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Rahmen hinaus nutzen und die nachhaltige heilende Effekte bewirken können. Aus der Vielfalt der Möglichkeiten, Heilgesänge musiktherapeutisch einzusetzen, wollen wir fünf kurz vorstellen:

       Eine Klientin leidet an chronischen Schmerzen vor allem in den Schultergelenken. Sie hat Wege der Atementspannung ausprobiert, die ihr gut tun und schmerzreduzierend wirken. Sie liegt auf dem Rücken und entspannt mit jedem Ausatemzug ihre Körpergelenke nacheinander ein wenig mehr. Zur Vertiefung lässt sie ab und zu einen Heilgesang entstehen. Dazu horcht sie während des Entspannungsprozesses nach innen und versucht, ihren besonderen Ort der Kraft, wie sie ihn bezeichnet, zu erkennen. (Manche nennen ihn auch den Ort der Heilung oder finden ähnliche für sie passende Begriffe. Manche nehmen ihn unmittelbar als Klangquelle wahr, andere eher als Bild.) Aus diesem Ort lässt sie nun einen Klang entstehen und wiederholt ihn immer wieder und wieder langsam im Rhythmus des Atmens. Nun entwickelt sich aus diesem Ton ein Wort oder ein Satz, den die Frau wiederholt singt.Hier entsteht ein Heilgesang aus der Körperentspannung und Körperwahrnehmung. KlientInnen, die diesen Weg wählen, finden nach zweimaligem oder dreimaligem Durchgang zumeist einige eigene Schlüsselworte oder Schlüsselsätze, auf die sie bei späteren Heilgesängen zurückgreifen können.

       Fast jeder Mensch hat in seiner musikalischen Biografie Lieder gehört, die auf ihn heilend und zumindest lindernd gewirkt haben. Vielleicht hat die Mutter zur Linderung und zum Trost das Kinderlied „Heile, heile Gänschen“ vorgesungen oder das gemeinsam gesungene Kirchenlied „Eine feste Burg ist unser Gott“ gab Kraft und Zuversicht. In der musikbiografischen Arbeit können solche Ressourcen erschlossen werden und teilweise wiederentdeckt werden. Zahlreiche KlientInnen sind von den nachhaltigen Wirkungen überrascht, wenn solche Lieder durch den Therapeuten oder die Therapeutin gesungen werden oder wenn sie selbst solche verschütteten musikalische Erinnerungen wiederbeleben.

       Der dritte Weg des Heilgesangs besteht darin, Helfer zu schaffen, die musizieren. Ein Beispiel aus einer Gruppenarbeit:„Stellt euch vor, ihr habt einen persönlichen Helfer oder eine Helferin.Ich z. B. denke an den kleinen Helfer von Daniel Düsentrieb. Vielleicht kennen einige von euch diese Micky-Mouse-Figuren? Daniel Düsentrieb war jedenfalls Ingenieur und sein kleiner Helfer versuchte, seine Pannen und Verrücktheiten im Zaum zu halten oder zu reparieren.Wie eure Helferfigur aussieht und wofür ihr sie braucht, könnt nur ihr wissen:Vielleicht ist sie groß oder klein …, vielleicht liegt sie, geht sie, kniet sie …, vielleicht ist sie ein Mensch, ein Tier oder eine Fantasiefigur … Stellt sie euch vor, malt sie euch innerlich aus …Dann horcht auf diese Helferfigur, wie sie Musik macht, wie sie für euch musiziert. Vielleicht singt sie, vielleicht spielt sie auf einem Instrument, vielleicht beides …Horcht so gut hin, dass ihr das, was sie singt oder musiziert, erfassen könnt und in euch aufnehmt …Sucht euch nun einen Ort, an dem ihr selbst die Klänge eurer Helferfigur erklingen lasst …“Anschließend kann man eine andere Person aus der Gruppe bitten – oder sich in der Einzeltherapie als Therapeut oder Therapeutin selbst anbieten – die Klänge der Helferfigur dann für die oder den anderen singend zu spiegeln und damit eine konkrete Helferfigur zu sein. Die Wirkung dieser Heilgesänge liegt dann in ihrem Hörbar- und Erhörtwerden, in der heilenden Resonanz zweier Menschen.

       Ein Klient litt unter großen Ängsten, die ihn beunruhigten und in denen er sich über längere Zeiträume verfing. Er begann zu singen: „Ich brauche keine Angst zu haben.“ Später änderte er den Satz in: „Ich bin groß und kräftig.“ Diesen Satz sang er vor sich hin, so, wie Kinder im Wald pfeifen, um die Angst zu vertreiben. Er sang ihn nicht einmal, sondern mehrmals und er erzählte: „Wenn ich das mindestens zehn Minuten lang singe, dann helfe ich mir, dann geht meine Angst weg. Zumindest verzieht sie sich in den Hintergrund und ich kann mich wieder orientieren und ausatmen und schauen, was ich brauche und was mir gut tut.“Ein solches Vertrauen in die Wirkungskraft seines gesungenen Satzes erinnert an Mantras, also bestimmte tibetanische Liedzeilen, die wiederholt gesungen werden. Hier ist es nicht so sehr der Text (der nicht unwichtig ist, dem aber an dieser Stelle keine mystische Bedeutung zukommt), sondern die Wiederholung und der Trost, der im laut werdenden Wiederholen enthalten ist.

