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„Lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ (Mt 28,20). Die Jünger werden nach dem Matthäusevangelium vorösterlich für ihre nachösterliche Aufgabe befähigt, indem sie von Jesus lernen. Sie sind die (ersten) Adressaten der Lehre Jesu. Sie haben die fünf großen Reden, die von Matthäus zusammengestellt sind (Bergpredigt [Mt 5-7], Aussendungsrede [Mt 10], Gleichnisrede [Mt 13], Gemeinderede [Mt 18], Gerichtsrede [Mt 24f.]), als „Grundlage für die Existenz in der Nachfolge und der Nachfolgegemeinschaft“13 gehört und – jedenfalls im Ansatz – so verstanden (Mt 13,51), dass sie andere lehren können.

      Die Ekklesiologie ist bei Matthäus in der Christologie begründet (vgl. Mt 16,18). Ohne Jesus gäbe es die Kirche nicht. Die Christologie ist bei Matthäus so entwickelt, dass die Schnittstelle zur Ekklesiologie deutlich wird. Besonders hervorgehoben ist im Matthäusevangelium die Immanuel-Christologie. Έμμανουήλ (Mt 1,23 [Jes 7,14]) ist ein Hapax legomenon des Neuen Testaments, im Matthäusevangelium stark betont. Seine Bedeutung liegt nicht nur in der christologischen Kennzeichnung des Irdischen, sondern erweist sich auch darin, dass es einen Bogen schlägt zu dem letzten Wort des Auferstandenen (Mt 28,20), so dass es zum Schlüsselwort für das ganze Evangelium wird.14 Das Matthäusevangelium veranschaulicht Jesus als den Immanuel, dessen Geschichte sich als Konsequenz der bleibenden Verheißungstreue und des immerwährenden Beistandes Gottes erweist. Mit der Geburt des Immanuel (Mt 1,23) erfüllt sich die Heilszusage Gottes, die ihren genuinen Ort in Israel hat, von Matthäus aber so transformiert wird, dass sie für die Zustimmung aller Völker offen ist. Gott ist in seinem Volk gegenwärtig; Jesus ist Gottes Gegenwart bei seinem Volk auf dem Weg durch die Geschichte. So ist Jesus – als Immanuel – die leibhaftige Bestätigung der Verheißungstreue Gottes. Der nachösterliche Missionsauftrag des Auferstandenen garantiert der Kirche unter allen Völkern die Treue Gottes: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (Mt 28,20). Das Matthäusevangelium bezeugt nicht nur eine historische Erinnerung des Evangelisten (und seiner Traditionen), sondern weist die durch den Immanuel fortbestehende Verheißungstreue Gottes auf und die darin begründete Verwurzelung der Ekklesia in Israel.

      Die unverkennbare Bedeutung sowohl der Immanuel-Christologie als auch der Jüngerthematik im Matthäusevangelium hat zahlreiche Einzelstudien hervorgerufen. Es gibt auch verschiedene Ansätze, beides miteinander zu verbinden, aber meist unter methodischen Voraussetzungen, die nicht mehr dem Stand der Forschung entsprechen, und nur unter speziellen Aspekten, speziell ethischen, aufgezeigt werden. Die relevanten Einzelstudien müssen unter methodischen und thematischen Gesichtspunkten sorgfältig reflektiert werden, damit der Ausgangspunkt der vorliegenden Studie genau bestimmt werden kann.

      Die Methodenfragen schlagen auf die inhaltliche Erschließung des Zusammenhanges zwischen Christologie und Ekklesiologie durch. Je nach der Untersuchungsperspektive, die sie wählen, treten der historische Ort, die geschichtliche Wirkung oder die literarische Form des Evangeliums vor Augen.

      Redaktionsgeschichte

      Eine größere Aufmerksamkeit für die matthäische Theologie ist in der historisch-kritischen Exegese erst durch die Redaktionsgeschichte geweckt worden. Die redaktionsgeschichtliche Methode hat u. a. Willi Marxsen (1919-1993)15 in die Evangelienforschung einbezogen. Er erprobte die redaktionskritische Arbeitsweise programmatisch am Markusevangelium, um besonders die markinische Eschatologie unter dem Gesichtspunkt der Zeitgebundenheit dieses Evangeliums hervorzuheben. Das Arbeitsgebiet der redaktionsgeschichtlichen Exegese wurde dann auf die übrigen Evangelien sowie die Apostelgeschichte erweitert. Für die Exegese des Matthäusevangeliums war Günther Bornkamm (1905-1990)16 wegweisend. Die von ihm gewählte Methode setzten u. a. Wolfgang Trilling (1925-1993)17, Georg Strecker (1929-1994)18 und Reinhart Hummel (1930-2007)19 fort. In der redaktionsgeschichtlichen Matthäus-Forschung gibt es allerdings stark divergierende Positionen. Einerseits markieren Bornkamm und Hummel einen judenchristlichen Standort des Matthäusevangeliums. Der Evangelist Matthäus habe als Judenchrist eine große Nähe zum Judentum gehabt; er schreibe das Evangelium mit einem stark jüdischen Akzent; seine primären Adressaten seien judenchristliche Gemeinden. Andererseits interpretieren Trilling und Strecker das Matthäusevangelium als eine heidenchristliche Schrift. Für sie gehört die matthäische Gemeinde nicht mehr zum Judentum. Matthäus distanziere sich eindeutig vom Judentum (Trilling) und bearbeite judenchristliche Traditionsbestände mit hellenistischen Elementen (Strecker), um so das Heidenchristentum zu erreichen. Beide konträren Positionen sind für das Verhältnis von Christologie und Ekklesiologie ebenso voraussetzungs- wie folgenreich. Deshalb muss es – mit heutigen Methoden – neu bestimmt werden.

