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qualitativ hochwertige Landschaftsaufnahme lebt ganz entscheidend vom Licht. Es ist eine Sache, zu fotografieren und zu hoffen, dass es funktioniert, selbst wenn Sie sich zu den üblicherweise optimalen Zeiten auf den Weg machen. Es ist eine andere Sache, sich als Schüler des Lichts zu begreifen und lebenslang die Lichtnuancen in der Landschaft zu studieren. Wenn Sie sich die Zeit nehmen, die Lichtbedingungen zu entschlüsseln, die an Ihrem Lieblingsplatz über einen langen Zeitraum herrschen, dann machen Sie genau das, was viele Meister der Landschaftsfotografie gemacht haben: Sie werden zum Experten für diesen Ort.

      Um Ihre Beobachtungsfähigkeit bezüglich des Lichts zu verbessern, sollten Sie Ihre Bilder nach jedem Fotoausflug sorgfältig analysieren. Wenn man vor Ort mit den unterschiedlichen Aspekten der Bildgestaltung beschäftigt ist, fällt es schwer, jene subtilen Veränderungen wahrzunehmen, die durch wechselnde Bedingungen entstehen. Deshalb bin ich der Meinung, dass es vielen Fotografen gut tun würde, wenn sie sich mehr Zeit für die Bildbeurteilung nähmen. Je intensiver man die eigenen Aufnahmen betrachtet, umso mehr fällt einem auf, und man kann lernen, was gut funktioniert hat und was nicht.

      Nehmen wir einen Sonnenuntergang als Beispiel. Ich kann einige der klar unterscheidbaren Phasen des Sonnenuntergangslichts anhand der vielen Bilder charakterisieren, die ich über die Jahre gemacht habe: Kurz vor Sonnenuntergang erzeugt das Licht starke Schatten, wobei die Lichtfarbe ziemlich neutral bleibt. Das eigentliche Sonnenuntergangslicht ist lediglich kurz vor dem Verschwinden der Sonne vorhanden und sehr warm; die Schatten sind offensichtlich, aber nicht zu tief. Im Nach-Sonnenuntergangslicht sind die Schatten nur noch schwach vorhanden oder ganz verschwunden. Sobald die Sonne weit genug unter dem Horizont steht und die Atmosphäre ihr Licht zurückwirft, entsteht Zwielicht; die Luftschichten reflektieren die Strahlen, brechen und streuen sie. Die Farben leuchten und werden für eine kurze Zeit intensiver, ehe die Dunkelheit hereinbricht.

      Natürlich verallgemeinern solche Beobachtungen. Jeder Ort, jeder Sonnenuntergang hat seine eigene Charakteristik, und jeder Mensch hat seine eigene Methode, um solche »Daten zu sammeln«. Aber: Dieses Wissen ist von unschätzbarem Wert. Jene ortsspezifischen Beobachtungen, die Sie anhand Ihrer Bilder auf dem Leuchttisch oder am Computerbildschirm machen, verschaffen Ihnen viele Vorteile, wenn es darum geht, die Bedingungen an den jeweiligen Orten vorauszuahnen.

      Aus den Beobachtungen draußen beim Fotografieren und drinnen beim Bearbeiten lassen sich einfache, aber wichtige Lehren ableiten. Ihr Gespür für Ihre Umgebung ist eine entscheidende Fähigkeit, die Sie trainieren sollten. Ein klassischer Anfängerfehler ist, die Ausrüstung wegzupacken, kurz nachdem die Sonne hinterm Horizont verschwunden ist, und dann das herrliche Zwielicht zu verpassen.

      Es gibt zu diesem Thema eine Geschichte über Ansel Adams und sein Wissen um das Licht im Yosemite. In den frühen 1980er Jahren hatte er während einem seiner Juni-Workshops die Gelegenheit, eine 20 × 24-Fachkamera von Polaroid auszuprobieren. Der Hersteller schickte den Apparat nach Yosemite, und einmal wurde die Kamera am berühmten Tunnel View aufgebaut, der eine wunderbare Aussicht über das Yosemite Valley bietet.

      Ansel erschien, und eine Menschentraube begann sich zu bilden. Ein paar Nachmittagswolken zogen über den Sommerhimmel, und das Licht war ziemlich durchschnittlich. Alle, die gehofft hatten, sie würden Zeugen, wie Ansel ein meisterhaftes Foto schuf, waren enttäuscht, als er erklärte, das Licht sei noch nicht gut genug. Er sagte, dass in etwa einer Stunde die Wolken sich an dieser und jener Stelle zusammenballen würden, und erklärte seinem Publikum, wie er die Entwicklung der Lichtverhältnisse einschätzte. Einige Zuschauer waren enttäuscht, andere kicherten ungläubig – wie sollte Ansel wissen, was in einer Stunde passieren würde? Ruhig wandte sich Ansels Ehefrau Virginia an die Umstehenden: »Ansel weiß es.« Ein paar neugierige Zuschauer, mich eingeschlossen, blieben lange genug und wurden Zeuge, wie Ansels Vorhersage Wirklichkeit wurde. Obwohl die Aufnahme selbst nicht zu Ansels Meisterwerken gehört, hat das Bild enorm von seinem Detailwissen um die Licht- und Wettermuster im Yosemite profitiert.