       Die letzte wichtige und häufige Form sind Reinigungsgesänge. Sie sind in der Musiktherapie besonders dann notwendig, wenn Menschen sich z. B. durch Erfahrungen des Missbraucht-Werdens (nicht nur körperlich, sondern auch emotional oder geistig) und der sexuellen Gewalt, des Ausgeliefertseins und der Fremdbestimmung verunreinigt, beschmutzt oder vergiftet fühlen. „Singe für dich und vor dich hin und reinige und wasche dich mit deinem Gesang.“, oder: „Dusche dich mit deiner Stimme.“, sind Aufforderungen, die vielleicht zunächst etwas absurd oder verrückt klingen, aber die erstaunlichsten Klänge und Wirkungen der Selbsthilfe hervorrufen.Wenn die Not nicht so groß ist und eher die Lust am Sich-Reinigen im Vordergrund steht oder KlientInnen etwas Altes abstreifen, sich wie eine Schlange „häuten“ wollen, damit etwas Neues entstehen kann, dann birgt die folgende Variante des Reinigungsrituals und -gesangs gute Chancen:Man kann sich selbst oder die Körperperipherie abstreifen, abrubbeln, abkribbeln, abreiben oder andere TeilnehmerInnen einer Gruppe – so wenig oder so viel, wie man möchte – bitten, das zu tun. Entscheidend ist, dass die andere Person oder die anderen Personen währenddessen singen.

       14

       Wort und Klang

       14.1 Der Klang der Sprache

      Nehmen Sie, wenn Sie mögen, Ihr Lieblingsgedicht und lesen Sie es sich laut vor. Lauschen Sie dem Klang der Sprache. Ihnen wird vermutlich auffallen, dass diesem Text ein eigener Klang, vielleicht eine Melodie, ein Rhythmus innewohnt. Lyrik ist in unseren Ohren klingende Sprache. Lyrik spielt mit den Wortbedeutungen, mit grammatikalischen Sinnzusammenhängen, spielt aber auch mit den klanglichen Qualitäten der Wörter und Wortzusammenhänge – kurz: Lyrik komponiert Sprache.

      Wer dies überprüfen möchte, kann für sich selbst oder mit TeilnehmerInnen einer Gruppe folgendes Experiment durchführen:

      „Suchen Sie ein Gedicht oder eine Gedichtzeile aus, die Ihnen etwas Besonderes bedeutet. Vielleicht weist dieses Gedicht auf ein Gefühl hin, das für Sie gerade wichtig ist, oder auf eine Lebenserfahrung, die in Ihnen nachhallt.

      Lesen Sie dieses Gedicht mehrmals laut vor und lauschen Sie dem Klang des Vorgelesenen …

      Und begleiten Sie jetzt den Text mit einem Rhythmusinstrument …

      Nun versuchen Sie, diesen Text zu singen, ihm eine Melodie zu geben …

      Spielen Sie mit diesem Text musikalisch, versuchen Sie ihn musikalisch auszudrücken, ganz gleich, ob sie dabei die Worte begleiten oder mittlerweile den Text hinter sich lassen und nur das Klangbild, die klangliche Essenz des Gedichtes oder der Gedichtzeile vertonen.“

      In der Therapie bilden weniger Gedichtzeilen oder andere lyrische Texte den Ausgangspunkt eines ähnlichen Experimentes, sondern eher ein eigener Text bzw. Bedeutungssätze einer Klientin oder eines Klienten. Unter Bedeutungssätzen verstehen wir, wie die Bezeichnung sagt, Sätze, die im Gespräch eines Klienten oder einer Klientin als bedeutungsvoll hervorstechen. Häufig sind das das Leben grundsätzlich bestimmende Sätze wie z. B.: „Immer komme ich zu kurz.“, „Ich habe ja nie eine Chance.“, oder „Immer ich. Ich bin immer schuld.“ Oder es handelt sich um Sätze der Selbstabwertung wie: „Immer mache ich alles falsch“, „Ich bin im Grunde ein Versager.“, oder „… eine Mogelpackung“ oder „… eine Zumutung“ oder „wäre besser gar nicht geboren“. Diese Sätze zu verklanglichen und damit hervorzuheben, herauszuheben aus ihrer selbstverständlichen und unüberprüften Existenz, ist oft ein Anfang, ihnen an Bedeutungskraft zu nehmen oder sie zumindest zu relativieren. Oft reicht es nicht, wenn KlientInnen bestimmte Aussagen für sich als falsch erkennen, es braucht das Gegenteil, die Gegenformulierung. Deshalb arbeiten wir häufig damit, dass wir die KlientInnen bitten, zu solchen Sätzen Gegen-Sätze zu bilden, individuelle Sätze, die auf diese negativen Bedeutungssätze antworten. Solche Gegenteilsätze können z. B. sein: „Ich habe das Recht geliebt zu werden.“, „Ich bin daran schuld, dass …, aber ich bin nicht daran schuld,

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