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im wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Kontext dominieren, so ist doch die Göttliche Komödie in erster Linie ein christliches Werk und nur als solches auch richtig zu verstehen bzw. sinnvoll zu interpretieren. Obgleich Dante selbst zahlreiche Anleihen aus der heidnischen Antike in sein Werk einbaut, spricht letztlich doch der Florentiner in seiner christlichen Grundhaltung in und aus jedem einzelnen der 100 Gesänge. Dante bietet hierbei nicht nur einen Einblick in seine Zeit (eine meisterhafte stilistische und philologisch ergiebige Darstellung), es ist vielmehr sein persönliches Bekenntnis, das beeindruckt, wobei er Poesie und Geschichte mit seiner politischen, kulturellen und v. a. religiösen Überzeugung in Einklang zu bringen sucht. Es ist ein existential-theologisches Werk insofern, als es nicht nur durchdrungen ist von eschatologischem Gedankengut der Kirche, sondern vielmehr Dante selbst als Theologen zeigt, der diese ekklesiale Eschatologie erweitert und in einen neuen Horizont stellt : Zum einen personalisiert er die Glaubenslehre, die er auf sich selbst, seinen Lebensweg in Diesseits und Jenseits bezieht, zum anderen interpretiert er sie neu und nimmt zuweilen eigenmächtig mutige Korrekturen vor. Gerade die Personalisierung und Neuinterpretation überlieferter Glaubensaussagen lassen die Göttliche Komödie auch heute für die Theologie fruchtbringend erscheinen.

      Insofern lenkt die vorliegende Arbeit den Blick in erster Linie auf den personalen Aspekt der fiktiven Jenseitsreise Dantes. Theologie wird dabei unter dem Blickwinkel von Dantes existentieller Sichtweise (die individuellen Fragen und Nöte seines Lebens betreffend) erfahrbar. Hierbei begegnet dem Leser die dogmatische Theorie nur insofern, als deren Fragestellungen und Festlegungen in Zusammenhang mit dem Schicksal des Jenseitswanderers stehen und so lebendig werden. Dieses existentialtheologische Verständnis der DC fokussiert daher in der Terminologie P. Tillichs das, was Dante als Christen unbedingt angeht5. Das theologische Verständnis Dantes ist von seinem persönlichen Schicksal und den daraus sich ergebenden Fragen her zu interpretieren. Diese unmittelbare Betroffenheit lässt die eschatologische Vorstellungswelt in ihrer Relevanz nicht nur für Dante selbst, sondern für alle Christen deutlich werden (was Dante mit seiner Divina Commedia lehren will). Die Faszination der Divina Commedia liegt schließlich gerade in ihrer Anschaulichkeit. Damit ist sie für den Leser zugänglich und einsichtig. Er fühlt sich mit hineingenommen in das Imaginationsvermögen Dantes, da die existentiellen Fragen nach Schuld und Sühne, nach Sehnsucht und Zweifel, nach Vergebung und Liebe vor dem Hintergrund des eigenen Lebensschicksals Dantes und dem Weltbild seiner Zeit aufleuchten und in der DC einen literarischen Ausdruck finden, der bis heute an Faszination nicht verloren hat.

      Für die theologische Fragestellung der vorliegenden Arbeit ist Dantes Begegnung mit Beatrice von zentraler Bedeutung : Es geht um die Reflexion darüber, wie Beatrice Dante die Einsichtnahme in die drei Reiche des Jenseits ermöglicht, wie sie ihn als Geliebte, Heilige und Lehrerin der Gottesschau immer näher bringt. In diesem Sinn ist sie als jenseitige Weggefährtin Dantes zugleich Personifikation der Theologie, welche so als Beziehungsgeschehen aufgefasst wird. Um subjektive Bedeutung zu erlangen, bedarf die Theologie interpersonaler Begegnung. Auch die visio Gottes selbst ist eine solche, ja die letztlich einzig entscheidende.6 Oftmals aber sind es auch die Begegnungen mit anderen Menschen, die den Blick neu auf die Ewigkeit lenken, weil sie selbst ihr Leben darauf hin ausgerichtet haben. Für Beatrice gilt dies in besonderer Weise, da sie in Dante die Sehnsucht nach Erfüllung wachhält. Gerade weil sie bereits die diesseitige Welt verlassen hat, d. h. dort ist, wo die Hoffnung auf Vollendung in Erfüllung geht, vermag sie für Dante Wegbegleiterin zu Gott zu sein. Somit wird die Begegnung mit ihr im Diesseits wie im Jenseits (da es sich ja um die eine Beatrice handelt) zu Dantes persönlicher Glaubenserfahrung. Indem Beatrice in ihm die Sehnsucht nach vollendeter Liebe weckt, ist die Grundlage und das Leitmotiv der Jenseitsreise geschaffen. Sie selbst wird zur persönlichen theologischen Inspiration Dantes, da sie sowohl in ihrer Lehre als auch in ihrer Begegnung mit ihm diese Sehnsucht immer mehr entfacht, bis sie selbst zurücktritt in dem Moment, in dem Dante an das Ziel allen Lebens gelangt. Hier wird ihre Brückenfunktion, welche auch die Brückenfunktion aller Theologie ist, deutlich. Die Begegnung, welche auf Gott verweist, tritt zurück, wenn die Begegnung mit IHM selbst möglich wird. Theologie ist damit Brücke zu Gott ; für Dante allerdings nicht unabhängig von seinem persönlichen Schicksal, den eigenen Fragestellungen und individuellen Begegnungen.

