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Geist & Leben 2/2019. Echter Verlag
Читать онлайн.Название Geist & Leben 2/2019
Год выпуска 0
isbn 9783429064280
Автор произведения Echter Verlag
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Aus einer Vielzahl von Schriften kristallisierten sich in stetigem und reflexivem Gebrauch einige heraus, die das Leitmedium des lebendigen Wortes besonders deutlich vermittelten. Auf dieses Leitmedium, hat sich das Christentum (oder nach dem Johannesprolog Gott selbst) festgelegt. Gott spricht dem Menschen das rettende Wort zu, auf das dieser sich restlos verlassen kann. Ohne dieses Evangelium gäbe es keinen christlichen Glauben, keine Gläubigen, keine Kirche. Gott inkarniert sich in seinem Logos.
Wird christliche Spiritualität, die sich von Gottes Wort inspirieren lässt, durch die Digitalisierung nicht an einer schmerzempfindlichen Stelle getroffen? Wenn sich die buchförmige christliche Bibel in ein Digitalisat auflöst – entgeht dann dem/der Leser(in) dieses Buchs mit dem haptischen Erleben nicht ein Aspekt der Inkarnation? Als jemand, der noch vor der digitalen Revolution religiös sozialisiert wurde, erachte ich es als einen positiven Nebeneffekt der Digitalisierung, dass sie auch auf die fokussierende Qualität eines Buchs aufmerksam macht, die der Praxis einer geistlichen Lektüre entgegenkommt. In der digitalen Relativierung des Buchmediums kann jedoch auch deutlich werden, dass das Wort, auf das sich Christ(inn)en verlassen, kein gedruckter Text ist. Inkarniert sich doch Gott, nach christlichem Verständnis, in seinem lebendigen Wort und nicht in den heiligen Schriften, die von dieser Wortwerdung berichten, auch nicht in dem Buch, in dem diese Schriften gesammelt sind. So unersetzbar diese Schriften auch sind, so missverständlich ist es, das Christentum als Schrift- oder Buchreligion zu beschreiben. Gottes Gegenwart vergegenwärtigt sich multimedial – auch digital.
Maura Zátonyi OSB | Rüdesheim
geb. 1974, Dr. phil.,
Abtei St. Hildegard/Eibingen
Kommunizierendes Friedensverständnis
Inspirationen durch Hildegard von Bingen
In Europa erleben wir derzeit die längste Friedensperiode der Geschichte. In unserem Alltag erfahren wir jedoch, wie zerbrechlich der Friede ist. Täglich erreichen uns Berichte von Kriegen, gewaltsamen Eskalationen, bedrohlichen Krisen. Auch in unseren eigenen Verhältnissen sind wir immer wieder Konflikten – unterschwellig oder offen ausgetragen – ausgesetzt. Eine Versöhnung erfolgt meistens erst nach einem heftigen Streit. Muss es so sein? Warum ist es so? Der folgende Versuch, auf diese Fragen einzugehen, schöpft aus der spirituellen Tradition und versteht sich als eine Einladung zur realitätsbezogenen Reflexion und geistesgewirkten Gestaltung einer Friedenskultur.1
Friede: Ein spiritueller Wachstumsprozess
„Um in der Wahrheit zu bleiben, muss man manchmal seinen seelischen Frieden verlieren können. Echter Gottesfriede entsteht oft erst aus Leiden und Demütigung oder aus einer bewusst angenommenen seelischen Erschütterung.“2 Diese Worte von Jean Vanier, dem Gründer der Arche-Gemeinschaften, widersprechen unserer üblichen Vorstellung von Frieden. Wenn wir an Frieden denken, dann meinen wir Ruhe und einen ungestörten Verlauf der Dinge. In Jean Vaniers Friedensverständnis dagegen ist viel Dynamik enthalten. Friede entsteht demgemäß dann, wenn wir uns den störenden Faktoren unseres Lebens stellen.
