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sie motiviert mich und beflügelt meine Fotografie. Im Angesicht einer Landschaft aus stillem Fels, spiegelndem Wasser und sich öffnenden Wolken fühle ich die stärkste Verbindung zu mir selbst und zum Leben an sich. Diese Schönheit zu sehen und zu spüren, ist mir wesentlich wichtiger als jedes daraus resultierende Bild. Dennoch fühle ich mich verpflichtet, wenigstens den Versuch zu unternehmen, dieser Magie des Staunens eine visuelle Form zu geben, und ich nehme an, dieses Gefühl ist Ihnen wohlbekannt.

      Wir Fotografen tendieren dazu, uns von der Technik und der Technologie des Fotografierens ablenken zu lassen. Ansel Adams hat oft das Überangebot an scharfen Fotos mit schwammigem Konzept beklagt. Anders als Ansel bin ich nicht besonders technikorientiert, aber es liegt mir viel daran, technisch exzellente Aufnahmen zu machen. Als Anfänger habe ich mir meine Grundkenntnisse in College-Fotokursen angeeignet – sowie durch Versuch und Irrtum, wobei der Schwerpunkt auf Letzterem lag. In dem Maße, wie sich die Technologie weiterentwickelt hat, habe auch ich neue Verfahren erlernt, um Probleme in meinem fotografischen Alltag zu lösen. Mein Weg als Fotograf nahm seinen Anfang in den 1970er Jahren. Ich nutzte Kleinbild- und 4 × 5-Großformatkameras, ehe ich 2005 komplett auf digitale Fotografie umstieg. In einigen meiner Essays werden Sie Angaben zur Ausrüstung finden; für weitere Details darf ich Sie auf die Bildnotizen am Ende des Buchs verweisen.

      Das Buch enthält mein Gedankengut und meine Verfahrensweisen: zum Einfangen des Lichts, zur Gestaltung eines Bildes und dazu, wie man auf persönliche und kreative Weise seinen eigenen Blick auf die Welt vermittelt. Ich habe diese Essays im Laufe der vergangenen zwei Jahrzehnte geschrieben; sie fassen meine vierzigjährige Erfahrung im Bildermachen zusammen. Es geht darin um Licht und Wetter, um Bildgestaltung und Umwelt, um Vermarktung und ein bisschen auch um Philosophie; darum, wie man ein Portfolio entwickelt und wo man Inspirationsquellen findet. Und ja, auch Yosemite und Ansel Adams spielen eine Rolle. Ich erwähne sogar Blendenwerte.

      Zu Beginn meiner fotografischen Reise verspürte ich überhaupt kein Interesse, mich über das Motiv auszulassen, über Methoden zu schreiben oder meine Gründe dafür darzulegen, dass ich mich für diese Kunstform entschieden hatte. Mein Vater war Journalist, meine Mutter hatte Englisch als Hauptfach studiert, und obwohl mir die beiden als Kind beim Schreibenlernen halfen, wollte ich meine Zeit nicht mit Schreiben verschwenden, wenn ich doch draußen in der Natur sein und fotografieren konnte. Ich war zwanzig und ungeduldig. Nach dem College-Abschluss ging es darum, herauszufinden, womit ich meinen Lebensunterhalt verdienen wollte. Als ich anfing zu lehren, kurz nachdem ich im Yosemite angekommen war, musste ich mich in Worten ausdrücken, vor allem was die Methoden und Herangehensweisen betraf. In dieser Zeit war es mir möglich, Workshops und Vorträge zu besuchen – von Ansel Adams, Joel Meyerowitz, Jerry Uelsmann, Ernst Haas, Paul Caponigro, Philip Hyde, John Sexton, Alan Ross, Robert Glenn Ketchum, Chris Rainier und vielen anderen. Diesen Meistern zuzuhören, hat mir sehr dabei geholfen, meine eigene künstlerische Sichtweise zu finden und zu artikulieren.

      In diesen frühen Jahren meiner praktischen Lehrtätigkeit stellte ich fest, dass ich offensichtlich wirklich etwas zu sagen hatte. 1985 begann ich Artikel für die Zeitschrift Outdoor Photographer zu schreiben. Das Jahr 1997 markiert den Beginn meiner Kolumne »On Landscape« für dieses Magazin. Bis jetzt sind in diesem Rahmen 136 Essays entstanden. Diese Essays sollen vor allem die kreative Seite der Landschaftsfotografie beleuchten. In jeder Folge beschreibe ich meinen Ansatz auf der Suche nach Inspiration, beim Entdecken von Motiven – und meinen Weg zum Endresultat. Das vorliegende Buch ist ein Sammelband ausgewählter Kolumnen.

      Diese Sammlung spannt den Bogen über viele Jahre. Deshalb weicht die Reihenfolge der Themen von der typischen Abfolge wie in einem Lehrbuch ab. Sie können die Essays der Reihe nach lesen, aber auch an einer beliebigen Stelle mit der Lektüre beginnen. Sie können sich einzelne Themen heraussuchen oder dort einsteigen, wo bestimmte Fotos Ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und sich dann durch die Kapitel arbeiten. Das Inhaltsverzeichnis soll Sie an mögliche spannende Themen heranführen. Was hier beschrieben wird, ist für jeden Fotografen anwendbar, unabhängig davon, ob Sie mit Film oder digital arbeiten.

