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synoptischen Evangelien spiegeln nicht so sehr die tatsächlichen Auseinandersetzungen Jesu mit den Pharisäern und der jüdischen Führung wider, sondern das Verhältnis zwischen Juden und Christen zur Zeit ihrer Abfassung. Hinsichtlich des Leidens und Sterbens Jesu betonen sie, dass nicht in erster Linie menschliche Bosheit, sondern der Wille Gottes hinter diesem Geheimnis der Erlösung steht: „Musste nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?“, heißt es beispielsweise bei Lk 24,26. Freilich findet sich bei Mt 27,25 der Ruf „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“, eine Verwünschung, die später von christlicher Seite sehr viel Unheil über die Juden bringen wird. Matthäus charakterisiert damit aber lediglich die konkrete Situation der Herrenpassion und beabsichtigt nicht eine auf ewig fortdauernde heilsgeschichtliche Verdammung der Juden.

      Ein gewisser Antijudaismus, der sich schon in den synoptischen Schilderungen der Auseinandersetzungen Jesu mit den Pharisäern bemerkbar macht, verstärkt sich in den späten johanneischen Schriften des ausgehenden 1. Jahrhunderts. Aufgrund der nach 80 einsetzenden Ausgrenzung der Judenchristen aus dem jüdischen Synagogenverband, des dadurch verlorenen Status einer staatlich erlaubten Religion (religio licita), schließlich aufgrund der bisweilen bei den römischen Behörden vorgebrachten jüdischen Denunziationen ist die Offenbarung des Johannes sehr schlecht auf die Juden zu sprechen. Sie erkennt den Juden gar ihr Judentum ab und bezeichnet sie als „Synagoge des Satans“ (Offb 2,3; 3,9). Ähnlich schroff äußert sich das Johannesevangelium, indem es nicht – wie die Synoptiker – differenziert gegen einzelne jüdische Gruppierungen oder Führer polemisiert, sondern scheinbar ganz pauschal gegen die Juden. So haben die Juden nach Joh 8,44 „den Teufel zum Vater“, werden also – wenn man diese Stelle aus ihrem Zusammenhang reißt – auf eine Weise charakterisiert, die sich künftig verheerend auswirken sollte. Johannes meint damit freilich jene Juden, die Christus ablehnen, verfolgen und zu töten trachten, nicht aber die friedlichen und frommen Söhne und Töchter Israels.

      In den nachfolgenden Generationen verschlechtert sich das Klima zwischen Juden und Christen noch mehr. So reklamieren die Christen bereits im frühen 2. Jahrhundert die Septuaginta (LXX), das in vorchristlicher Zeit von alexandrinischen Juden ins Griechische übersetzte Alte Testament, für sich und behaupten im Barnabasbrief, die Juden würden die rein geistig gemeinten Gesetzesvorschriften des Alten Testaments fleischlich missverstehen. Aus der Synagoge ausgestoßen, setzt man sich außerdem vom religiösen Brauchtum des Judentums ab, indem zu Beginn des 2. Jahrhunderts die syrisch-palästinische Didache die Fasttage keinesfalls mit den jüdischen zusammenfallen lässt und das althergebrachte Achtzehnbittengebet durch das mit sieben Bitten ausgestattete Vater unser ersetzt. Überhaupt wird der gegeneinander polemisierende Ton zunehmend schärfer, indem man die Juden z.B. pauschal als Heuchler oder als Denunzianten abqualifiziert.

      Freilich begegnet im 3. Jahrhundert in der syrischen Didaskalia die Aufforderung, besonders in den Tagen des Pascha, während der Gedenkfeiern des Todes und der Auferstehung des Herrn, für die Juden zu beten. Auf dieser Linie bezeichnet die erneuerte Karfreitagsliturgie die Juden als das Volk, zu dem „Gott […] zuerst gesprochen hat. Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluß sie führen will.“

      CHADWICK (wie S. 9) 17f. (Judenchristen).

