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      Ich versuche hier, einen Teil dieser Theorien zu beschreiben, weil Wissen doch Halt geben kann, was ich so vielen von uns wünsche. Trotzdem ist es nun mal so, dass sich Menschen nicht völlig in einer Theorie beschreiben lassen und Diagnosen, die die Persönlichkeitsstruktur betiteln, nur begrenzt etwas über ein Individuum aussagen. Grundlegend sind die Theorien gut, um manches nachvollziehen zu können, aber in weniger fachlich theoretischen Text(abschnitt)en wird deutlich, dass sich an der Theorie nur festhalten kann, wer nichts mit der Praxis zu tun hat.

       3.1 Wofür Anteile?

      Was manche Menschen zu der Annahme verleitet, dass alle Menschen ein bisschen multipel seinen, ist der Fakt, dass jegliche Persönlichkeit eine Zusammensetzung von verschiedenen psychobiologischen Sub-Systemen ist. Ohne dissoziative Störungsbilder ergeben diese eine ganze, kongruente (Ambivalenzen und Vielschichtigkeit impliziert!) Persönlichkeit und funktionieren fließend zusammen. Verschiedene Anteile machen es auch erst möglich, in verschiedenen Kontexten effektiv und angepasst zu handeln. Diese Anteile haben dann aber keinen eigenen Sinn von „Ich“ und sind integriert, es liegen keine neuronalen, strukturellen und funktionellen Separationen vor, sodass es ein Gefühl von Zusammengehörigkeit als eine ganze Person gibt. So oder so ähnlich, ich kann das nicht genau sagen, vermute aber, dass Menschen selten umherlaufen und denken: „Ja, ich bin eine normativ integrierte Persönlichkeit und fühle mich sehr wohlig ganz“, eben weil es so ein als selbstverständlich angenommenes Einheitsgrundgefühl gibt und dadurch vermutlich gar nicht darüber nachgedacht werden muss. Hier denken/handeln/fühlen alle Anteile in einem Namen, obwohl jeder Mensch natürlich Ambivalenzen in sich trägt, also Aktionssysteme mit verschiedenen Motiven und Motivationen. Meist wird umgangssprachlich von „Seiten“ gesprochen. So kann eine mehr integrierte Persönlichkeit abwägen und Prioritäten setzen, was wir (lange Zeit zumindest) nicht können, weil wir von den Zielen der anderen im Innen gar nichts wissen. Als integrations-typischer Mensch sind Anteile im Groben bekannt, auch wenn nicht alle gleich annehmbar sind oder sich eben nicht ständig mit ihnen befasst wird, sie also auch nicht immer unbedingt präsent oder klar zu benennen sind. Aber es ist anscheinend so, dass wenn in sich gespürt wird, sich verschiedene Perspektiven/Motivationen etc. bewusst erkunden lassen, um diese dann als Anteile zu beschreiben. Und, was wir eben nicht können, ist, dass du entscheiden kannst, welcher Anteil gerade Vorfahrt hat – und trotzdem kannst du gleichzeitig auf das Wissen und die Fähigkeiten anderer zurückgreifen. Dein Ich kennt alle deine Erinnerungen, das ist bei uns nicht so.

      Zunächst haben alle Menschen, auch als Kinder schon, verschiedene Rollen. Es gibt Rollen und Aufgabenfelder, die alle Personen haben. Einzelne Anteile können für eine Rolle zuständig sein, es können aber auch mehrere Anteile für eine Rolle benötigt werden sowie auch ein Anteil mehrere Rollen erfüllen kann. Das heißt, dass ein Anteil nicht das Gleiche wie eine Rolle ist. Die Rollen entsprechen den Aufgaben, Verhaltensregel, -mustern und Erwartungen, die an einen Mensch, der diese einnimmt, gestellt sind. Eine Rolle besteht also im Außen, auch ohne den jeweiligen Menschen. Anteile hingegen sind Subsysteme in uns, über die viele vielleicht nicht als Anteil wissen, weil sie eben Teil eines Ganzen sind und auch nur als solches wahrgenommen werden. Bei Kindern spielen diese noch nicht ganz so als integrierte, gefestigte Persönlichkeit zusammen. Dies macht es wahrscheinlicher, dass sich einzelne Elemente aus Anteilen separieren und traumatisch bedingt abspalten. Zudem sind wir als Kinder von Vornherein viel hilfloser und können allein nicht auf Bewältigungsstrategien zurückgreifen, die Integration möglich machen würden. Eine Amnesie bedeutet einen Erinnerungsverlust. Wenn diese Barrieren in der Kindheit entstanden und es so möglich war, das Leben weiterzuführen, bleibt das Unwissen übereinander meist viele Jahre bestehen. Wir verwickeln uns also mit voneinander getrennten physiopsychologischen Einheiten, neuronalen Teams oder eben dissoziierten Anteilen. Und weil unser Gehirn schlau ist und energieeffizient arbeitet, wird eine Taktik, die funktionierte, natürlich weiterverwendet und ggf. ausgebaut. So reagiert unser Gehirn auf weitere Traumata oder Erlebnisse, die unser Gehirn mit unseren Traumatisierungen verknüpft, mit derselben Strategie – der Dissoziation. Die Dissoziation ist ein biologisch garantiertes Phänomen, da unsere ganze Physiologie mit einbezogen ist. Bei späteren Traumata können schon bestehende Netzwerke neu belastet werden oder sich neue bilden. Pierre Janet schrieb, dass Dissoziation eine Teilung zwischen „Systemen mit Ideen und Funktionen, die die Persönlichkeit bilden“ (Janet 1907), einschließt.

