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      geb. 1972, Dr. theol., Assoziierter

      Professor für Spiritualität an der

      Päpstlichen Universität Gregoriana

      [email protected]

       Stationen einer Rezeption

      „Haben Sie Anthony de Mello gekannt?“ Diese Frage, hauptsächlich von Jesuiten gestellt, musste ich sehr oft beantworten, während ich in der Zeit rund um den Millenniumswechsel in Spanien mein Interstiz1 absolvierte. Scheinbar konnte man gar nicht über die Gesellschaft Jesu in meinem Heimatland Indien sprechen, ohne de Mello zu erwähnen – solchermaßen war seine Beliebtheit.

      Wie hat sich die Situation aber inzwischen entwickelt? Wie ist sein Einfluss auf Kirche und Welt heute? Und wie wirkt sich das konkret im Alltagsleben von Menschen aus? Ein Austausch mit Menschen, die direkt oder indirekt mit ihm in Kontakt standen, könnte diese Fragen beantworten. Daher führte ich einige Gespräche mit Jesuiten aus verschiedenen Erdteilen, um herauszufinden, wie sie Tonys Einfluss heute einschätzen.2 Die persönlichen Gespräche dauerten zwischen dreißig Minuten und einer Stunde. Ich wollte von meinem Gegenüber jeweils wissen, welche Eindrücke sie von de Mello und von seinem Einfluss auf andere hatten. Die Mitteilungen waren hilfreich und teilweise von sehr persönlicher Art.

      Das Ergebnis dieser Erkundungen: De Mello ist international. Seine Botschaft ist für alle zugänglich – für Gläubige wie für Nichtgläubige, denn er sprach den Lebenskern der Menschen an. Ganz besonders erreichte er jene Menschen, die von organisierten Religionen enttäuscht waren, da er ihnen dabei half, Wahrheitsansprüche zu hinterfragen und Wahrheit bzw. Einsicht aus erster Hand zu erfahren. Ferner integrierte er das Beste aus östlichen und westlichen Formen der Spiritualität. Seine eigene Spiritualität ist befreiend – dieses Wort fällt immer wieder in den Gesprächen. Er bietet eine Methode an, sowohl zu den innersten Tiefen des eigenen Selbst als auch zur äußersten transzendenten Wirklichkeit, Deus semper maior, durchzudringen. Bevor ich auf diese Aspekte eingehe, will ich an einigen Stellen in de Mellos Leben innehalten, um die genannten Eigenschaften besser zu verstehen.

      Geschichte

      1972 gründete de Mello in Pune (Indien) das spirituelle Beratungsinstitut Sadhana3, welches ein psycho-spirituelles Programm anbot. 1978 siedelte er das Institut auf eine mehr abgelegene Hügelstation, Lonavla, um. Anfangs war das Programm auf Jesuiten abgestimmt, wurde später jedoch auch anderen Priestern und Religionen zur Verfügung gestellt. Jedes Institut entwickelte sich anhand der Herausforderungen seiner Zeit, während es gleichzeitig dem Geist seines Gründers treu blieb. Das trifft auch auf Sadhana zu. Das bezeugt Michael Barnes: „Als ich das Terziat in Indien absolvierte, die Abschlussphase meiner jesuitischen Ausbildung, konnte man mit seinem Namen Wunder wirken. Als ich das Zentrum besuchte, das er bei Lonavla, unweit von Pune, gegründet hatte, wurde mir klar, dass der Geist de Mellos weiterlebte.“4

      De Mello starb am 2. Juni 1987 in New York. Während er die Welt bereiste, um Seminare anzubieten und Konferenzen zu leiten, wurden seine Werke zwar publiziert, aber zahlreiche andere erschienen erst posthum.5 Gegen 1998 waren einige seiner Bücher (insbesondere Sadhana) bereits in über 40 Sprachen übersetzt.6

      Widersprüche und Widerstände

      Gerade in Tonys Todesjahr publizierte Carlos G. Vallés SJ, einer seiner eifrigsten Bewunderer, den Beitrag Unencumbered by baggage: Father Anthony de Mello, a prophet for our times. Zehn Jahre später kam Vallés‘ Diez años después, wo er die Schattenseiten jenes Propheten, den er so bewundert hatte, hervorhebt. Im Vorwort zu diesem zweiten Buch stellt Vallés klar, dass sein Manuskript bereits 1997, zum zehnten Todestag von Anthony de Mello, fertiggestellt war. Publiziert wurde es erst 1998 aufgrund einer Verzögerung bei der Erlangung des Imprimatur. Im Vergleich zu Vallés formuliert Thomas Casey einige seiner Vorbehalte bezüglich de Mello zurückhaltender. Casey schreibt: „Leider können Tonys Verschmitztheit und freier Geist als düsterer missverstanden werden, als sie in Wahrheit sind, wenn diese sich schriftlich ausdrücken. Daher bevorzugte er das gesprochene gegenüber dem geschriebenen Wort.“7

