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Kirchliches Leben im Wandel der Zeiten. Группа авторов
Читать онлайн.Название Kirchliches Leben im Wandel der Zeiten
Год выпуска 0
isbn 9783429060954
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Серия Erfurter Theologische Studien
Издательство Bookwire
Schon während seiner Arbeit am „Rheinischen Merkur“ hatte Görres seinen Frieden mit der katholischen Kirche gemacht, vorbereitet auch durch seine historischen und mythologischen Studien. 1824 kehrte er mit seiner Familie auch formell in die Kirche zurück, ließ sich kirchlich trauen und entwickelte ein lebhaftes Interesse an theologischen und kirchenpolitischen Fragestellungen.
V.
Im Herbst 1827 erhielt Joseph Görres einen Ruf an die Münchner Universität. Er nahm ihn an und konnte so ehrenvoll nach Deutschland zurückkehren. König Ludwig I. von Bayern hatte sich mit dieser Berufung allen preußischen Einwänden widersetzt. Zu Beginn seiner Regierung war Ludwig I. ein äußerst reformfreudiger Monarch und hatte eine Verlegung der altbayerischen Universität Landshut in die bayerische Hauptstadt verfügt. Er wollte so eine Chance für einen organisatorischen, ideellen und personellen Neuaufbau eröffnen. Der Ruf an Görres zum Wintersemester 1827/28 war trotz der Sparpolitik des Königs zustande gekommen, um mit dem „genialen Görres“ der Münchner Universität Anziehungskraft auf die akademische Jugend zu verschaffen. Sein universalistischer Wissenschaftsgeist, sein hohes Bildungsethos und seine ausstrahlende geistige Potenz sollten möglichst viele Hörer anlocken. Nicht zuletzt wurde die Universität mit der Hoffnung konfrontiert, dass Görres „der christlichen katholischen Richtung ein entschiedenes Übergewicht“ verschaffen sollte.18
Görres wurde der Lehrauftrag erteilt für „Allgemeine und Litteratärgeschichte“. Heimisch wurde Görres in München nicht, zu tief war seine rheinische Verwurzelung. Aber er avancierte bald zur Zentralfigur eines Kreises. Hatte er zuvor in Heidelberg die Romantiker um sich versammelt, so wurde er in München zum Mittelpunkt eines kirchenpolitischen Engagements für eine Erneuerung des katholischen Deutschlands. Dieser Kreis von katholischen Gelehrten hatte schon den Ruf von Görres nach München begrüßt und versuchte, das Übergewicht der aufklärerischen protestantischen Wissenschaft und des weltanschaulichen Liberalismus auszutarieren. Zu diesem Kreis gehörten der Philosoph Franz Baader, der Theologe Ignaz Döllinger, der spätere Bischof von Eichstätt Georg von Öttl und der spätere Bischof von Regensburg, Franz Xaver von Schwäbl.
Diese Persönlichkeiten fanden sich zu regelmäßigen Treffen in einem Lokal und bildeten den Kern einer Mannschaft, die sich – verstärkt durch Görres – entschloss, eine Zeitschrift herauszubringen, welcher der programmatische Name „Eos“ gegeben wurde. Von ihren Gegnern wurde der Eos-Kreis rasch mit dem Etikett „Congregation“ belegt, um „Jesuitismus, Ultrakonservatismus und Geheimbündelei“ zu insinuieren. Dabei war der Kreis weit von einer homogenen Geschlossenheit entfernt. Bei den Treffen wurde über alle aktuellen Themen in Wissenschaft, Politik und Kunst debattiert. Zu jedem Thema gab es mindestens so viele Ansichten wie Teilnehmer. Dieser Kreis war auch offen für Protestanten.
Görres’ Start als Hochschullehrer geriet fulminant. Nicht nur Studierende, auch Freunde, Männer des öffentlichen Lebens, Künstler und Durchreisende wollten den berühmten Mann hören und sehen. Kein Hörsaal reichte aus, um die Zahl seiner Zuhörer zu fassen. Die neue Hochschulpolitik Ludwigs I. hatte völlige Studienfreiheit durchgesetzt. Die auf sechs Semester berechneten Berufsfächer ließen in einem langen fünfjährigen Studium ausreichend Zeit, die vielfältigen Bildungsmöglichkeiten der Universität zu nutzen. So wurde der Besuch von juristischen, theologischen und philosophischen Vorlesungen für alle Studierenden möglich. Von diesem Studium Generale profitierte Görres. Die Studenten richteten hochgespannte Erwartungen an ihn als eine nationale und weltanschauliche Symbolfigur. Das galt für seine Anhänger wie auch für seine Gegner.19 „Lebte er nicht hier, so wäre München ein gewöhnlicher Ort“, rühmte Clemens von Brentano 1833 die Bedeutung seines Freundes Görres für die Bedeutung der Hauptstadt.20 Görres war als Exponent einer universalistischen Wissenschaftskonzeption nach München gerufen worden, und er hat die Chance ergriffen, die sich ihm an der neustrukturierten Universität bot. Seine Lehrtätigkeit war fachübergreifend. Er wollte das Wissen seiner Zeit anbieten in einer weltanschaulich orientierenden Gesamtschau.
