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umgehen zu können, errichten wir Abwehrmechanismen gegen die Bewusstheit des Todes, Abwehrmechanismen, die auf Verleugnung gründen, die die Charakterstruktur formen und die, wenn sie nicht gut angepasst sind, zu klinischen Syndromen führen. Mit anderen Worten, Psychopathologie ist das Ergebnis ineffektiver Modi der Transzendenz des Todes.

      4. Schließlich kann ein solider und effektiver Ansatz der Psychotherapie auf der Grundlage der Bewusstheit des Todes konstruiert werden.

      Das zweite Kapitel wird einen Überblick über die Rolle des Todesbegriffs in der Psychotherapie geben, wird relevantes klinisches Material und wissenschaftliche Belege präsentieren und wird Auskunft darüber geben, warum das traditionelle analytische Denken den Tod in peinlicher Weise ausgelassen hat, sowohl in der psychotherapeutischen Theorie als auch in ihrer Methodenlehre.

      Das dritte Kapitel widmet sich der Entwicklung des Todesbegriffs bei Kindern und wird sich auf die Abwehrmechanismen konzentrieren, die auftauchen, damit sich das Individuum vor der Todesangst schützen kann. Im vierten Kapitel wird ein Paradigma der Psychopathologie vorgestellt werden, das auf diesen den Tod verleugnenden Abwehrmechanismen gegründet ist; und im fünften Kapitel wird sowohl die Theorie als auch die praktische Verwirklichung eines Therapieansatzes präsentiert werden, der auf Todesbewusstheit basiert.

      2. Kapitel: Leben, Tod und Angst

      »Kratzen Sie nicht, wo es nicht juckt«, riet der große Adolph Meyer einer Generation von Psychiatriestudenten.1 Ist dieser Spruch nicht ein ausgezeichnetes Argument gegen die Untersuchung der Einstellungen der Patienten zum Tod? Haben die Patienten nicht schon genug Angst und genug Furcht, ohne dass der Therapeut sie an den ärgsten Schrecken des Lebens erinnert? Warum soll man sich auf die bittere und unveränderliche Realität konzentrieren? Wenn es das Ziel der Therapie ist, Hoffnung einzuflößen, warum sollte man dann den die Hoffnung zerstörenden Tod beschwören? Das Ziel der Therapie ist es, dabei behilflich zu sein, wie der Mensch zu leben lernen kann. Warum sollten wir den Tod nicht schlicht den Sterbenden überlassen?

      Diese Argumente erfordern eine Antwort, und ich werde sie in diesem Kapitel aufgreifen, indem ich behaupte, dass uns der Tod die ganze Zeit juckt, dass unsere Einstellungen zum Tod die Art, wie wir leben und wachsen und die Art, wie wir straucheln, beeinflusst. Ich werde zwei Behauptungen untersuchen, von denen jede wesentliche Implikationen für die Praxis der Psychotherapie hat:

      1. Leben und Tod sind interdependent; sie existieren gleichzeitig, nicht in Folge; der Tod surrt ständig unterhalb der Membran des Lebens und übt einen großen Einfluss auf die Erfahrung und das Verhalten aus.

      2. Der Tod ist eine ursprüngliche Quelle der Angst, und als solche ist er die primäre Quelle der Psychopathologie.

      Eine ehrwürdige Denkrichtung, die bis zum Beginn geschriebener Gedanken zurückreicht, betont die wechselseitige Abhängigkeit von Leben und Tod. Es ist eine der offensichtlichsten Wahrheiten des Lebens, dass alles vergeht, dass wir das Vergehen fürchten und dass wir dennoch angesichts des Vergehens, angesichts der Furcht leben müssen. Der Tod, sagen die Stoiker, ist das wichtigste Ereignis im Leben. Gut zu leben heißt zu lernen, gut zu sterben. Cicero sagte: »Philosophieren heißt, sich auf den Tod vorzubereiten«,2 und Seneca: »Niemand erfreut sich des wahren Geschmacks am Leben, außer derjenige, der bereit und willens ist, es zu verlassen.«3 Der Heilige Augustinus drückte die gleiche Idee aus: »Nur angesichts des Todes wird das Selbst des Menschen geboren.«4

      Es ist nicht möglich, den Tod den Sterbenden zu überlassen. Die biologische Grenze zwischen Leben und Tod ist relativ genau; aber psychologisch gesehen gehen Leben und Tod ineinander über. Der Tod ist eine Tatsache des Lebens; wenn wir einen Moment lang nachdenken, werden wir uns bewusst, dass der Tod nicht nur der letzte Moment im Leben ist. »Sogar in der Geburt sterben wir; das Ende ist von Anfang an da« (Manilius).5 Montaigne fragte in seinem tiefgehenden Essay über den Tod: »Warum fürchtest du den letzten Tag? Er trägt nicht mehr zu deinem Tod bei als irgendein anderer. Der letzte Schritt verursacht nicht die Erschöpfung, sondern enthüllt sie.«6 Es wäre eine einfache Angelegenheit (und eine sehr verführerische), immer weiter wichtige Zitate über den Tod anzuführen. Praktisch jeder große Denker (normalerweise in der ersten Hälfte seines Lebens oder gegen Ende) hat tiefgründig über den Tod nachgedacht und darüber geschrieben; und viele haben den Schluss gezogen, dass der Tod ein untrennbarer Teil des Lebens ist, und dass eine lebenslange Betrachtung des Todes das Leben eher bereichert als es verarmen zu lassen. Obwohl die Physikalität des Todes den Menschen zerstört, rettet ihn die Idee des Todes.

