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die Hand in der Hosentasche nach dem Taschentuch, mit dem er sich wiederholt über die Stirn strich. Der TV-Produzent sprang von seinem Schreibtischsessel auf und tigerte durch das Büro.

      »Die Spuren sind eindeutig«, sagte Max Pfeffer. »Ihr Freund und Kompagnon war regelmäßiger Konsument.«

      »Sagen Sie!«

      »Wollen Sie mir weismachen, dass Sie nichts davon wussten? Herr Koziol, ich bitte Sie. Sie zeichnen ein Bild von dickster Freundschaft und dann haben Sie sich nie über das Thema Drogen unterhalten?«

      Koziol ließ sich schwer auf einen Sessel der kleinen Sitzgruppe fallen, die neben dem Fenster stand. »Herbert Veicht«, begann er mit gepresster Stimme, »war ein genialer Mann, Herr Pfeffer. Einer mit dem richtigen Riecher und ein guter Freund. Er war das kreative Hirn unserer Firma, ich bin nur ein phantasieloser Buchhalter. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie es nun weitergehen soll. Jetzt muss ich irgendeinen dahergelaufenen Creative-Director anstellen. Herbert und ich – wir haben gemeinsam viel durchgemacht in unserer Jugend. Manchmal glaube ich – nein, ich glaube es nicht nur, ich bin mir sicher, dass ich ohne seine Freundschaft heute nicht mehr hier wäre.«

      »Weil er Sie zu seinem Partner gemacht hat?«

      »Nein, ich meine nicht nur hier. Ich meine am Leben. Ohne ihn hätte ich wahrscheinlich nicht mal meinen achtzehnten Geburtstag erlebt. Das meine ich damit. Und Sie kommen mir mit diesen lächerlichen Drogengeschichten!«

      »Diese lächerlichen Drogengeschichten könnten vielleicht der Schlüssel zu dem Mord an ihrem Freund und Lebensretter sein, Herr Koziol. Denken Sie daran. Womöglich steckte er in etwas drin. Die Russenmafia zögert nicht lange.«

      »Sie haben Recht. Gut, ich sage Ihnen, was ich darüber weiß. Viel ist es nicht. Es hat mich nie interessiert.« Er beugte sich vor und presste die Handflächen aneinander. »Ja, Herbert hat gekokst. Aber nicht so häufig. Woher er seinen Stoff bezogen hat, ist mir nicht bekannt. Aber angeblich ist das ja heutzutage auf jedem Schulhof erhältlich.«

      »Und Bambi?«

      »Die Bothox-Lady?« Koziol lachte verächtlich. »Die zieht sich sicherlich alles rein, was es gibt. Wissen Sie, als Herbert sie kennenlernte, war sie noch ein ganz hübsches Ding. Eines von diesen willigen Betthäschen, das sich die Nächte in angesagten Clubs um die Ohren schlägt, um sich einen reichen Mann zu krallen. Nun, das hat sie ja geschafft. Das mit den Operationen begann genau ein Jahr nach der Hochzeit. Da bildete sie sich ein, eine kleine Lachfalte zwischen den Augenbrauen würde sie völlig entstellen. Wissen Sie, wie alt Bambi ist?«

      Pfeffer nickte, denn es stand in den Akten.

      »Zweiunddreißig!«, rief Koziol. »Zwanzig Jahre jünger als Herbert. Und schon kann ihr Gesicht nie wieder operiert werden, weil die Haut zu dünn geworden ist. Das Michael-Jackson-Syndrom. Wir haben übrigens eine sehr erfolgreiche Dokusoap aus ihren Operationen gemacht. Bambi wollte bei jeder Schnippelei die Kamera dabei haben. So hat Herbert wenigstens die Unkosten für die OPs wieder reinbekommen. Mein Gott, Herbert war anfangs so in sie verliebt. Nun, das ist lange her.«

      »Könnte Ihrer Meinung nach Bambi Veicht im großen Stil dealen?«

      »Die? Nie im Leben. Soll ich Ihnen verraten, was sie mir gestern allen Ernstes vorgeschlagen hat? Sie kennen sicherlich die Dokusoaps, in denen Polizeibeamte bei ihren Einsätzen gefilmt werden. Garantierte Quotenbringer.« Pfeffer nickte, ihm schwante Übles. »Bambi hält es jedenfalls für eine tolle Idee, wenn unsere Produktionsfirma eine Dokumentation über die Aufklärung im Mordfall Herbert Veicht dreht. Sie will Ihnen und Ihren Leuten ein Kamerateam auf den Hals hetzen. Sie möchte in der Pathologie filmen und bei Verhören dabei sein.«

      »Jetzt scherzen Sie aber, Herr Koziol.« Pfeffer schmunzelte, weil ihm die Idee so abwegig vorkam.

