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Lebendige Seelsorge 6/2017. Echter Verlag
Читать онлайн.Название Lebendige Seelsorge 6/2017
Год выпуска 0
isbn 9783429063276
Автор произведения Echter Verlag
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Dieser Prozess macht auch vor den Kirchen nicht halt. Wie sehr sie sich ihrerseits darauf eingelassen haben, zeigt sich u. a. daran, dass für Entscheidungsfindungen darüber, wie Auswege aus der in verschiedenerlei Hinsicht krisenhaften Lage der Kirche gefunden werden können, Fachkräfte aus der Unternehmensberatung hinzugezogen werden. Dass das sinnvoll sein kann, soll nicht abgestritten werden. Nur kommt es darauf, dass die Kriterien, mit denen etwa Sparmaßnahmen ins Auge gefasst werden, theologisch und pastoral verantwortbar sind.
Wie weit die Ökonomisierung mittlerweile im kirchlichen Bereich vorangeschritten ist, hat u. a. Jens Schlamelcher am Beispiel der protestantischen Kirche in Deutschland untersucht. Eine Folge besteht nach seinen Analysen darin, dass die Ökonomie zur Leitwissenschaft für Entscheidungen auf kirchenleitender Ebene geworden ist und die Theologie eine sie garnierende Rolle spielt. Aber auch bis hin zur kirchlichen Basis sei ein Vorherrschen eines ökonomischen Kalküls zu beobachten.
Ähnliches stellt Friedhelm Hengsbach für die katholische Kirche fest: Es habe den Anschein, als würde sie bedenkenlos das Marktparadigma übernehmen und die pastoralen Prioritäten von betriebswirtschaftlichen Kalkulationen bestimmen lassen. „Das Rezept heißt: Durch Konzentration, Fusion, zentrales Management, gebündelte Entscheidungsbefugnisse, Personalabbau, Arbeitsverdichtung und vor allem: Senkung der Personalkosten lassen sich enorme Synergieeffekte und Effizienzgewinne erzielen“ (Hengsbach, 64).
Problematisch sei darüber hinaus ein reduziertes Verständnis des sog. Kerngeschäfts der Kirche zugunsten des liturgischen und spirituellen Segments unter Vernachlässigung des karitativen, sozialpolitischen und pädagogischen Engagements. Das mag gesellschaftlichen Erwartungen nach der Rolle von Religion entsprechen, ist aber mit einem pastoralen Handeln im Sinne des Evangeliums alles andere als verträglich. Vielmehr lässt sich die Kirche auf eine Logik ein, die alles, was existiert, nach Maßgabe abstrakter Tauschwerte behandelt.
WIDER EINE UNTERWERFUNG UNTER DIE BEDINGUNGEN EINER GELD- UND TAUSCHWIRTSCHAFT
Die Ökonomisierung der Gesellschaft zeitigt noch in anderer Hinsicht Rückwirkungen auf die Kirche und die Pastoral, nämlich dadurch, dass die neoliberale Logik immer mehr auch in die Köpfe und Herzen der Menschen eindringt und ihr Verhalten bestimmt. Für deren Umgang mit der Kirche heißt das, dass er nach der Frage, ob es dem Betroffenen einen Nutzen erbringt, entschieden wird, dass die Partizipation, wenn überhaupt, situativ, temporär, erlebnis- und intensitätsorientiert erfolgt und dass erwartet wird, dass das kirchliche Angebot genau dem entspricht und im Vergleich mit der Konkurrenz bestehen kann (vgl. Bucher).
Zu Recht fordert Rainer Bucher die Ausarbeitung einer praxistauglichen Kriteriologie, die zur Unterscheidung verhilft, ob und inwieweit vonseiten der Kirche mit einer „Angebotspastoral“ diesen Erwartungen entsprochen werden kann, ohne sich den Bedingungen der Tausch- und Geldwirtschaft zu unterwerfen.
Es kommt als weitergehende Herausforderung hinzu, dass der Kapitalismus sich selbst sakral überhöht hat und zur eigentlichen, höchst sublim wirkenden Religion unserer Tage geworden ist (vgl. Evangelii Gaudium 52–60). Spätestens wo die Ökonomie sich dermaßen absolut setzt – auf Kosten von Mensch und Natur, ist Widerstand geboten.
„TUTIORISMUS DES WAGNISSES“ (K. RAHNER) – HEUTE
Es zeigt sich, dass die Frage, wie viel Ökonomie die Pastoral verträgt, nicht allein mit Blick auf die Methoden, die diese Wissenschaft als mögliche Ressource für die Pastoral bereithält, entschieden werden kann. Richtig verwendet, können sie durchaus für die Verbreitung der frohen Botschaft von Gottes Liebe zu den Menschen dienlich sein. Ein paar Bedingungen für dieses „richtig“ sind im Vorherigen erörtert worden. Sie seien stichwortartig durch zwei Bemerkungen grundsätzlicher Art ergänzt:
- Gottes Liebe ist den Menschen umsonst geschenkt – ohne Vorbedingungen ihrerseits. In der Nachfolge Jesu, der sich mit seiner Reich-Gottes-Verkündigung in Tat und Wort für diese frohe Botschaft bis zur Hingabe seines Lebens eingesetzt hat, ist die Kirche gesandt, von dieser Ökonomie des „Umsonst“, der Gratuität in der Welt Zeugnis abzulegen – um Gottes und der Menschen willen.