      Die redaktionskritische Methode entwickelt die historisch-kritischen Antworten auf die Einleitungsfrage weiter, dass Matthäus weder Augenzeuge noch der älteste Evangelist ist, sondern von Traditionen abhängig, die er aufgenommen und neu verbunden hat. Zu den Voraussetzungen gehört gleichfalls die historisch-kritische Analyse der beiden literarischen Vorlagen, von denen das Matthäusevangelium hauptsächlich abhängig ist: nämlich dem Markusevangelium und der Logienquelle. Darüber hinaus aber hat Matthäus auch Sondergut in sein Evangelium aufgenommen.20

      Durch die Arbeit der redaktionsgeschichtlichen Schule ergibt sich aber ein Perspektivwechsel in der Art, dass nicht mehr nur nach den ältesten Überlieferungen gefragt wird, sondern dass die Komposition und Intention des ganzen Evangeliums in den Blick kommen, so dass man auch von einer eigenständigen matthäischen Theologie im Unterschied zu einer markinischen und lukanischen sprechen kann. Die Redaktionsanalyse tritt gegenüber der vorwiegend formgeschichtlichen Schule in den Vordergrund. Diese untersucht die sprachliche Gestalt des vorliterarischen Textmaterials im Prozess der Überlieferung, um nach seinem „Sitz im Leben“ zu fragen. Vor dem Hintergrund der Formgeschichte hat die redaktionskritische Methode den „Anspruch, in einem abschließenden, synthetischen Arbeitsschritt die theologische Aussage des Redaktors umfassend zu erheben“, dabei richtet sich der Fokus besonders auf „die Erklärung der Veränderungen, die der Redaktor am Text und am Kontext seiner Vorlagen vorgenommen hat“21 und die damit als Schlüssel zur matthäischen Intention angesehen werden können. Die Unterscheidung zwischen Tradition und Redaktion, die die theologische Aussage des (endgültigen) Textes profiliert, ist in dieser redaktionsgeschichtlichen Methode entscheidend.

      Die Redaktionsgeschichte bleibt insofern exegetisch grundlegend, als das Interesse an der typisch matthäischen Konzeption die Besonderheiten des Evangeliums eruieren lässt und im Zuge dessen auch die Genese des matthäischen Textes einen Zugang zur Auslegung eröffnet. Für das Thema bleibt aber die nachösterliche Perspektive des Matthäusevangeliums, die von der Redaktionsgeschichte gefüllt worden ist, wesentlich, weil der Zusammenhang zwischen Christologie und Ekklesiologie genau an dieser Stelle Probleme aufwirft und nach einer Lösung verlangt. Weil nach dem Weg Gottes mit den Menschen in der Nachfolge Jesu gefragt wird, hat die vorliegende Studie ein theologisches Verhältnis zur Diachronie, die methodisch im Interesse der Redaktionskritik steht. Der Weg Jesu und der Weg seiner Jünger, der im Matthäusevangelium dargestellt wird, hat sich in seinem Verlauf und seinen Stationen aus der Jesusüberlieferung entwickelt, die genau an der Verbindung zwischen Christologie und Ekklesiologie interessiert war, insofern sie die Erinnerung an Jesus schärfen und die Orientierung der Kirche ermöglichen wollen.

      Allerdings hat die Redaktionsgeschichte die Diachronie nicht mit der Synchronie koordiniert, die aber, wie die Methodendiskussion gezeigt hat, einen Primat haben muss22, wenn die Erzählung und die Theologie des Matthäusevangeliums in den Blick kommen sollen. Dass mittels dieses Arbeitsgangs die literarische und theologische Eigenleistung des Redaktors ins Spiel kommt, ist unverkennbar. Aus diesem Grund werden in dieser Arbeit klassische Instrumente der Diachronie verwendet, aber nicht in einer hermeneutisch dominanten Position, sondern in reflektierter Zuordnung zu synchronischen Untersuchungen.

      Wirkungsgeschichte

      In der Matthäus-Exegese ist die Methodik über die Redaktionsgeschichte hinaus weiter entwickelt worden. Ulrich Luz postuliert in seinem vierbändigen Matthäuskommentar23

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