      »Sehe ich so aus? Sie wollte sich gleich eine Genehmigung vom Polizeipräsidium holen, doch zum einen wäre ich strikt gegen so eine Aktion, das können Sie mir glauben, und zum Glück haben sich auch unsere Leute geweigert, bei so etwas überhaupt mitzumachen. Es gibt doch noch so etwas wie Pietät in unserem Gewerbe.«

      »Herr Koziol, sagt Ihnen die Zahl 45 etwas? Oder wissen Sie, ob die Zahl für Herbert Veicht vielleicht irgendwie von Bedeutung war?«

      »Fünfundvierzig? Nein, nicht dass ich wüsste. Er war weder Jahrgang 45 noch war es seine Glückszahl.« Koziol rief seine Assistentin herein und wies sie an, zwei Espressi zu bringen. »Sie dürfen gerne rauchen«, sagte er dann, als sie den Kaffee tranken. Koziol schloss verträumt die Augen, während er den Espresso herunterstürzte, dann zündete er sich eine lange Cohiba an. »Haben Sie jemals gekokst, Herr Pfeffer?«, fragte er unvermittelt und fixierte sein Gegenüber mit festem Blick.

      »Ja«, gab Pfeffer unumwunden zu und hielt dem Blick stand. »Genau ein einziges mal, mindestens fünfzehn Jahre her.«

      Koziol nickte beifällig. »Sehen Sie? So wie ich. Ich habe es einmal probiert. Am 23. September 1978. Einmal und nie wieder. Denn es war das tollste Gefühl, das ich jemals in meinem Leben hatte. Ich fühlte mich einfach gigantisch«, sagte Koziol mit weit ausholender Geste und geblähten Nasenlöchern.

      Pfeffer nickte, genauso war es ihm gegangen.

      »Danach wusste ich, dass ich entweder nie wieder diese Droge auch nur in meine Nähe lassen durfte, oder alternativ dazu völlig süchtig nach ihr geworden wäre.«

      Pfeffer nickte erneut, genau das hatte ihn damals bewogen, es bei dem einen Versuch zu belassen.

      »Dass Herbert sich anders entschieden hat, ist tragisch, aber nicht zu ändern. Ich behalten ihn jedenfalls als den Menschen in Erinnerung, der ein großes Herz hatte. Wussten Sie, dass er sich sehr als Mäzen für verschiedene kulturelle und wissenschaftliche Einrichtungen engagiert hat? Die Pinakothek der Moderne wäre sicher ohne ihn nicht gebaut worden. Und als er vor drei Jahren seine Kunstsammlung einem Museum stiften wollte, hat es ein richtiges Hauen und Stechen der besten Häuser gegeben, bis er seine Sammlung dem Lenbachhaus überlassen hat. Herbert hat sogar einen Lehrstuhl im Max-Planck-Institut finanziert oder zumindest für dessen Erhalt gesorgt. Und all das hat er im Stillen getan. Hinter den Kulissen. Es war nicht sein Stil, sein Engagement an die große Glocke zu hängen. Mochten ihn die anderen für einen kaltherzigen, koksenden Fernsehmogul halten, der billige Nutten ehelichte. Das war nur die kleine Glitzerfassade seines Wesens. Für die spießige Welt seines Bruders, dieses Brillenmagnaten, hatte er nur ein Lächeln übrig. Aber sein Bruder musste ja auch nicht mitmachen, was Herbert – was wir mitmachen mussten. Soll ich Ihnen mal ein paar kleine Histörchen aus unserer Jugend berichten, Herr Kriminalrat?« Koziol zog lächelnd die Augenbrauen hoch, doch es lag keinerlei Humor in seiner Mine.

      »Ich bitte darum.«

      »Sagt Ihnen Schladern etwas? Ich meine nicht den Ort im Rheinland sondern Kloster Schladern.«

      Kloster Schladern sagte Pfeffer natürlich etwas – die prächtige Klosteranlage befand sich Richtung Wasserburg östlich von München, bekannt für seine Prunkbauten, seine Brauerei und das klösterliche Internat. »In dieses Internat«, so begann Dieter Koziol seine Ausführungen, »steckten einst die entnervten Eltern Veicht den kleinen Herbert.« Denn der Junge war das, was man heute hyperaktiv nennen und mit speziellen Therapien und pädagogischen Maßnahmen in seiner Entwicklung fördern würde. Damals gab es auch spezielle Maßnahmen für solche Kinder, die man Zappelphilipp nannte: Prügel, strenge Zucht und Ordnung, um die Flausen aus dem Kopf zu kriegen. Im Internat, das von Benediktinermönchen geleitet wurde, lernten sich die damals zwölfjährigen Burschen Herbert Veicht und Dieter Koziol kennen. Dieter, das dickliche Kind reicher Bauern, war kein Zappelphilipp. Seine bigotten Eltern hatten ihn auf die Klosterschule geschickt, weil einer aus der umfangreichen Familie gefälligst eine kirchliche Karriere anstreben und mindestens Pfarrer, am besten aber Bischof werden sollte. In dem großen Schlafsaal standen die Betten der beiden Jungen nebeneinander. So freundeten sie sich an und waren füreinander da, wenn es nötig war.

      Herbert Veicht dachte nicht daran, sich dem strengen Regiment der Klosterbrüder bedingungslos unterzuordnen. Wenn er im Unterricht störte oder herumzappelte, wurde er am Stuhl festgebunden, die Schnüre schnitten

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