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können, mit Ihren eigenen Bildern »Grenzen zu verschieben«.

      Meine ersten eigenen Experimente mit dieser Vorgehensweise begannen vor einer ganzen Reihe von Jahren, als ich Aufnahmen von einem sehr nebligen Kiefernwald machte. In der digitalen Bildbearbeitung folgte ich meinem Standardablauf: Kontrast, Tiefen und Lichter anpassen. Die Ergebnisse sahen auf eine traditionelle, den Tonwertumfang komplett ausschöpfende Weise gut aus, aber das Bild gab nicht ansatzweise wieder, wie die Szene in jener nebligen Dämmerung auf mich gewirkt hatte.

      Meine normalen Abläufe bei der Bildentwicklung basieren auf dem, was ich von Ansel Adams gelernt habe, der in seinen Workshops im Yosemite sein Zonensystem für die Entwicklung von fotografischem Film und für die Ausarbeitung von Abzügen erläutert hat. Sein grundlegender Ansatz war, den vollen Tonwertumfang abbilden zu können.

      Allerdings hat Ansel seine Schüler immer wieder daran erinnert, dass das Zonensystem als ein flexibles Werkzeug gedacht war, um Kreativität auszudrücken, nicht als Gebot, um einen einzigen Weg der Bildentwicklung zu erzwingen. Wenn Sie spüren, dass eine Szene auf Sie bedrohlich wirkt, oder wenn Sie sich von leuchtenden Farben oder dramatischen Kontrasten in einer anderen Szene inspiriert fühlen, dann sollten Sie Ihr Bild entsprechend entwickeln. Die Idee hinter dem Zonensystem war, eine flexible Palette an Kontrollmöglichkeiten für die Tonwerte zur Verfügung zu stellen. Damit konnte der Fotograf die Tonwerte einer Szene spreizen oder verengen, je nachdem, welche Umsetzung er im Sinn hatte. In der digitalen Bildentwicklung lassen sich ähnliche Resultate erzielen. So wie einst mit dem Zonensystem für Film, so lassen sich heute mit Bildbearbeitungswerkzeugen wie Lightroom oder Photoshop Bilddaten interpretieren. Beide Programme bieten eine exzellente Kontrolle über den Kontrastumfang.

      Inspiriert von Worth und Witherill habe ich über die Jahre eigene Erfahrungen mit High-Key-Bearbeitungen gemacht. Meine Bildbearbeitung beginnt in Lightroom; dort nutze ich die Regler im Entwickeln-Modul. Ich schiebe den Tiefen-Regler weit nach rechts, um die dunklen Bildteile aufzuhellen und zu sehen, was dort an Details vorhanden ist. Dann verschiebe ich versuchsweise den Weißpunkt nach rechts und den Schwarzpunkt nach links. Oft lande ich mit dem Lichter-Regler sehr weit links, um einen Beschnitt in den hellsten Bildbereichen zu vermeiden und die Differenzierung in sehr hellen Tönen kontrollieren zu können. Wenn ich spüre, dass die Balance in Sachen Kontrast passt, erhöhe ich oft den Wert für die Belichtung, um das gesamte Bild aufzuhellen.

      Die klassische Bearbeitung dieses Zypressenbildes gab nicht wieder, was ich vor Ort gesehen und gespürt hatte: Die Stimmung dort hatte ich als märchenhaft und viel lichter empfunden als das, was ich auf meinem Monitor sah. Ich entschied mich, eine High-Key-Variante auszuprobieren, was bedeutete, dass alle Tonwerte der Datei im oberen Bereich des Tonwertumfangs liegen würden. Der dunkelste Ton wäre ein mittleres Grau, während sich die Mehrzahl der Tonwerte im hellgrauen und hellsten Bereich wiederfinden würde.

      Als ich die entsprechenden Anpassungen vornahm, erwachte das Bild zum Leben. Der Nebel leuchtete, und die Bäume zogen sich in helles Weiß zurück. Die Aufnahme geriet impressionistisch, ätherisch, und entsprach damit eher meiner emotionalen Reaktion auf die Szene. Wenn Sie Ihre Bilder beurteilen, sollten Sie sich an die Frage erinnern: Stellt diese Aufnahme das emotionale Äquivalent dessen dar, was ich gesehen und empfunden habe? Es war diese Frage, die mir half, die auf Seite 34 gezeigte High-Key-Variante zu entdecken.

      In meiner kürzlich in Buchform veröffentlichten Retrospektive hatte ich das Vergnügen, jene Portfolio-Themen zu präsentieren, an denen ich in vier Jahrzehnten hauptsächlich gearbeitet habe. Nun stellt sich für mich die Herausforderung: Was jetzt? Ich bin gespannt und voller Vorfreude auf eine neue Richtung, ganz egal, wohin diese führen mag. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!