- „Die Armen sind die ersten Adressaten des Evangeliums“ (Evangelii Gaudium 48, Zitat von Papst Benedikt XVI). Damit sind die Nicht-Armen nicht ausgeschlossen; aber ohne auf „die Armen und Bedrängten aller Art“ (GS 1) zu hören und sich mit ihnen zu solidarisieren, wird sich ihnen die biblische Botschaft nicht in ihrem vollen heilsamen und d. h. auch provokativen Gehalt erschließen.
Wenn sich Kirche und Pastoral von diesen durchaus auch die ökonomische Sphäre tangierenden Grundsätzen leiten lassen, dürften sie im Sinne der Orthopraxie richtigliegen. Welche Optionen dabei zu beherzigen und einzulösen sind, dafür hat Papst Franziskus mit seinem „Apostolischen Schreiben über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute Evangelii Gaudium“ eine fundierte Wegweisung an die Hand gegeben – eine vorbildliche Umsetzung des von Rahner geforderten „Tutiorismus des Wagnisses“.
LITERATUR
Bucher, Rainer, Auf ihm bestehen, nicht ihm verfallen. Die katholische Kirche auf dem religiösen Markt, in: εὐangel. Magazin für missionarische Pastoral (2/2017).
Hengsbach, Friedhelm, Gottes Volk im Exil. Anstöße zur Kirchenreform, Oberursel 2011.
Rahner, Karl, Grundprinzipien zur heutigen Mission, in: HPth II/2 (1971), 46–80.
Ders., Löscht den Geist nicht aus!, in: Rahner, Karl, SchriftenVII, Einsiedeln 1966, 77–90.
Schlamelcher, Jens, Ökonomisierung der protestantischen Kirche? Sozialgestaltliche und religiöse Wandlungsprozesse im Zeitalter des Neoliberalismus, Würzburg 2013.
Theobald, Christoph, Das Christliche als Lebensstil. Auf der Suche nach einer zukunftsfähigen Gestalt von Kirche aus einer französischen Perspektive, in: Böttigheimer, Christoph (Hg.), Zweites Vatikanisches Konzil. Programmatik – Rezeption – Vision (QD 261), Freiburg/Br. 2014, 203–219.
Wagnis der Kirche oder Wagnis der Theologie?
Die Replik von Florian Sobetzko auf Norbert Mette
Der Beitrag von Norbert Mette eröffnet mit der Rahnerschen Großthese vom Tutiorismus des Wagnisses, die in m. E. bester Weise die Arena bereitet für die Bearbeitung der großen innovatorischen Herausforderungslagen der Kirche – auch mit 50 Jahren Abstand.
Kirche muss „das Äußerste“ und „wirklich Neues schöpferisch“ wagen (Rahner), sich unter der Führung des Heiligen Geistes unaufhörlich erneuern und läutern (GS 21), und das nicht um der Kirche willen, sondern um des Reiches Gottes willen. Treffend hebt Norbert Mette dabei hervor, dass Ekklesiogenese nicht nach unten auf die Gemeindeebene delegiert werden darf, sondern dass es einer systematischen institutionellen Innovationsbewegung auf allen Ebenen bedarf, dass also paradigmatische kirchliche Prozessinnovationen erforderlich scheinen. Es geht um nicht weniger als um die Frage, wie wir es mit Gott und dem Evangelium halten.
Was mich als Theologe, Seelsorger und kirchenentwicklerisch motivierten Leser jedoch nachdenklich stimmt, ist der Duktus und die Tonalität der sich anschließenden Reflexionen über das Verhältnis von Kirche und Ökonomie. In der Sache stimme ich allen Punkten grundsätzlich zu. Pointenreich zitiert Norbert Mette mit den Diagnosen von Jens Schlamelcher und Friedhelm Hengsbach wichtige Rezeptionen der BWL in religionssoziologischer und sozialethischer Perspektive, die sich mit den kirchenentwicklerischen Tragweiten der Ökonomisierung von Kirche befassen.
Und natürlich stimmt das: Die Ökonomie taugt nicht als kirchliche Leitwissenschaft; die Theologie darf nicht zur Dekoration degradiert werden; und auch kann niemand klaren Verstandes dafür sein, bedenkenlos das Marktparadigma ins Zentrum der Pastoral zu stellen oder bloß aufgrund vermeintlicher gesellschaftlicher Erwartungen folgenreiche ekklesiologische Verengungen im Sinne des sog. Kerngeschäfts einfach so wirksam werden zu lassen. Norbert Mette warnt vor genau den richtigen Dingen.