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in der Wohnung der Eltern an.

      »Für euch liegt ein Päckchen an der Rezeption.«

      Ihre Mutter wusste nichts von einem Päckchen. Sie fragte Veronikas Vater, der im Hintergrund heftig hustete. Auch er erwartete nichts.

      Hatte vielleicht Lady Ross dieses Paket mitgebracht und vergessen? Sie war vor dem Essen in der Halle gesessen und hatte telefoniert, erinnerte sich Veronika.

      Sie rief in der Villa der Lady an. Ignaz hob ab.

      »Residenz Lady Ross, guten Abend.«

      »Veronika hier. Kannst du die Lady fragen, ob sie heute vielleicht ein Päckchen in der Rezeption bei uns vergessen hat?«

      »Sie hat das Haus ohne Päckchen verlassen«, sagte Ignaz.

      »Vielleicht hat sie es im Ort abgeholt und mitgenommen.«

      »Sie war nicht im Ort.«

      Veronika verlor die Geduld. »Ignaz, frag sie einfach. Tu mir den Gefallen.«

      Ignaz legte den Hörer des Festnetzapparates weg. Es dauerte, bis er zurückkam.

      »Nein, Lady Ross weiß nichts von einem Päckchen.«

      »Alles klar. Gute Nacht.« Veronika legte auf. Ihr Blick fiel auf das Handy, das auf dem Schreibtisch lag.

      Weiterhin keine WhatsApp-Nachricht von Mario. Mit ihrer Beherrschung war es vorbei und sie beschloss, ihm eine Nachricht über die Datingplattform zu schreiben. Die Begeisterung über das Gespräch war der Wut über seine Unverlässlichkeit gewichen. Normalerweise ging sie nie über den Bürocomputer auf die Datingseiten, aber an diesem Abend machte sie eine Ausnahme. Veronika loggte sich ein und öffnete die Nachrichtenbox ihres Profils, wo der Gesprächsverlauf mit Mario gespeichert war. Sie wollte ihm etwas Lässiges schreiben. »Vielleicht habe ich dir meine Handynummer nicht richtig angesagt und deine Nachricht ist an jemand anderen gegangen. Hier noch einmal zur Sicherheit …« So klang sie weder vorwurfsvoll noch beschuldigend, sondern einfach praktisch.

      Verwundert sah Veronika auf den Bildschirm. Sie ließ die Seite erneut laden, aber es änderte sich nichts.

      Marios Nachrichten waren verschwunden. Alle.

      Seinen Profilnamen kannte sie auswendig: Mario9990. Er hatte ihr erklärt, dass es sein Geburtstag wäre: Der 9. September 1990. Veronika tippte ihn in das Feld der Suchfunktion und drückte die Eingabetaste.

      Unbekannt. Noch einmal schrieb sie Buchstabe für Buchstabe und Zahl für Zahl. Neuerlicher Versuch und …

      Unbekannt. Veronika wurde unruhig. Als nächstes klickte sie das Hilfsmenü an und ging zu »Fragen und Antworten«.

      • Q: Nachrichten eines Users sind nicht mehr in der Inbox, wieso?

      • A: Löscht ein User sein Profil, so werden damit auch alle Nachrichten gelöscht, die er verschickt hat.

      Sie hörte ihren Atem schneller gehen. Wieso hatte er das getan? Mario besaß ihre Handynummer und konnte sich zusammenreimen, wo sie zu finden war. Veronika hatte schon einige Male von »Ghosting« gehört, wenn Leute zuerst besonders verbindlich waren und danach verschwanden wie ein Geist.

      Sie war ein Opfer von Ghosting geworden. Damit hätte sie nie gerechnet.

      Aber wieso hatte Mario das getan? War sie wieder einmal einem Knallkopf auf den Leim gegangen, wie schon einige Male davor? Mario hatte anders geklungen und sie hatte den Eindruck gehabt, es wären auch bei ihm echte Gefühle im Spiel gewesen.

      Mit einer Mischung aus Wut und Beunruhigung schloss sie die Datingseite.

      »Dreckskerl«, schimpfte sie leise vor sich hin. »So ein Aas.« Sie stand auf und trat gegen das Bein des Schreibtisches, um sich abzureagieren. Dem Tischbein war es egal, dafür taten ihr die Zehen weh.

      Weil sie noch etwas tun musste, um Druck abzulassen, nahm sie eine Schere und schnitt die Verschnürung des Pakets auf. Sie fetzte das Packpapier herunter und hielt sodann eine braune Pappschachtel in Händen. Veronika hob den Deckel. Die Schachtel war mit Seidenpapier ausgelegt, das locker zusammengedrückt worden war. Darin war etwas eingeschlagen. Veronika zupfte das Papier auseinander.

