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Verlust an Bakterienvielfalt, Verzerrung der Mikrobiom-Gemeinschaft und Resistenzaktivierungen – die Folgen der Antibiotikaverwendung sind horrend. Die Zusatzkosten allein bei einem Kranken mit Antibiotikaresistenz beziffert man mit etwa 8850 bis 35 390 Euro pro Person. Dies summiert sich in den 43 OECD-Ländern bis zum Jahr 2050 auf geschätzte 2,5 Billionen Euro.75

      Bisher werden die Folgen der Resistenzaktivierung weltweit zwar als »Bedrohung« erkannt. Eine Mitteilung der britischen Regierung 2014 rechnet vor, dass bis zum Jahr 2050 jährlich weltweit zehn Millionen Menschen mehr als heute an resistenzaktivierten Bakterien sterben werden. Allein die rechnerische Verringerung des Bruttosozialproduktes durch das Vorhandensein von Resistenzen im Menschen würde dann mit fast 90 Billionen Euro mehr Geld kosten als das gesamte derzeitige Weltwirtschaftsvolumen.76

      In ihren Vorschlägen zur Verbesserung dieser Perspektive fehlt jedoch ausnahmslos allen – auch noch so ausführlichen – Strategiepapieren, Konzepten und Managementprogrammen, sei es der Regierungen, Gesundheitsorganisationen, Krankenkassen, Ärzteverbände oder anderen Initiativen, der wahre Weitblick. Denn um diese Spirale zu beenden, hilft nur eins: die Kommunikation zwischen Mensch und Mikrobe ab sofort wieder von jeglichen Tötungsabsichten vollständig zu befreien.

      Für eine wahre Heilung in dieser das Leben auf der Erde existenziell gefährdenden Situation nutzt es nämlich nichts, die Folgen der Ursache immer noch weiter zu bekämpfen. Das sagt schlichtweg der gesunde Menschenverstand: Wenn auf eine Aktion eine Reaktion folgt, und man reagiert darauf, indem man die Aktion verstärkt, wird darauf logischerweise eine stärkere Reaktion folgen. Zu hoffen, man könne die Aktion fortführen, ohne die Reaktion zu bewirken, ist illusorisch. Zu glauben, die Aktion müsse nur so stark werden, dass die Reaktion verschwindet, ist geradezu naiv. Die Ansicht, die Menschheit könne durch »verstärkte Anstrengung« das Problem bakterieller Resistenzen »in den Griff bekommen«, ist tatsächlich eine Anmaßung gegenüber dem Leben. Auf diese Weise können die Folgen mit Sicherheit nur noch dramatischer werden.

      Bereits vor vierzehn Jahren forderte die Weltgesundheitsorganisation WHO: »Mittlerweile hat das Problem überall auf der Welt ein kritisches Niveau erreicht. Es muss dringend etwas passieren.«77 Dieser Ruf ertönt derweil von den höchsten Stellen allüberall. Doch er verhallt in der Verharrung, denn das, was wirklich geschehen muss, wird immer noch nicht gesehen: Der einzige Ausweg aus all diesen existenzbedrohenden Problemen ist die Änderung der bisherigen Absicht von Bekämpfung durch den Menschen und stattdessen die Hinwendung zu einem friedlichen Miteinander mit den natürlichen Lebensgemeinschaften und Eigenschaften der Bakterien auf der Erde.

      Probiotika

      Was wir heute »Probiotika« nennen, übersetzt »für das Leben«, entspringt einer Entwicklung, die bereits lange vor der Erfindung der Antibiotika begann. Es war ja eine Zeitlang ungewiss, was Bakterien im Menschen denn wirklich zu suchen hatten.

      Ab 1890 war die Idee des Tötens von Bakterien zur Beseitigung von Krankheiten zwar insgesamt vorherrschend, jedoch widmeten viele Forscher bis zum Beginn der Sulfonamidtherapie 1935 ihre Arbeit weiterhin den allgemeinen Fragen zum Bakterienleben. Etliche von ihnen beschäftigten sich mit ihrer Wirkung als »Autovaccine«, die das Immunsystem gegen Krankheiten stärken sollten (siehe Seite 186ff.). Man sammelte viele Erkenntnisse über das Mikrobiom, die dann über die Antibiotika-Ära wieder in Vergessenheit gerieten.

      Am einfachsten waren beim Menschen dabei Versuche mit Bakterien aus dem Darm, weil man sie aus Stuhl bequem gewinnen konnte. Bis heute wird bevorzugt an Stuhlproben geforscht, obwohl diese in Wirklichkeit bloß einen Teil der Darmbakterien erfassen. Vielleicht auch, weil sich im Darm die größte bislang gefundene Bakteriendichte im Menschen versammelt findet.

      Man stellte sich damals eine »Darmintoxikation« vor, eine Vergiftung, die aus dem Darminneren sich in den ganzen Körper auswirkte. Dafür machte man »Fäulnisbakterien« verantwortlich. Dass eine solche Vorstellung nicht ganz unberechtigt war, erweist sich heute, allerdings genau andersherum: nicht wegen der Bakterien, sondern bei ihrem Mangel. Bei Mikrobiomstörungen mit einer zu großen Durchlässigkeit der Darmschleimhaut (Leaky Gut, siehe Seite 119f.) gelangen Stoffe ungefiltert direkt in Blut und Leber und »vergiften« von da aus tatsächlich den restlichen Organismus.

      Als der bulgarische Medizinstudent Stamen Grigorow (1878–1945) Sauermilch zum Studium mit an die Universität nach Genf nahm, ahnte er nicht, dass er damit Geschichte schreiben würde. Er mikroskopierte sie und entdeckte im Jahr 1905 Bakterien darin, die später Bacillus bulgaricus genannt wurden, heute Lactobacillus delbrueckii subspecies bulgaricus. Davon schrieb sein Institutsleiter Dr. Massot dem Nachfolger von Louis Pasteur an dessen berühmtem Institut in Paris, Elias Metschnikow (1845–1916).78 Metschnikow hatte jahrzehntelang versucht,den Darm beim lebenden Menschen zu desinfizieren, um ihn völlig von diesen Bakterien zu befreien, die offensichtlich bloß das Leben verkürzten.79 Nun hatte eine Umfrage durch ihn ergeben, dass in Bulgarien die meisten Hundertjährigen Europas lebten.80 Als er nun von den bulgarischen Bakterien hörte, führte Metschnikow das hohe Alter der Bulgaren auf ihren regelmäßigen Verzehr der dortigen Sauermilch zurück. Zwar aß man damals dort natürlich genauso milchsauer fermentierte Gemüse und lebte vielleicht auch ansonsten gesund, doch darüber sprach man gerade nicht. Jedenfalls vollzog Metschnikow eine gedankliche Kehrtwende und empfahl fortan »Joghurt« zur Förderung der Gesundheit und Verlängerung des Lebens. Da er just im Jahr der Nobelpreisverleihung für seine Entdeckung von Fress-Immunzellen (Phagozyten), 1908, seine Gedanken über gesunde Lebensweise veröffentlichte, fanden sie große Verbreitung. Und Bulgarien wurde um ein nationales Wahrzeichen reicher.

      Der im nördlichen Europa bis dato unbekannte »Joghurt« mit Lactobacillus bulgaricus wurde ab 1919 als Heilmittel für kindliche Durchfälle in Apotheken – zunächst in Spanien – vertrieben, und sein guter Ruf als förderliche

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