt entweder determiniert oder limitiert.
Wenn man diese Hypothese weiterdenkt, bewirken bewusste Eingriffe von außen (z.B. durch das ideologische Besetzen bestimmter Begriffe durch die Politik) eine Veränderung der Denkstrukturen, wodurch Sprachveränderungen (= geplanter Sprachwandel) über Denkveränderungen unmittelbare Auswirkungen auf die außersprachliche WirklichkeitWirklichkeit haben können. Viele Begriffe der Nazi-Ideologiesprache beispielsweise haben dazu geführt, dass Denkmuster durch z.B. EuphemismenEuphemismus so gesteuert wurden, dass das Denken zu konkretem Handeln führen konnte.