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Beatrice) und Theologie (als himmlische Beatrice) angesehen werden kann.10 Die irdisch-zwischenmenschliche Erfahrung motiviert Dante, der darin zum Ausbruch kommenden Sehnsucht auch philosophisch nachzugehen, dabei aber stets an Ersterer festzuhalten. Daher ist es nach Gilson »nicht richtig, daß Dante seine Liebe zur Philosophie so geschildert hat, als ob sie den Tod seiner Liebe für Beatrice verursacht hätte. Im Gegenteil : er stellt fest, daß die Fortdauer seiner Liebe für Beatrice ihn zur Lektüre und zum Studium geführt hat, woraus dann seine Liebe zur Philosophie entsprang.«11 Gilson verdeutlicht dies im Verweis auf die Vita Nuova und das Convivio, für die Divina Commedia ist dabei auch eine Liebe zur Theologie bemerkbar.12 Dabei tritt die historische Bice Portinari ganz zurück und ist deshalb in der Poesie Dantes nicht mehr rekonstruierbar.13 Dennoch ist Dantes Werk an irdisch-zwischenmenschliche Erfahrungen gebunden und nur von dort her zu verstehen. Der Sitz im Leben Dantes ist seine Erfahrung der Liebe zu Beatrice derart, »daß die Liebe zu Beatrice in Dantes Leben eine in sich vollständige Ordnung der Gefühle darstellt, die sich selbst genügt und alle notwendigen Elemente nicht nur für ihre Existenz, sondern auch zu ihrer Rechtfertigung in sich enthält.«14 Um die Rolle Beatricens in der DC zu verstehen, muss ihre Existenz als irdische Frau, welcher Dante begegnete, vorausgesetzt werden und bleibt Konstitutiv für alles, was über sie und von ihr im Werk selbst ausgesagt ist.15 Beatrice ist nach Gilson »die Schöpfung eines Künstlers, über die wir nichts wissen und auch nichts wissen können, außer was wir von diesem Künstler wissen, und die wir unmöglich in ihrer Wahrheit erfassen können, es sei denn in ihrem Wesen als Kunstwerk […]. Man täuscht sich dagegen unweigerlich, wenn man die Erklärung eines Kunstwerkes anderswo als in ihm selbst sucht und bestrebt ist, es im Licht einer Ordnung zu beleuchten, der es gar nicht angehört.«16 Die Bedeutung Beatricens nur innerhalb ihres poetischen Auftritts zu suchen – wie Gilson fordert – verweist aber umso mehr auf die Notwendigkeit ihrer Interpretation.

      Die vorliegende Arbeit stellt sich dem Kriterium Gilsons : »Die einzige Beatrice, die für den Interpreten Dantes existiert, ist die, welche er in Dantes Werken findet, und dort müssen wir sie auch suchen.«17 Beatrice als Dantes persönlicher Zugang zu theologischer Einsichtnahme zu deuten, verlangt, ihre Rolle in Leben und Werk Dantes, ihre Bedeutung in der Jenseitswanderung daraufhin in den Blick zu nehmen. Die religiöse Dimension der Commedia kommt gerade durch den Auftritt Beatricens als Ermöglicherin des Aufstieges zu Gott zum Ausdruck : »Soweit sie ein Akt und ein Werk im Leben Dantes ist, erscheint die Göttliche Komödie sicherlich an die Geschichte seines eigenen religiösen Lebens gebunden […]. Es ist die gelebte Tragödie eines Christen zwischen Verdammnis und Heil, der erschütternd nach Rettung sich ausstreckende Arm eines Ertrinkenden […]. Allein Beatrice konnte diese Hand ausstrecken.«18 Beatrice muss auf Dante zugehen, da es diesem selbst nicht gelingt, den richtigen Lebensweg einzuschlagen (Inf. II). Gilson betont, dass sie bereits in der Vita Nuova mit einem religiösen Symbolismus19 bekleidet wird, der sich wiederum vielfach deuten und ausgestalten lässt.

      So erstrahlt in Beatrice auch die Gnade Gottes, die es Dante ermöglicht, von Himmelssphäre zu Himmelssphäre zu steigen. Sie steht in erster Linie nicht für eine abstrakt-inhaltliche, theologische Vermittlung der Kirchenlehre, vielmehr leuchtet in der persönlichen Begegnung die Erfahrung der Wirkmächtigkeit Gottes auf.

