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nimmt die unterschiedlichen Wirklichkeitsdeutungen der Kommunikationspartner in den Blick, ihr jeweils eigenes hermeneutisches Vorgehen. Während F. Schleiermacher von der Möglichkeit eines kongenialen Verstehensprozesses, einem Ineinandergreifen von Verstehen und Sprache ausgeht57, weist H.-G. Gadamer auf den zirkulären Charakter aller Verständigung hin. Danach findet im gegenseitigen Verstehen eine Horizontverschmelzung der beiden – in einem bestimmten vorurteilsbehafteten Kontext sich befindenden – Interaktionspartner statt : In einem produktiven Vermittlungsprozess entsteht ein neues Sinnsystem.58 Nach P. Ricoeur kommt daher Verstehen auch nie zu einem Abschluss. Theologische Texte (zu denen die Divina Commedia hier gezählt wird) zu verstehen, bedeutet daher immer auch Verzicht und Verfremdung und geschieht aus und in dem Horizont des jeweiligen Interpreten. Die Annäherung an den Verständnishorizont des anderen ist notwendige Bedingung von Verstehen, bedeutet zugleich aber auch eine Grenzziehung. Verstehen ist demnach nicht Entdecken von Wirklichkeit, sondern deren Konstruierung im Horizont der eigenen, aktiven Wahrnehmungs- und Verstehensmöglichkeiten (bedingt etwa durch den sozialen und kulturellen Kontext). Rezeption und Produktion gehen dabei Hand in Hand, in diesem Kommunikationsprozess korrelieren Herauslesen und Hineinlegen von Bedeutung miteinander.

      Wie eine theologische Hermeneutik begründet werden kann, legt Ricoeurs Symbolbegriff nahe. Das Symbol hat die Struktur eines Doppelsinns und ist stets überdeterminiert : »Symbol ist dort vorhanden, wo die Sprache Zeichen verschiedenen Grades produziert und sich nicht damit begnügt, etwas zu bezeichnen, sondern einen anderen Sinn bezeichnet, der nur in und mittels seiner Ausrichtung zu erreichen ist.«59 Symbole sind also bewusst mehrdeutig und interpretationsbedürftig. Die Verwendung der Symbolsprache impliziert daher einen Prozess der Verständigung, der prinzipiell unabgeschlossen bleiben muss. Verständnis und Missverständnis gehen dabei Hand in Hand. Konsequenterweise kann K. Berger von der Notwendigkeit der Fremdheit als Bedingung von Wirkung und von einer »Hermeneutik des Unverständnisses«60 sprechen. Das Symbol legitimiert sozusagen dieses nie ganz zu vermeidende Unverständnis. Die Symbolsprache verhindert ein vermeintlich gesichertes, vorurteilsfreies, verfügbares Wissen vom Verständnis des anderen. Insofern ist die Symbolsprache auch für die theologische Reflexion über Gott angemessen.

      Da sich die Bedeutung des Symbols nie ganz erschöpft und es einen weiten Raum für seine Interpretation öffnet61 (im Gegensatz zu der Funktion des Zeichens, welches mit einem bestimmten Gegenstand korrespondiert), sind Symbole offene Vorstellungsträger mit einem Deutungsüberschuss. Theologische Hermeneutik kann mit Hilfe der Symbolsprache als stets neu deutungsbedürftig gesehen und theologische Rede damit als prinzipiell unabgeschlossen herausgestellt werden, was vom undurchdringlichen Wesen Gottes her einleuchtend erscheint. Einen umfassenden Versuch, theologische Sprache als Symbolsprache zu verstehen, unternimmt P. Tillich : »[…] Glaube als der Zustand des Ergriffenseins von dem, was uns unbedingt angeht, kennt keine andere Sprache als die des Symbols. Auf eine solche Feststellung erwarte ich immer die Frage : Nur ein Symbol ? Aber wer so fragt, beweist damit, dass ihm der Unterschied zwischen Zeichen und Symbol fremd ist. Er weiß nichts von der Macht der Symbolsprache, die an Tiefe und Kraft die Möglichkeiten jeder nicht-symbolischen Sprache übertrifft. Man sollte niemals sagen ›nur ein Symbol‹, sondern vielmehr : ›nichts Geringeres als ein Symbol‹.«62

      Da Symbole über sich selbst hinaus verweisen63 und eine Tiefendimension der Wirklichkeit berühren, die ansonsten verdeckt bleiben würde, stellen sie einen Transzendenzbezug her und haben – theologisch gesprochen – einen eschatologischen Charakter (sie sind sozusagen der Realität immer voraus). Wird dieser Symbolcharakter theologischer Rede verkannt, droht sie zum Missverständnis zu werden, ziehen Fundamentalismen in sie ein.64

      Die theologische Symbolsprache schützt somit das Geheimnis Gottes und stellt alle Theologie unter den eschatologischen Vorbehalt.