      Im Geschehen um die Rezeption des Nachlasses von A. de Mello stellte sich der 24. Juni 1998 als wichtiges Datum heraus. An dem Tag, über ein Jahrzehnt nach dem Tod de Mellos, erließ die Glaubenskongregation eine „Notifikation über die Schriften von P. Anthony de Mello SJ“.8 Diese Notifikation legte fest, dass einige Positionen de Mellos für den katholischen Glauben „schweren Schaden verursachen können“. Grundlage der Notifikation waren jene Publikationen, die posthum in de Mellos Namen erschienen waren – diese waren aber nicht seine eigenen Publikationen. Berüchtigt unter ihnen sind ein langer Beitrag in der spanischen Zeitschrift Vida Nueva unter dem Titel „La iluminación es la espiritualidad“ sowie ein portugiesisches Buch Caminhar sobre as águas: Quebre o ídolo (engl. Übers.: Walking on Water), die auf den Notizen für Einkehrtage, die er in Amerika leitete, beruhen.9 Die Notifikation verwirrte Christ(inn)en und Nicht-Christ(inn)en gleichermaßen. Die meisten Menschen fragten sich, worin der „schwere Schaden“ liegt. Es gibt keinen Beweis, dass jemand die Kirche nach der Lektüre von Tonys Buch je verlassen hätte.

      In einer Analyse der Hintergründe dieser unglücklichen Notiz beobachtet Lisbert D’Souza, dass de Mellos Beliebtheit mit einem Aufschwung der „New Age“-Spiritualität zusammenfällt und dass er als Prophet des „New Age“ bejubelt wurde. „New Age“ war allerdings ein Tabuthema in manchen kirchlichen Kreisen, und de Mellos Bücher mussten dafür den Preis zahlen. Sie verschwanden über Nacht aus den Regalen katholischer Bücherläden. Später wurde dieser „Bann“ wieder aufgehoben, die Bücher tauchten in katholischen Buchhandlungen wieder auf, versehen mit einem kleinen Warnhinweis.10 Inzwischen war de Mellos Buch aber nach wie vor im säkularen Handel zu erwerben. Das „Verbot“ förderte freilich nur den Verkauf.

      Rezeption

      Absolventen des Sadhana-Kurses, allen voran diejenigen, die ihn unter de Mello durchliefen, führen ihn später nicht selten in irgendeiner Form selbst weiter. So fördert beispielsweise Anand Nyak, ehemaliger Jesuit und de Mello-Experte, de Mellos Lehre in der Schweiz, Frankreich, Belgien, Deutschland, Österreich und Kanada. Er leitet regelmäßig Sadhana-Kurse im Lasalle Haus, dem Bildungshaus der Jesuiten in Edlibach (Kanton Zug) nahe Zürich.11 J. Francis Stroud SJ gründete wiederum das „DeMello Spirituality Center“ (nunmehr DeMello-Stroud Spirituality Center).

      De Mellos Schriften genossen also anhaltendes Interesse. Auch nach 1992 erschienen weiterhin Werke, die auf seinen Konferenznotizen oder auf Tonbandaufnahmen seiner Vorträge basieren, so etwa 2010 Seek God Everywhere: Reflections on the Spiritual Exercises of St. Ignatius (Vorträge zu den ignatianischen Exerzitien, Juli – November 1975).12 Zum 25. Todestag brachte Image Books die Publikation Rediscovering Life: Awaken to Reality13 als Begleitband zu seinem Buch Awareness heraus. Zuletzt erschien 2014 das von seinem Bruder Bill edierte Buch Swansong: Anthony de Mello’s Last Seminar (2014).

      Diese Bücher zeigen ferner den Umfang seines Einflusses. Der irische Jesuit John Callanan ist ein weiterer Schriftsteller mit einer umfangreichen Publikationsliste zu Tony de Mello.14 We Heard the Bird Sing: Interacting with Anthony de Mello, S.J. (1997), zusammengestellt von Aurel Brys SJ und Joseph Pulickal SJ, enthält interessante Erfahrungsberichte von Personen, deren Leben von de Mello berührt und beeinflusst wurde. Tony D’Souza und Bud Wonsiewicz brachten 2006 Discovering Awareness: A Guide to Peace, Strength and Freedom heraus, während Anand Nayak im selben Jahr Anthony de Mello: Sein Leben, seine Spiritualität publizierte.

      P. Jerry Sequeira SJ, Direktor des jesuitischen Verlagshauses „Gujarat Sahitya Prakash“ (GSP) in Anand, Indien, welches die Rechte für neun Bücher de Mellos innehat15, erwähnte die ungebrochene Nachfrage nach seinen Büchern. GSP übertrug die Publikationsrechte für Übersetzungen der Werke an einige weitere Verlage. Allein dadurch wurden seine Bücher in über 26 Sprachen übersetzt. Zuletzt

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