       1.4 Anlass und Anfänge der frühchristlichen Mission

      Die neu gewonnene Überzeugung der ersten Christen, dass sich im Glauben an Jesus Christus für jeden Menschen das alleinige Heil eröffne, bildet die Basis und den Motor der ersten christlichen Missionswelle. Dabei steht die frühe Kirche aufgrund ihrer Erwartung der baldigen Wiederkunft Christi unter dem Druck, dass ihr für die vollständige Verbreitung des Evangeliums die Zeit zu kurz werden könne (vgl. Mt 10,23), oder dass die Weltmission eben deshalb möglichst schnell abgeschlossen werden müsse, weil erst dann das Ende kommen könne (vgl. Mt 24,14). Von solchen und ähnlichen Naherwartungen her erklärt sich der enorme Ausbreitungsdrang der frühen Kirche. In diesem Licht wird aber auch ihr außerordentliches Sendungsbewusstsein und der erstaunliche Erfolg ihrer Mission verständlich. Denn es steht fest: Die frühchristlichen Schriften bezeugen nicht nur eine theoretisch angezielte weltweite Ausbreitung des Christentums (vgl. z.B. Röm 10,18; Mt 28,19; Offb 7,9); vielmehr verwirklichen die frühchristlichen Missionare diese Zielsetzung in einem religionsgeschichtlich einmaligen Ausmaß. Die Anfänge dieser Ausbreitung lassen sich historisch am stetigen Wachstum der palästinischen Gemeinden festmachen. Freilich sollte man die dazu gemachten hohen Zahlenangaben der Apostelgeschichte (vgl. z.B. Apg 2,41; 4,4) nicht zu wörtlich nehmen, sondern als symbolische Aussagen angemessen interpretieren.

      Förderlich für die Verbreitung der christlichen Lehre wirkt sich auch die im Stephanus-Martyrium greifbare Vertreibung der christlichen Hellenisten aus Jerusalem aus.12 Träger dieser die Grenzen Palästinas überschreitenden Mission der ersten Christengeneration sind Persönlichkeiten wie Philippus, Barnabas und Paulus. Doch ist mit vielen weiteren Missionaren der ersten Stunde zu rechnen, deren Namen nicht überliefert sind.

      Die schnelle Ausbreitung der Kirche dokumentieren jene Orte, in denen sich erste christliche Gemeinden bilden. Tatsächlich existieren bereits Ende des 1. Jahrhunderts an die sechzig entsprechende Städte oder Landschaften. So bezeugen die neutestamentlichen Schriften christliche Gemeinden in Palästina, Syrien, Zypern, Kleinasien, Mazedonien und Kreta. In Italien kommen Puteoli (Apg 28,13f.) und Rom hinzu. Markus erwähnt Cyrene in der Pentapolis (Mk 15,21) und Paulus plant schließlich eine Spanien-Mission (Röm 15,24.28). Im 2. Jahrhundert gibt es Nachrichten über weitere Gemeinden in Griechenland, Kleinasien, Syrien und weiter östlich in Edessa und Mesopotamien, im Westen ergänzt durch Überlieferungen über Gemeinden in Dalmatien, Illyrien, Süditalien, Germanien, Gallien und Spanien. Schließlich fügen sich in dieser Ära im Süden noch Gemeinden im westlichen Nordafrika und in Ägypten zum Orbis Christianus (vgl. Abb. 5).

      Da diese Gemeinden in den meisten Orten allerdings sehr klein gewesen sein dürften, sollte man die damalige Zahl der Christen nicht überschätzen. Sie bleiben bis zum 4. Jahrhundert eine zum Teil verschwindende Minderheit. Tertullian († nach 220) spricht allerdings von vielen Tausenden von christlichen Frauen und Männern, die sich vor dem Tribunal eines heidnischen Prokonsuls hätten versammeln können, und er behauptet gar:

      „Wir sind zwar erst von gestern und doch haben wir schon den Erdkreis und all das eurige erfüllt, die Städte, Inseln, Kastelle, Munizipalstädte, Ratsversammlungen, sogar die Heerlager, Zünfte, Dekurien, den Palast, den Senat und das Forum“ (apol. 37,4f.).

      Doch dürfte es sich bei dieser Behauptung um eine rhetorische Übertreibung handeln, die lediglich mit Nachdruck klarstellen will, dass inzwischen in allen Städten und an allen Orten Christen anzutreffen sind. Origenes († um 253) gibt sich wenige Jahrzehnte später in seinen diesbezüglichen Äußerungen wesentlich bescheidener. Ein für unsere Fragestellung repräsentatives Beispiel liegt aber vielleicht in der pontischen Provinzhauptstadt Neocäsarea vor. Als Gregor der Wundertäter dort um 240 sein Bischofsamt antrat, sollen in der Stadt und ihrer Umgebung nur siebzehn Christen gelebt haben; nach seinem Tod konnten alle Bewohner dieser Gegend als Christen bezeichnet werden. Natürlich sollte man diese Angaben nicht zu wörtlich nehmen. Aber wahrscheinlich spiegeln sie doch zweierlei überlokale Gegebenheiten wieder: einerseits die Mitte des 3. Jahrhunderts noch recht geringe Zahl der Christen und andererseits ihr Anwachsen im ausgehenden 3. Jahrhundert. Dassmann bleibt freilich vorsichtig. „Statistische Angaben über die Zahl der Christen [… in altkirchlicher Zeit] machen zu wollen, ist nicht nur schwierig, sondern schier unmöglich. [… Selbst] relative Zahlen lassen sich auf das ganze Imperium bezogen

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