       1.2 Abgrenzung zu nichttheologischen Zugängen

      Theologie als Wissenschaft über den Glauben setzt diesen immer auch schon voraus. Im Bereich der Dogmatik knüpft die Eschatologie an Aussagen aus der Schrift und der Tradition an, um Antworten auf heutige Fragestellungen zu finden. Dante selbst nimmt an zahlreichen Stellen Bezug auf Aussagen aus dem Alten und Neuen Testament sowie der Dogmengeschichte und ihrer Exponenten (allen voran Thomas von Aquin). Obgleich damit Theologie sich der eigenen Herkunft bzw. Tradition immer rückversichert und bestrebt ist, im Einklang mit ihr zu stehen, ist damit keineswegs einer bloßen Tradierung ihrer Inhalte das Wort geredet. Es gilt, den theologischen Gehalt gerade immer wieder neu zu überdenken und zu interpretieren, um den jeweils auch zeitbedingten Inhalt zu aktualisieren und neu zu akzentuieren.

      Im Unterschied zu einer nichttheologischen Betrachtung von Dantes Werk spielen demnach innerhalb einer theologischen Perspektive die Glaubensinhalte selbst eine zentrale Rolle. Diese werden weder indifferent übergangen noch in ihrem – die Glaubenslehre der Kirche ausmachenden – Grundgehalt hinterfragt. Bei Dante kommen noch die Momente persönlicher Betroffenheit und existentieller Relevanz hinzu, welche ganz im Horizont des Glaubens stehen : Aus einer glaubensindifferenten Position heraus lässt sich daher die Göttliche Komödie nicht so verstehen, wie es ihr Autor intendierte. Eine theologische Betrachtung setzt mit Dante nicht nur die Existenz Gottes voraus, sondern teilt mit ihm die eschatologischen Eckdaten, die seine Jenseitswanderung strukturieren (formal wie inhaltlich). Diese ist nicht voraussetzungslos, sie ist gebunden an eine jenseitige, personale Fortexistenz nach dem Tode. Sie ist gebunden an die Möglichkeit ewiger Hoffnungslosigkeit, jenseitiger Läuterung und sehnsuchtsstillender Vollendung. Vor allem sind die personalen Begegnungen Schlüssel zu Dantes Werk – zu seiner Vorstellungswelt und seinem theologischen Verständnis. Der christliche Glaube ist damit Grundlage und Standpunkt der Divina Commedia.

      Die theologische Abgrenzung zu romanistischen oder mediävistischen Fragestellungen und Zugängen zu Dante besteht daher in der Glaubensvoraussetzung Ersterer, die Letztere bewusst ausklammern. Die Veröffentlichungen im philologischen Bereich kommen zwar ebenso wenig wie die der mittelalterlichen Geschichtsforschung um den theologischen Verständnisrahmen der Anschauungswelt Dantes herum, um sein Werk überhaupt aus sich heraus reflektieren zu können, der Zugang selbst bleibt allerdings frei von einem persönlichen Glaubensstandpunkt des Reflektierenden. Dante selbst aber weist diesen Standpunkt auf ; der Dichter und sein Werk können theologisch-neutral von außen analysiert werden, sie sind damit aber von innen heraus nur bedingt verstanden. Für Dante war der christliche Horizont nicht bloß eine Möglichkeit, seine Sichtweise der Politik und seine eigene persönliche Verflochtenheit darin darzustellen, vielmehr ist es diese christliche Sicht, die ihm seine Rolle, sein Schicksal erst verständlich macht. Dante nachzuvollziehen, verlangt daher auch seine theologische Einbettung, die eben nicht dem Glauben gegenüber indifferent ist, sondern ihn immer schon (auch bei allem Zweifel, aber doch persönlicher Auseinandersetzung und Aneignung) voraussetzt. Mit Dante den Glauben an Gott teilen, der die Welt lenkt und ihr Zielpunkt ist, bedeutet zumindest die Einladung, seine persönliche Erfahrung nicht nur irgendwie nachzuvollziehen, sondern sich persönlich darauf einzulassen.7

       1.3 Aufriss der Interpretationsmöglichkeiten der Bedeutung Beatricens

      E. Gilson spricht von der »philosophischen Eigenständigkeit«8 Dantes, was in gleichem Maß für sein theologisches Verständnis gilt. Daher verbietet sich eine voreilige Vereinnahmung (auch eine theologische) der Göttlichen Komödie, welche das Werk und seine Intention womöglich entstellt bzw. es absichtlich verfälschend interpretiert. Gilson verweist kritisch auf Pierre Mandonnet, der eine theologische Deutungshoheit für Beatrice einfordert und sie als Symbol der christlichen Offenbarung ansieht.9

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