Die Freistudienverordnung von 1827 verschaffte Görres eine geistige Breitenwirkung. Er konnte bei seinen Kollegien regelmäßig mit 500 bis 600 Zuhörern rechnen. Neue Statuten des Ministeriums Oettingen-Wallerstein versetzten aber 1832 dem Studium Generale einen herben Schlag. Von ihm war auch Görres betroffen. Sein Wissenschaftsverständnis kollidierte mit den neuen Vorschriften, die den Studierenden weniger Freiraum ließen als zuvor. Dadurch schmolz der Besuch seiner Veranstaltungen deutlich ab. Sie waren Luxusveranstaltungen geworden, weil die Studierenden die Mindestanforderungen der Prüfungsordnung zur Norm machten und nichts belegten, was nicht notwendig war.21 Die neue Studienordnung galt nur für bayerische Studenten. Nichtbayerische Hörer und Theologiestudenten, die bei Görres ihre Theologiestudien zu vertiefen suchten, bildeten jetzt die Stammmannschaft seiner Kollegien. Über sie spottet Heinrich Heine, sie seien eine „Ecole Polytechnique d’Obscurantisme“.22
Mit den Professoren seiner Fakultät pflegte Görres nur wenig Umgang. Von seinen Pflichten als Fakultätsmitglied dispensierte er sich weitgehend. Vor allem mit seinen Historikerkollegen lebte er in Anspannung, weil sein intuitives Wissenschaftsverständnis und seine titanische Geschichtsauffassung mit der damals sich etablierenden historischen Methode kollidierten. Das ist auch der Grund dafür, dass er nicht zum Haupt einer Schule wurde. Die meisten, die sich als seine Schüler bezeichneten, waren Theologen, darunter die beiden großen Wegbereiter der katholischen Sozialbewegung in Deutschland, Adolf Kolping und Freiherr von Ketteler. Der spätere „Gesellenvater“ Kolping hatte zu Beginn der 1840er Jahre drei Semester lang die Görresschen Vorlesungen besucht und sich vom Geist des Kreises um Görres inspirieren lassen. Auch Freiherr Wilhelm Emanuel von Ketteler, der spätere Bischof von Mainz und bedeutendster Wegbereiter der modernen Katholischen Soziallehre in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, verkehrte im Kreis von Görres und Döllinger.
Den Rückgang seiner Studentenzahlen nach der Hochschulreform des Jahres 1832 hatte Görres genutzt, um an seinem Werk „Christliche Mystik“ zu arbeiten, dessen erster Band 1836 erschien. Dabei griff er auf frühere Ansätze seiner universalistischen Geschichtsbetrachtung zurück. Er unterbrach diese Arbeiten, als die preußische Regierung im November 1837 den Kölner Erzbischof Clemens August Freiherr von Droste zu Vischering gefangen nahm und ihn auf der Festung Minden internierte. Abweichend von seinem Vorgänger hatte der Kölner Erzbischof in der Frage der Mischehe eine bestimmtere Haltung eingenommen, die die preußische Regierung durch seine Inhaftnahme brechen wollte. Es ging um die Konfessionszugehörigkeit von Kindern aus konfessionell gemischten Ehen, für die 1834 eine Kompromisslösung zwischen Rom und Berlin gefunden war, die dann nach Meinung der preußischen Regierung durch den Kölner Erzbischof 1837 sabotiert wurde. Dieses „Kölner Ereignis“ musste Görres auf den Plan rufen. In nur vier Wochen schrieb er seinen „Athanasius“, dem noch in seinem Erscheinungsjahr 1838 vier weitere Auflagen folgten.23
Diese Kampfschrift sollte Görres’ berühmteste Veröffentlichung werden. Sie wurde mit einer riesigen Auflage die wahrscheinlich einflussreichste Schrift des Vormärz und sicherte ihrem Autor den Ruf als Sprachrohr des deutschen Katholizismus. Der „Athanasius“ war mehr als ein flammendes Plädoyer gegen die Allmacht des preußischen Staates, der das begangene Unrecht wiedergutzumachen und den Streitfall beizulegen hatte. Zentraler Punkt der Streitschrift war vielmehr die Forderung, die Kirche als eine dem Staat frei und unabhängig gegenüberstehende Einrichtung grundsätzlich anzuerkennen. Görres sagte jedem fürstlichen Absolutismus