      Symbole können auch Beziehungserfahrungen repräsentieren und dadurch in den spezifischen Glauben und die theologische Sprache des Glaubenden einfließen. Insofern lässt sich sagen, dass für Dante Beatrice Symbol der Gotteserkenntnis ist. Wenn Glaube (auch) ein Akt des Ergriffenseins, ein existentielles Widerfahrnis ist, dann stellt die Hineinnahme dieser Erfahrung in das Theologisieren nicht nur bei Dante einen Gewinn dar, der sich in einem tieferen Verständnis der theologischen Symbolsprache ausdrückt. Beatrice ist damit nicht einfach die Theologie, auch nicht für Dante ; aber sie ist ihm in genanntem Sinn Symbol dafür, wie Theologie sich selbst als Symbol(sprach) system verstehen kann. Beatrice wie die Theologie bleiben notwendigerweise interpretationsbedürftig : Der Bedeutungsüberschuss der gesamten Divina Commedia in ihrer Symbolsprache trifft v. a. ihren theologisch-eschatologischen Charakter. Die Rolle der Beatrice im Werk hilft dabei, seine theologischen Aussagen angemessen einzuordnen. Von daher verbietet sich gerade aus theologischer Perspektive eine abgeschlossene, vermeintlich-endgültige Deutung Beatricens wie der Göttlichen Komödie insgesamt.

       1.7 Die Eschatologie als hermeneutischer Schlüssel aller Theologie

      Nach dem klassischen Aufbau der Dogmatik ist die Eschatologie ihr letzter Traktat. Sie nähert sich den letzten Dingen, die ein Mensch nach seinem Tod erfährt. Da aber der eschatologische Niederschlag für den Glauben von größter Bedeutung ist, könnte sie ohne weiteres auch am Anfang aller theologischen Überlegung stehen.65 So wie vom Auferstehungsglauben der Jünger her sich das gesamte Neue Testament entfaltet und verstehen lässt (und darauf aufbauend die Theologiegeschichte bis heute), so stellt sich auch das einzelne christliche Glaubensleben von Beginn an unter den Horizont ewiger Vollendung in Gott.66 Die Eschatologie wird damit zum Schlüssel aller Theologie. Alles vorher Gesagte findet dort seinen Widerhall oder es verhallt am Ende des einzelnen Lebens. Der Eschatologie kommt es daher zu, die einzelnen dogmatischen Traktate, ja die Gesamtheit der Theologie, in Korrelation zu stellen im Blick auf das, was seine Relevanz behält über alle Raumzeitlichkeit hinaus.

      Ohne eschatologischen Bezug hat das Scheitern kirchlichen und theologischen Bemühens das letzte Wort, obliegt die Theologie der fundamentalen Gefahr, sich selbst zu verabsolutieren. Das Mysterium Gottes wird erst in der Vollendung erkannt oder ER wird in seiner Fülle nie erkannt : Die letztlich zutreffende Theologie als Einsicht in das göttliche Geheimnis ist in der visio Dei beheimatet.67 Dante selbst bemerkt ja mehrfach, dass irdische Worte ungenügend sind, dass ein angemessenes Sprechen über die Gotteserfahrung nicht möglich ist. Dieser eschatologische Vorbehalt ist Kernbestand aller kirchlichen wie theologischen Aussage. Die Ideale, welche im Neuen Testament selbst – etwa in der Bergpredigt – zum Ausdruck kommen, sind daher nur im Blick auf die eschatologische Einholung all dessen, was hinter diesen Idealen zurückbleibt bzw. zurückbleiben muss, zu deuten und aufrechtzuerhalten. Die Differenz von Ideal und Wirklichkeit – auch in Fragen der Kirchendisziplin oder kirchlichen Morallehre – ist vor dem Hintergrund der eschatologischen Erwartung zu interpretieren als eine Spannung, die dem ›Schon-und-noch-nicht‹ der Reich-Gottes-Botschaft Jesu entspricht. Erst in der Verheißung Gottes auf Erlösung und Vollendung sind diese Ideale als solche dem Glaubenden trotz persönlichen Scheiterns Ziel und Motivation : Der Christ kann die Brüchigkeit und das Nichterreichen seiner Ideale – angesichts der Realität des irdischen Scheiterns – akzeptieren, weil sie letztlich eschatologisch verankert trotz allem ihre Gültigkeit bewahren.68 Im Horizont der christlichen Jenseitsvorstellung können Ideale letztlich niemals scheitern, müssen nicht aufgegeben werden. Die Dialektik von Diesseits und Jenseits stärkt somit beide Seiten : Alle irdische Sehnsucht hat in der Eschatologie ihren sie aufrechterhaltenden Horizont, alle Eschatologie verleiht der irdischen Realität gerade auch angesichts ihrer Brüchigkeit Sinn. Damit ist die Rede von einem jenseitigen Leben nicht Weltflucht, sondern Katalysator der Weltbejahung. Die Rede von einem Leben nach dem Tod dient dem Leben vor dem Tod. Es wäre zutiefst missverständlich, würde man Dantes Göttliche Komödie als Minderachtung irdischer Realitäten verstehen. Gerade weil er seinen konkreten Erfahrungen nicht seine Ideale opfern will, gerade weil das reale Leben für ihn als solches einen größeren Verstehenshorizont braucht, um daran nicht irrezugehen, wird die Jenseitswanderung für ihn zum Schlüssel seines Lebens, in das er gestärkt wieder zurückkehren kann. Seine eschatologische Erfahrung lässt Dante sein Leben

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