      Ihr Herz machte einen Sprung, als sie den Inhalt der Schachtel sah.

SONNTAG 15. NOVEMBER

      HOCHZEITSVORBEREITUNGEN

      Lilo hatte darauf bestanden, selbst zu fahren. Axel hatte sie den Ablauf des Besuchs im Hochzeitsschlössel erklärt. »Du entspannst dich, denn die Hochzeit ist mein Projekt. Du sollst nur genießen. Arbeit soll dir das keine machen. Du kannst auch gerne zu Hause bleiben.«

      Axel wollte aber ins Hochzeitsschlössel mitkommen. »Es ist unsere Hochzeit und da würde ich schon auch gerne ein wenig mitreden.«

      »Ich will doch nur, dass du keinen Stress damit hast«, hatte ihm Lilo versichert.

      »Für dich ist die Hochzeit sehr wichtig, ich freue mich darauf und für unsere Freunde und die Familie soll es ein Fest sein. Also machen wir das alles gemeinsam.«

      Trotzdem genoss es Axel, auf dem Beifahrersitz zu sitzen und sich nicht auf die Straße konzentrieren zu müssen. Lilo war die bessere Autofahrerin. Vor allem, wenn die Straßen glatt waren, fühlte er sich bei ihr sicher. Nachdem sie den Führerschein gemacht hatte, bekam sie gleich darauf von ihrem Vater ein Schleudertraining geschenkt und fürchtete seitdem weder Glatteis noch Schneefall.

      Vor der Windschutzscheibe tanzten die Flocken. Der erste Schnee ließ sie das Grau des Novembertages vergessen. Axel sah beim Seitenfenster hinaus, während Lilo die Serpentinen der Straße hinaufkurvte. Die Schneeflocken ließen die Tannen aussehen wie Bäume eines Lebkuchenhauses, die mit Puderzucker bestäubt worden waren.

      »Etwas abgelegen, dieses Hochlissen«, stellte Axel fest.

      »Es hat eine gute Anbindung an die Skischaukel der anderen Gebiete und gilt als Geheimtipp. Das Hochzeitsschlössel ist – was ich so herausgefunden habe – vor allem bei älteren Semestern beliebt, die schon seit vielen Jahren hier den Winterurlaub verbringen und auch im Sommer zum Wandern kommen.«

      Hochlissen war ein winziger Ort, der nur aus ein paar Pensionen und einfachen Hotels bestand. Gleich hinter der Kirche befand sich die Station des Lifts, der in kleinen Gondeln die Skifahrer im Winter auf den Berg beförderte. Eine breite Piste mit Schneekanonen lag gleich daneben. Sie war so verwaist wie die Après-Ski-Bar.

      Lilo lenkte den grünen SUV durch den Ort und die Fahrt ging danach eine etwas schmälere Straße weiter den Berg hinauf. In der Ferne war ein Tirolerhotel zu sehen: weiße Fassade, dunkle Holzbalkone und Fensterrahmen, ausladendes Schrägdach. Noch ein Stück weiter und etwas höher stand auf einem Felsvorsprung ein mächtiges altes Haus mit grün-rot gestreiften Fensterläden.

      »Was ist das?«, wollte Axel wissen.

      »Eine Art kleines Schloss, das sich vor fünfzig Jahren ein reicher Amerikaner erbauen hat lassen. Schloss Lucasberg.«

      Axel war über Lilos Wissen erstaunt.

      »Ich habe ein bisschen über die Gegend gegoogelt und dabei bin ich auf das Schloss gestoßen«, erklärte Lilo. »Weitere ›Sehenswürdigkeiten‹ der Umgebung sind übrigens ein Waldsee und eine Kapelle.«

      »Klingt nach richtig viel Action hier.« Axel grinste.

      »Der ideale Ort für eine Hochzeit in den Bergen.« Lilo ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Hier können sich alle Gäste auf unser Jawort konzentrieren und auf das herrliche Bergpanorama.«

      Da musste Axel ihr recht geben. »Ich bekomme eine kluge und fast schon poetische Frau.«

      Er küsste sie auf die Wange. Das letzte Stück zum Hotel war steil und die Automatik des Wagens schaltete einen Gang zurück. Der SUV kämpfte sich bis zum Parkplatz vor dem Hotel nach oben.

      Es war erst elf Uhr vormittags. Da die Schneewolken keine Sonne durchließen, wirkte es viel später.

      Die

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