      Ich bin immer auf der Suche nach Inspiration – in der Wildnis, in der Natur nah und fern. Die Schönheit der Natur fotografiere ich seit vier Jahrzehnten, und ich habe dabei festgestellt, dass meine Suche nach den »Landschaften, die meine Seele nähren« ein unendlich wertvolles Gegengewicht zu den Stürmen des Alltags darstellt. Ob nun in der Wildnis oder in meinem eigenen kleinen Stückchen Natur in der Sierra Nevada: Ich schöpfe permanent Trost aus der Schönheit, die uns jeden Tag umgibt, und dieser Trost beruhigt meine Gedanken und hebt meine Stimmung.

      Obwohl es in diesem Buch nicht um fotografische Regeln und Vorschriften geht, erwähne ich dennoch viele praktische Möglichkeiten, mit denen Sie Ihre Fotografie verbessern können. Ich hoffe, dass Ihnen die Lektüre – basierend auf meinen Ideen und meiner Leidenschaft für Natur und Fotografie – dabei hilft, Ihre eigene Stimme zu finden und Ihre eigene künstlerische Sichtweise zu entdecken.

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      Dawn (Morgendämmerung) | Lake Louise, Banff National Park, Kanada | 1995

      LANDSCHAFTEN, DIE MEINE SEELE NÄHREN

      WARUM ICH FOTOGRAFIERE

      Meine Entwicklung als Fotograf ist eng verbunden mit meinem Glauben an den hohen Wert von Wildnis und Naturschönheit sowie das Bedürfnis danach. Diese Überzeugung entstammt persönlicher Erfahrung – als mein Bruder im Sommer 1972 starb, war ich achtzehn. In jenem Sommer arbeitete ich im Glacier National Park. Dass ich mich in meiner persönlichen Notlage dieser Landschaft anvertrauen und in sie eintauchen konnte, hat mir die Augen geöffnet für die heilenden Kräfte der Natur, und es hat mich zu einem Leben in Fotografie geführt. Die Schönheit meiner Umgebung sickerte tief in mein Unterbewusstsein ein – die vor Farbe strotzende Wiese voller Wildblumen, die Wucht eines Gewittersturms, die Klarheit eines Bergsees. Im Versuch, diese lebensbejahenden Entdeckungen festzuhalten und auszudrücken, begann ich zu fotografieren, während ich den Park auf Rucksacktouren erkundete. Innerhalb weniger Jahre war Fotografieren alles, was ich wollte.

      Ansel Adams griff gern auf Worte seines Mentors Alfred Stieglitz zurück, um seine Schüler daran zu erinnern, dass eine herausragende Fotografie das emotionale Pendant zur Reaktion des Fotografen auf sein Motiv darstellt. Nur selten erreicht man dieses hohe Ziel. Wir alle können uns glücklich schätzen, wenn wir zwei-, drei- oder viermal im Jahr eine Aufnahme machen, in der Technik und Emotion so ineinanderfließen, dass ein ganz besonderes Bild entsteht. Damit meine ich nicht einfach ein technisch exzellentes, schönes Foto. Ich meine ein Foto, das dank seiner hochgradig persönlichen und kreativen Perspektive Ihre besten Aufnahmen weit übertrifft. Übrigens: Ich bin mir nicht sicher, dass Profis in dieser Hinsicht eine höhere »Erfolgsquote« aufweisen als Amateurfotografen; die jeweiligen Erwartungen an die eigene Arbeit sind einfach zu verschieden. Wie dem auch sei: Es ist immer von Vorteil, wenn man eine gesunde Erwartungshaltung an die eigene Entwicklung hat.

      Über die Jahre war ich auf der Suche nach Bildern, die – um es mit den Worten des großen Schwarzweiß-Fotografen Paul Caponigro zu sagen – in der Lage sind, »die Obertöne jener Dimension [der Natur] sichtbar zu machen, nach denen ich suchte. Traumgleich bewahren diese einzelnen Aufnahmen ihre ganz eigene Landschaft, entstanden durch das Zutun einer dort vorhandenen gestaltenden Kraft, und zwar nicht meiner. Auf geheimnisvolle Weise – und meist dann, wenn ich etwas gar nicht bewusst steuern wollte – schlich sich diese mächtige, zarte Magie ins Bild und spiegelte mir genau das, was ich empfunden und gesehen hatte.«

      Ich glaube, dass es sich bei der Aufnahme Dawn, Lake Louise um ein solches Bild handelt, wie es Caponigro beschreibt. Ich war an diesem Sommermorgen sehr früh aufgestanden in der Hoffnung auf einen dramatischen, strahlenden Sonnenaufgang über dem Lake Louise und den gletscherbedeckten Bergen. Mag sein, dass meine Hoffnungen ein bisschen übertrieben waren nach den vorangegangenen zwei Wochen Fotografieren im Regen. Geduldig wartete ich auf den Sonnenaufgang, aber die Stimmung, die ich mir vorgestellt hatte, wollte sich nicht einstellen – hartnäckig verhüllten die Wolken die Berge. Es war eine stille, geheimnisvolle Dämmerung. Ich saß einfach da und nahm die Eindrücke in mich auf. Schließlich

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