      Auch nach Gilson deuten verschiedene Kommentatoren Beatrice als Allegorie der Theologie.20 Eine Auseinandersetzung mit dieser Festlegung bietet u. a. Florian Mehltretter21. Er führt zunächst Antonio Mastrobuono22 an, der Beatrice Gnadenvermittlung zuschreibt, aber eine Allegorese ausschließt ; sie vermittelt demnach Gnade, ist aber selbst keine Gnade bzw. steht nicht für die Gnade. Ebenso verwische ihre Gleichsetzung mit der Theologie ihre historische Gestalt. So schreibt Mehltretter : »Sie ist nicht eine namenlose ›Dame Theologie‹, sondern Beatrice.«23 Nach ihm lässt sich Beatrice am ehesten der Kirche zuordnen, nicht der Theologie oder der Gnade. Kirche (ecclesia) versteht er dabei als einen »Begriff für ›Kirche‹«, der »nicht so sehr auf eine gesellschaftliche Organisationsform zu kultischen Zwecken als auf das Gottesvolk, die Gemeinschaft der Liebe und letztlich die Menschheit überhaupt zielt, soweit sie sich für Gott entscheidet.«24 Die Frage nach dem Kirchenverständnis Dantes in der DC wird dabei allerdings ebenso ausgeblendet wie die Begründung ausbleibt, weshalb dieser Kirchenbegriff alternativ und anspruchsvoller ist, als die Kirche womöglich sich selbst sieht und definiert. Da Beatrice im irdischen Paradies auf dem Wagen der Kirche steht (vom Greif als Christussymbol gezogen), kommt Mehltretter zu dem Schluss : »Das Beatrice-Erlebnis ist für Dante das Seligkeitserlebnis, es ist der Sinn der Ecclesia als einer Gemeinschaft der caritas. Das irdische Paradies ist ein symbolischer Ort dieses Liebesglücks […]. Die Ecclesia auf dem Wagen ist also der mystische Leib Christi, das Symbol des Greifen, der die Kirche zieht, steht in diesem Zusammenhang für die Hauptschaft Christi […]. Eine Auffassung Beatricens als pars pro toto der idealen Ecclesia ist mit dem Problem der Personenallegorie gar nicht konfrontiert, und ein Rückgriff auf die Konzeption der figura ist hier ebenfalls unnötig […]. Diese synekdochische Deutung Beatricens (und damit die Vermeidung der Personenallegorie) funktioniert im Rahmen der überkommenen Beatrice-Deutungen aber ganz offenbar nur für die Ecclesia, nicht für die Theologie, die Heilige Schrift, die Offenbarung oder die Gnade, denn wie sollte Beatrice ein Teil dieser Entitäten sein ? […] Beatrice ist ›historisch‹ die Jugendliebe ›Dantes‹, synekdochisch die Ecclesia (die selbst auch Weisheit ist und Theologie in sich begreift), als Ecclesia ist sie mystisch Leib Christi, figural Christus venturus, moralisch steht sie für die Gemeinschaft der caritas, um die sich ›Dante‹ und jeder Mensch im Leben bemühen muß, anagogisch verheißt sie die Aufnahme in die Gemeinschaft der Heiligen. Aber sie kann all dies nur sein, wenn sie ›Dantes‹ Beatrice bleibt.«25

      Fernab aller Zuordnungen (Beatrice als Gnade, Kirche, Theologie etc.) wird die Vielschichtigkeit und notwendige plurale Sicht deutlich, die sich einer singularen Festlegung verschließt.26 Beatricens Stellung für das Ganze der DC als Aufstieg Dantes zu Gott ist daher aus diesem selbst heraus zu erschließen, denn der Vorgang »ist ganz mit der Person Beatricens verbunden. Alles ist auf sie bezogen […]. So bildet der Fortgang der Göttlichen Komödie zugleich die Entfaltung dessen, was Beatrice ist.«27 Nicht die Theologie diktiert dabei, wer Beatrice zu sein oder was sie zu sagen hat, sie selbst verleiht vielmehr der theologischen Lehre Verkörperung und damit für Dante Bedeutung, sodass sie theologische Wahrheit lebendig werden lässt. In der Göttlichen Komödie verbinden sich Theologie und Beatrice derart, dass sie sich für Dante gegenseitig erhellen. Dadurch gewinnt Theologie gerade in der personalen Begegnung ihre entscheidende Einsicht in das Geheimnis Gottes. So stellt Beatrice als Verstorbene für Dante die Möglichkeit dar, ihr weiterhin zu begegnen, sich an ihr zu inspirieren. Theologie wird so zum Fundament, Beatricens Dasein als Selige für Dante neu und persönlich zugänglich zu machen. Beatrice wiederum veranschaulicht in ihrer Person die Dynamik theologischer Wahrheitssuche. Dabei geht Theologie ebenso wenig in Beatrice auf, wie sie in der Theologie.28 Umgekehrt gewinnen beide voneinander, indem sie sich gegenseitig interpretieren. Beatrice wird zum Schlüssel eines auf interpersonale Begegnung aufbauenden, modernen Theologieverständnisses. Theologie wird zur Bedingung, die Begegnung mit Beatrice nicht nur weiterhin zu ermöglichen, sie vielmehr sogar bis zur visio Gottes29 zu steigern.

       1.4 Die Divina Commedia im Horizont aktueller theologischer Fragestellungen 30

      Ein zentrales Moment des eschatologischen Diskurses ist seine Rückgebundenheit an die Christologie. Weniger die Ekklesiologie ist damit Erklärungsgrundlage (und Bedingungsgrundlage) für das, was nach dem Tod im Jenseits auf den Einzelnen zukommt, vielmehr die Verheißungen Jesu und seine eigene Auferstehung. Während in früheren dogmatischen Lehrbüchern noch verschärft auf die Relevanz der Kirchenzugehörigkeit, Kirchenbindung und Kirchengefolgschaft (Gehorsam ihr gegenüber) für das Seelenheil hingewiesen wurde, lässt sich diese exklusive Sichtweise so nicht mehr aufrechterhalten. Die Christozentrik der Eschatologie wird auch in der Göttlichen Komödie in Dantes Schilderung der visio

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