      Das Bild Spring Storm, das diesen Essay einleitet, habe ich von eben jenem Aussichtspunkt Tunnel View gemacht. Es fällt schwer, sich einen noch häufiger fotografierten Ort vorzustellen, aber trotz seines ikonenhaften Status zieht er mich und viele andere Fotografen immer wieder an. Die täuschend ursprüngliche Aussicht vermittelt den Eindruck ungezähmter Natur, und der uneingeschränkte Überblick macht es einem möglich, die Licht- und Witterungsbedingungen rund um das Tal zu begutachten.

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      Pfeiffer Arch at Sunset (Pfeiffer Arch bei Sonnenuntergang) | Pfeiffer Beach, Pfeiffer Big Sur State Park, Kalifornien | 2004

      In der Nacht zuvor hatte es durchweg geregnet. Ich war nicht sicher, ob der Regen aufhören würde, und kam herauf, um mir die Verhältnisse anzuschauen in der Hoffnung, dass ein bisschen Licht durch die Wolken brechen würde. Obwohl ich das Licht, das mich erwartete, noch nie zuvor gesehen hatte, wusste ich von Beobachtungen aus der Vergangenheit, dass sich möglicherweise spektakuläre Lichtbedingungen ergeben könnten. Glücklicherweise kam die Sonne weit genug heraus, um die Wolken anzuleuchten, ohne mir direkt ins Objektiv zu scheinen und Flares zu erzeugen. Meine langjährige fotografische Erfahrung im Yosemite und etwas Glück bescherten mir magisches Licht.

      Es gehört zu den vielleicht größten Freuden im Dasein als Fotograf – zumindest für mich –, das Licht in der Landschaft zu sehen, mitzuerleben, wie sein täglicher Kreislauf sich im Wechsel der Jahreszeiten verändert und durch die Wetterbedingungen eines jeden Tages verschiebt. Schwelgen Sie im Licht und machen Sie seinen Zauber zum Bestandteil Ihrer Bilder!

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      Crab Apple Blossoms Along the Oconaluftee River (Holzapfel-Blüten über dem Oconaluftee River) | Great Smoky Mountains National Park, North Carolina | 1992

      NATURDETAIL UND LANDSCHAFTSPORTRÄT

      WIE ICH MEINEN PERSÖNLICHEN BLICKWINKEL FINDE

      Seit ich Fotograf bin, habe ich eine Vorliebe für Detailaufnahmen. Begonnen habe ich mit Techniken aus der Makrofotografie, um kleine Sujets wie Tautropfen oder Blütenblätter zu isolieren. Diese Art von Nahaufnahme beschrieb zwar nicht die gesamte Szene, schien aber am ehesten das zu vermitteln, was ich empfand und erlebte. Diese schwer fassbare »Essenz« war von stärkerer Wirkung in einer Bildgestaltung, die nur einen Teil des Motivs umfasste, als in einer schlicht beschreibenden Aufnahme des Sujets in seiner Gesamtheit.

      Als ich 1982 begann, eine 4 × 5-Großformatkamera zu benutzen, fuhr ich fort, Naturdetails zu fotografieren, konzentrierte mich aber meist auf Landschaft in einer mittleren Entfernung, die für gewöhnlich keinen Himmel enthielt und oft auch kaum eine Andeutung des Vordergrundes. Diese Stilart nenne ich »the intimate landscape« (sinngemäß etwa »Landschaftsporträt«, Anm. d. Ü.). Dieser Begriff ist mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen, seit ich zum ersten Mal Eliot Porters Buchklassiker Intimate Landscapes in der Hand hatte. Es ist ein Meisterwerk der Landschaftsfotografie. Sowohl die Bilder als auch das Genre, definiert durch den Titel, regten mich dazu an, dieses Gebiet, auf dem Porter Pionierarbeit geleistet hatte, weiter zu erkunden und die von ihm begründete Tradition der Landschaftsfotografie in Farbe zu erweitern.

      Das Foto Crab Apple Blossoms Along the Oconaluftee habe ich 1992 im Great Smoky Mountains National Park gemacht. Ich hatte eigentlich gehofft, dass mein Besuch mit der Blütezeit von Judasbaum und Hartriegel zusammenfallen würde, aber wie sich herausstellte, hatte der Frühling Verspätung (oder ich war zu früh dran). Nachdem ich durch den Park gefahren war und verschiedene Höhenlagen erkundet hatte, war ich überzeugt davon, dass noch nichts blühte – bis ich diesen Baum sah. Der Solitär stand am Flussufer, umgeben von kahlen Gehölzen. Bis dahin war es ein dunkler, trüber Tag gewesen, aber jetzt hatte ich plötzlich das Gefühl, dass nach einem langen, harten Winter der Frühling Einzug hält. Nun musste ich nur noch ein Bild machen, das genau diese Stimmung transportierte.

      Das Licht war perfekt – weich ohne störende Schatten oder Glanzlichter. Dies ist meine bevorzugte Lichtstimmung für Landschaftsporträts, weshalb ich diese oft an bewölkten

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