      Ich will ein Bild vorwegnehmen, damit all das Folgende vielleicht richtiger verstanden werden kann: Bisher noch mit Multipler Persönlichkeits(störung) benannt, aber eigentlich nur strukturell dissoziiert, sind wir keine „viele Menschen in einem Körper“. Wir sind nicht das Vielfache einer Persönlichkeit und wir haben auch keine schön, klar erkennbar abgepackten Traumapäckchen in anderen verstaut, was dann alles passend zusammen gerechnet uns als ganzen Menschen ergäbe. Beim Zerbröseln sind Lücken entstanden, es sind Dinge so fragmentiert, dass sie für den Verstand verloren gegangen sind, da haben sich Brüche in ihrer Beschaffenheit verändert und es lässt sich nicht einfach alles sauber zusammenkleben. Viele zu sein bedeutet nicht, multiple, in sich funktionierende, alle Lebensbereiche erfüllende, dynamische Persönlichkeiten in einem Körper zu haben. Es bedeutet multiple, voneinander dissoziierte Teilidentitäten zu sein. Natürliche (er)leben wir uns oft als separierte, eigenständige Leute, aber wir haben dieses eine-Persönlichkeits-Ding, so ein wohliges Zusammengehörigkeits-Lebens-Gefühl nicht mehrfach, sondern gar nicht. Ich schreibe nicht, dass wir völlig kaputte Opfer sind. Ich schreibe, dass wir Menschen sind, die eine dissoziative Identitätsstruktur haben. Wir sind durchaus funktionell und lebensfähig zerbröselt. Aber halt zerbröselt, nicht vervielfacht. Sowohl das Modell der Strukturellen Dissoziation, als auch die Neurowissenschaften bestätigen ja, dass es um Abspaltungen, Trennungen, Separationen, Entfremdungen, undurchsichtige Membranen, nicht um Vervielfachung, geht.

      Der Grund, aus dem Persönlichkeitsanteile abgespalten werden, ist der Überlebenswille des Organismus, da wir evolutionsbedingt so angelegt sind, dass Reflexe/automatisierte Reaktionen das Überleben sichern, auch in Situationen, in denen der Verstand das nicht (mehr) kann.2 Sogenannte dissoziative

      Störungen sind eigentlich eine Überlebensstrategie, um überwältigende Erfahrungen zu überstehen. Ab einer gewissen Komplexität lässt sich sagen, dass es eine Überlebensstrategie von Kindern ist, die wiederholter Traumatisierung ausgesetzt sind, da chronische und komplexe Dissoziation mit frühen und anhaltenden traumatischen Erlebnissen verbunden wird. Mit Anteilen beziehen wir uns auf etwas, das in der klinischen Literatur unterschiedliche Namen trägt und wir meinen hier damit dissoziierte Persönlichkeitsanteile oder Teilpersönlichkeiten oder neurophysiologische Sub-Systeme, allerdings schreibe ich meist, auch der Einfachheit wegen, von Anteilen. Der Begriff „Anteil“ ist wenigstens mathematisch nicht falsch. Definitiv für uns stimmiger als Ego-State (Ich-Zustand), was in mancher Literatur nicht differenziert wird, wobei wir darunter integrierte, die Grenzen willentlich beschriebene, wechselnde Zustände eines jeden Selbst verstehen, auch wenn wir tatsächlich ja auch nur ein Mensch sind (zur Erklärung dieser Unterscheidung s. unten und Kap. 13). Einige Viele werden vermutlich mit diesem Begriff für sich nicht klarkommen oder andere Bezeichnungen brauchen, was absolut in Ordnung ist. Wir haben für diese Texte meist Anteile gewählt, da es eine Bezeichnung aus dem Vokabular der Fachliteratur ist und somit wiedererkannt werden kann. Für uns im Alltag bzw. untereinander ist der Begriff zwar nicht nutzbar, da ich glaube, dass es dafür eine Wahrnehmung des Ganzen bräuchte. Denn damit etwas ein Anteil von etwas sein kann, braucht es das große Ganze, welches alle solche Anteile umfasst, und da uns diese Wahrnehmung fehlt, kann der Begriff gar nicht stimmig sein. Mathematisch ist es aber anzunehmen.

       3.2 Anteile durch Traumatisierung

      Wenn sich Anteile abspalten, hat es immer einen wichtigen Grund, aus dem sie da sind. Wir teilen uns (lange) kein Bewusstsein. Wenn sich Anteile „melden“ oder wir die Widersprüchlichkeit mancher Entscheidungen oder die Amnesien bemerken, ist es das, was von einigen Betroffenen als breakdown beschrieben wird. Von außen sind es die – oft

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