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      Trees Growing on Moss-Covered Boulders (Bäume, die auf moosbedeckten Felsen wachsen) | Baxter State Park, Maine | 1995

      FOKUSSIERT

      FINDEN SIE IHR THEMA UND ENTWICKELN SIE EIN PORTFOLIO, DAS NUR IHRE BESTEN BILDER ENTHÄLT

      Welche Art von Fotos machen Sie? »Ach, ich probiere dies und das.« Diese Antwort habe ich am häufigsten gehört im Laufe der vierzig Jahre, die ich nun Fotografie lehre. Die verführerische Kraft der Kamera tritt auch in den Arbeiten der Schüler zutage; die meisten von uns fühlen sich auf ganz natürliche Weise zu vielen unterschiedlichen Motiven hingezogen. Die Portfolios der Teilnehmer spiegeln oft diese verschiedenen Interessen wider, zeigen jedoch wenig Fokus oder thematische Kontinuität. Keine Frage: Die Welt ist voller Wunder, die man fotografieren kann. Aber wie viele von uns haben die Zeit, jede Abzweigung zu erkunden? Die Hektik, die unser Leben bestimmt, und die Leichtigkeit, mit der man auf den Auslöser drückt, haben sich miteinander verschworen, um uns abzulenken.

      Dabei würden viele Fotografen von einem konzentrierteren Herangehen an ihre fotografische Arbeit profitieren. Wenn Sie Landschaftsfotograf sind und feststellen, dass Ihnen das oben Gesagte bekannt vorkommt, sollten Sie darüber nachdenken, welche Themen Sie wirklich ansprechen. Ein Thema kann weiter oder enger gefasst sein, so wie Wälder oder Zitterpappeln, Wüsten oder das Death Valley. Wichtig ist, sich überhaupt auf ein Thema zu konzentrieren und mit Blick auf ein entstehendes Portfolio zu fotografieren. Dieses Portfolio wiederum kann viele Formen annehmen: eine echte Portfolio-Box mit Fine-Art-Drucken, ein Buch oder eine Galerie für die Internetseite. Die Idee, die dahintersteckt, ist, dass Sie sowohl beim Fotografieren als auch beim Bearbeiten der Bilder das Ziel verfolgen, Ihre besten Aufnahmen zu einem Thema an einer Stelle zu versammeln.

      Ihr Portfolio sollte zwei Anforderungen erfüllen. Erstens muss, wie gesagt, ein in sich geschlossenes Leitmotiv vorhanden sein, etwas, das Sie bewegt und motiviert. Nehmen wir an, Sie haben sich ein Landschaftsthema ausgesucht, bei dem es irgendwie um Wasser geht. Mögliche Bilder könnten Wasserfälle zeigen, Flüsse, Seen oder das Meer.

      Das zweite Kriterium: Es sollte kein einziges Bild geben, dessen Qualität hinter der eines anderen zurückbleibt. Wann und wie auch immer Sie Ihre Fotografien präsentieren, verwässern durchschnittliche Bilder – wie Sie sie vielleicht nutzen, um Ihre Präsentation »aufzufüllen« – den Eindruck, den Ihre außergewöhnlichen Aufnahmen hinterlassen – und die Gesamtwirkung Ihrer Fotografien leidet darunter. Viele aufstrebende Fotografen räumen der Auswahl und Aufbereitung ihrer Bilder nicht genügend Vorrang ein.

      Im nächsten Schritt geht es darum, die eigenen Bilddaten durchzusehen und die allerbesten »Wasserlandschaften« auszuwählen. Wenn Sie sich an mein zweites Kriterium halten, werden Sie den Auswahlprozess als schwierig empfinden. Selbstkritisches Herangehen ist entscheidend! Seien Sie nicht überrascht, wenn Sie nur einige wenige Bilder von gleichermaßen hoher Qualität finden. Natürlich entscheiden Sie als Künstler letztendlich selbst, aber vielleicht hilft es Ihnen, wenn Sie Ihre Arbeiten von anderen, erfahreneren Fotografen bewerten lassen, zum Beispiel von jenen, die Workshops leiten. Eine Zweitmeinung einzuholen liefert Ihnen entweder Bestätigung oder zwingt Sie dazu, das Niveau Ihrer Fotografie zu überdenken.

      Jetzt sollten Sie das Fundament für Ihr Portfolio beisammenhaben, ganz gleich, ob es zwei oder zwanzig Bilder sind, und eine Referenz, mit deren Hilfe Sie Ihren Fortschritt einschätzen können. Wenn Sie weiter für Ihr Portfolio fotografieren, können Sie sich bei der Planung, beim Erkunden und beim eigentlichen Bildermachen auf das gewählte Thema konzentrieren. Neue Aufnahmen lassen sich mit Ihrem Qualitätsstandard vergleichen und zum Portfolio hinzufügen, wenn sie dem Vergleich standhalten. Mit der Zeit ersetzen neue Bilder vielleicht einige der ursprünglichen Aufnahmen, weil die Gesamtqualität des Portfolios zunimmt. Die Fotos, die darin Bestand haben, also die Fotos, die Sie noch immer begeistern, bleiben. Werten Sie die Sammlung Ihrer besten Aufnahmen öfter aus – das führt Ihnen die eigene Weiterentwicklung vor Augen und ist Lohn für Ihre Anstrengungen.

      Ein Fotoprojekt kann einige wenige Monate umfassen oder ein ganzes Leben. Wie viele andere Naturfotografen mache ich gern Bilder von Bäumen und habe ein Baum-Portfolio, das ich laufend ergänze. Vor Jahren sind meine Aufnahmen dafür ausgewählt worden, im Rahmen eines Buchprojekts einen Essay des Romanautors John Fowles mit

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