      Dieser letzte Gedanke ist so wichtig, dass er einer Wiederholung wert ist: Obwohl die Physikalität des Todes den Menschen zerstört, rettet ihn die Idee des Todes. Was genau bedeutet diese Aussage? Wie rettet die Idee des Todes den Menschen? Und wovor rettet sie ihn?

      Ein kurzer Blick auf ein Grundkonzept existenzialistischer Philosophie kann Klärung bringen. Martin Heidegger erforschte im Jahr 1926 die Frage, wie die Idee des Todes den Menschen retten kann, und gelangte zu der wichtigen Einsicht, dass die Bewusstheit von unserem eigenen Tod als Ansporn für den Wechsel von einem Modus der Existenz zu einem höheren dient. Heidegger glaubte, dass es zwei fundamentale Modi des Existierens in der Welt gibt: (1) einen Zustand des Vergessens des Seins oder (2) einen Zustand des Bewusstseins des Seins.7

      Wenn man im Zustand des Vergessens des Seins lebt, lebt man in der Welt der Dinge und taucht in die täglichen Ablenkungen des Lebens ein: Man ist »nivelliert«, voll beschäftigt mit »müßigem Geschwätz«, verloren in dem »sie«. Man gibt sich an die alltägliche Welt hin, an eine Beschäftigung damit, wie die Dinge sind.

      In dem anderen Zustand, dem Zustand des Bewusstseins des Seins, rätselt man nicht darüber, wie die Dinge sind, sondern dass sie sind. In diesem Modus zu existieren heißt, dass man sich ständig des Seins bewusst ist. In diesem Modus, auf den oft als »ontologischer Modus« (von dem griechischen ontos, was »Existenz« bedeutet) Bezug genommen wird, bleibt man sich des Seins bewusst, nicht nur der Zerbrechlichkeit des Seins, sondern auch seiner Verantwortung für sein eigenes Sein (wie ich es im sechsten Kapitel diskutieren werde). Da man nur in diesem ontologischen Modus in Berührung mit seiner eigenen Selbst-Schöpfung ist, kann man nur hier Zugang zu der Macht des Wandels selbst erhalten.

      Gewöhnlich leben wir im ersten Zustand. Das Vergessen des Seins ist der alltägliche Modus der Existenz. Heidegger beschreibt diesen als »unauthentisch« – als einen Modus, in dem wir uns der Urheberschaft des Lebens und der Welt nicht bewusst sind, in welchem wir »fliehen«, »fallen« und beruhigt werden, in welchem wir die Wahlmöglichkeiten des Seins vermeiden, indem wir durch den »Niemand weitergetragen werden.«8 Wenn wir jedoch in den zweiten Modus des Seins eintreten (Bewusstsein des Seins), existieren wir authentisch (daher der häufige Gebrauch des Begriffs »Authentizität« in der gegenwärtigen Psychologie). In diesem Zustand werden wir uns vollständig unserer selbst bewusst – bewusst unserer selbst als transzendentales (konstituiertes) Ich ebenso wie als ein empirisches (konstituierendes) Ich; wir umfassen unsere Möglichkeiten und Begrenzungen; wir stellen uns der absoluten Freiheit und dem Nichts – und angesichts dessen haben wir Angst.

      Was hat nun der Tod mit all dem zu tun? Heidegger war sich bewusst, dass man nicht durch einfache Kontemplation von einem Zustand des Vergessens des Seins zu einem erleuchteteren, ängstlicheren Bewusstsein des Seins gelangen kann, auch nicht, indem wir uns beugen oder die Zähne zusammenbeißen. Es gibt bestimmte unveränderbare, unauslöschliche Bedingungen, bestimmte »dringliche Erfahrungen«, die uns aufrütteln, die uns vom ersten, alltäglichen Zustand der Existenz zu dem Zustand des Bewusstseins der Existenz zerren. Unter diesen dringlichen Erfahrungen (Jaspers bezog sich später auf sie als »Grenz«-Situationen9) hat der Tod nicht seinesgleichen: Der Tod ist die Bedingung, die es für uns möglich macht, das Leben auf authentische Art und Weise zu leben.

      Diese Ansicht – dass der Tod einen positiven Beitrag zum Leben leistet wird nicht so leicht akzeptiert. Gewöhnlich sehen wir den Tod als totales Übel an, so dass wir jede gegenteilige

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