Jean Vanier steht mit dieser Einsicht nicht allein, auch andere Meister des spirituellen Lebens sind ähnlicher Überzeugung. Basil Kardinal Hume, ehemals Abt von Ampleforth, dann Erzbischof von Westminster, legte seinen Mönchen ans Herz: „Der Friede, den [das Ordensleben] schenkt, ist ein hart errungener und, glauben Sie mir, er bringt Leiden mit sich. Und doch ist es ein Friede, der durch die uns von allen Seiten her bedrängenden Stürme nicht erschüttert wird.“3
So überrascht es nicht, wenn wir in die Geschichte der Spiritualität blickend auf weitere Konzepte eines dynamischen und kämpferischen Friedensverständnisses stoßen. Zwar aus der zeitlichen Ferne von 900 Jahren, aber mit einer beeindruckenden Aktualität vertritt die heilige Hildegard von Bingen (1098–1179), seit 2012 zur Kirchenlehrerin erhoben, eine Auffassung, die mit den bereits zitierten Worten übereinstimmt. Die hl. Hildegard wird häufig mit in Richtung Himmel gerichtetem Blick dargestellt. Ihr Lebenswerk zeugt aber von ihrer Bodenständigkeit, ihrer realistischen Menschenkenntnis, einem psychologischen Feingefühl und auch von ihrer Entschlossenheit, Konflikten und Schwierigkeiten konstruktiv zu begegnen.4
Als Äbtissin kannte Hildegard aus eigener Erfahrung sowohl die glücklichen Momente als auch die belastenden Schwierigkeiten des gemeinschaftlichen Lebens. Sie wusste, dass das friedliche Zusammenleben von Menschen immer wieder durch Zwietracht und Spaltungen gefährdet ist.5 Zugleich war sie überzeugt, dass wir aus den Gefährdungen und Erschütterungen eine gereifte Erfahrung von Frieden gewinnen können. Ihre Überzeugungen hat sie in einem Brief zusammengefasst, der als ihr spirituelles Testament gilt: „Alles, wovor der Mensch aus Angst flieht, um nicht verletzt zu werden, trägt dazu bei, dass er seine Zuversicht auf Gott setzt und zu ihm ruft, damit Gott ihm beisteht und ihn in der Ruhe des Friedens bewahrt. Alles aber, was um des Menschen willen existiert, was in ihm ist, wodurch er wirkt und was ihm friedlich und zuträglich Hilfe leistet, lehrt den Menschen, Gott Liebe entgegenzubringen. Wenn der Mensch nämlich nur das kennen würde, was ihm angenehm und wohltuend ist, wüsste er nicht, was das ist und was es heißt. Deshalb gewinnt der Mensch das höchste Wissen unter der Last der Härte, die von dem kommt, was schädlich ist, und so erkennt er, was gut und böse ist, und so kann er allem einen Namen geben, wie Adam. Würde der Mensch nämlich in den Dingen nur das eine kennen, dann wäre das Werk Gottes in ihm nicht vollkommen (…).“6
Mit diesen Worten gibt Hildegard zu verstehen: Alles, was den Menschen beunruhigt, wodurch er seinen Frieden bedroht und gefährdet sieht, kann ihn in einer existenziellen Erkenntnis wachsen lassen. Diese Gedanken beinhalten eine befreiende Botschaft: Es steht in unserer Entscheidung, wie wir auf Verletzungen, Bedrängnisse, Enttäuschungen und sogar Unrecht reagieren! Entweder antworten wir mit Aggression und schlagen zu, wenn wir uns bedroht fühlen, und dann werden wir immer mehr in Verbitterung verwickelt. Oder wir lassen uns herausfordern und sind bereit, uns auf einen Lernprozess einzulassen.
„Der Frieden sprosst in der vollen Grünkraft der Wahrheit“
Hildegard versteht den Weg zum Frieden als einen spirituellen Lernprozess – oder sogar als einen spirituellen Wachstumsprozess: „Der Frieden sprosst in der vollen Grünkraft der Wahrheit.“7 Das typisch hildegardische Wort „Grünkraft“ (viriditas)8 enthält theologische und spirituelle Dimensionen. Gerade dieses Wort viriditas macht deutlich, dass das Wachsen in den Frieden hinein ein von Gottes Geist gewirkter Prozess ist. Dies gilt es im Folgenden zu zeigen.
Bei einer Lektüre in den Werken Hildegards ergeben sich drei Momente, die nach dem hildegardischen Friedensverständnis einen solchen Prozess konstituieren: 1. Realitätssinn, 2. Wahrheit bzw. Wahrhaftigkeit und 3. Aufgeschlossenheit für die transzendenten Dimensionen des Daseins. Zudem leuchtet ein, dass es sich bei Hildegard um ein kommunizierendes Friedensverständnis handelt: Frieden wächst durch entsprechende Formen der Kommunikation.9
Obwohl sich Hildegard an zentralen Stellen mit dem Frieden befasst, hat sie keine systematische Lehre oder einen Traktat darüber entworfen. Ihre Form, sich auszudrücken, sind Visionen, in denen uns fremde und befremdende Bilder begegnen. Wenn wir uns aber in diese Visionen vertiefen, dann entdecken wir, dass diese Bilder etwas mit uns zu tun haben. Die Visionen Hildegards laden uns ein, unseren Alltag mit spiritueller Kraft zu durchdringen und so ein Stück Frieden zu verwirklichen. Hildegards Visionen vermögen unserem Dasein – manchmal ein Knäuel von unterschiedlichen, einander widerstrebenden Kräften – eine Fassung zu