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2017 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum und Leiter des Kompetenzzentrums „Internationale Pastorale Innovation“ am ZAP.

      Innovation ist mehr als nur eine originelle Idee oder eine reine Novität.

      LUST AUF PASTORALEN ERFOLG

      Das Gründer*innen Handbuch will kreative Unzufriedenheit wecken, Mut machen und Lust auf echten pastoralen Erfolg jenseits des nur gut Gemeinten. Und weil nichts so sehr ermutigt und inspiriert wie die Begegnung mit erfolgreichen Gründer/innen, wird der Auftakt mit einer Erfolgsstory abgeschlossen: Als solche jedenfalls verstehen die Autoren die das Buch auch später als Praxisbeispiel durchziehende Gründungsgeschichte von Zeitfenster Aachen, die der Gemeindereferent Jürgen Maubach hier in berufsbiographischer Perspektive erzählt.

      Maubach ist dabei kein ausgeflippt Verrückter, sondern er ist und bleibt ein bodenständiger, wertschätzender und nachdenklicher Seelsorger von nebenan, der sich seine Sporen in den sogenannten „klassischen“ Einsatzfeldern auch weiterhin verdient, dabei aber seine kreative Sehnsucht kirchenproduktiv gewendet hat. Maubach kann auch mit Verrückten zusammenarbeiten, muss es aber nicht.

      KIRCHE ALS START-UP

      Im Zentrum des Buches steht das seit 2010 entwickelte und im Rahmen des Aachener Gründertrainings für Seelsorger/innen erprobte Ecclesiopreneurship-Konzept. Pastoralstrategisch grundlegend ist dabei die Idee, dass jenseits der sich ausbreitenden und aber im Metaphorischen verbleibenden Rede von der Kairóshaftigkeit der kirchlichen Krise ein auf echte Wirksamkeit zielender Modus der Kirchenentwicklung fällig ist, der es nicht beim Sehen und Urteilen belässt, ohne ins Handeln zu kommen.

      Das Credo des Gründer*innen Handbuches lautet hier: Lieber neue Fehler machen als immer wieder die ständig selben, alten. Die dazu optimale Vorgehensweise ist sehr kleinschrittig und macht entscheidende Anleihen bei Konzepten unternehmerischer Start-up-Entwicklung, Geschäftsmodellinnovation und dem sogenannten Design Thinking. Alle drei Schlagworte sind konzeptuell mit sehr dynamischen Verfahren in oft maximalem Kundenkontakt verbunden.

      Dies wiederum unterscheidet sich von der gewohnten Art und Weise, wie bei Kirche normalerweise gearbeitet wird – nicht nur, weil Christ/innen natürlich keine Kirchenkunden sind.

      Kirchlich ist man es gewohnt, dass Projekte in aufwändigen Planungsprozessen heranreifen und dann möglichst minutiös umgesetzt werden. Der Plan definiert den Weg über feste Meilensteine hin zum Ziel. Das Team steht gerne schon zu Beginn fest und besteht bevorzugt aus hauptamtlichen Profis. Ideen kommen in der Regel von den organigraphisch Zuständigen innerhalb der Organisation. Die für die Ressourcenvergabe verantwortlichen Gremien tagen halbjährlich bis jährlich. Bezuschusst werden vertrauenswürdige Pläne zur Erreichung sichtbarer Ziele. Risiken werden durch möglichst präzise Planung minimiert, Scheitern gilt als Misserfolg. Da es dennoch passiert, wird es kaschiert und umgedeutet. Kurz: Ein Innovationsprojekt besteht hier normalerweise in der Ausführung eines Planes.

      LIEBER NEUE FEHLER MACHEN ALS IMMER DIE ALTEN

      Start-ups – und eben auch pastorale – funktionieren aber eigentlich anders. Sie sind keine große Organisation in klein, sondern temporäre Organisationsformen zur Entwicklung eines neuen Geschäftsmodells bzw. hier: zur Entwicklung neuen pastoralen Handlungswissens. Projekte entstehen in kleinen Updatezyklen, bei denen sich das Vorhaben innerhalb weniger Tage sehr verändern kann. Das letztliche Ziel ist bei Prozessbeginn oft noch völlig unsichtbar, weil zunächst mittelorientiert mit dem gearbeitet wird, was an Ressourcen und Ideen zur Verfügung steht. Der Ressourcenbedarf verändert sich dadurch ebenfalls eher kurzfristig, keinesfalls aber halbjährlich oder jährlich. Das Team entsteht auf dem Weg, abhängig von der Leistungsbereitschaft der verfügbaren Talente. Ideen können von überallher kommen, nicht nur von hauptamtlichen Expert/innen mit ihrem unmittelbaren Zugang zu den Entscheidern. Und umgesetzt wird im Start-up nur, was die Beteiligten so überzeugend finden, dass sie ihre Ressourcen aktiv einbringen.

      Statt klar definierter und planbarer Endprodukte bieten Start-ups also vor allem Personen und Visionen, sie müssen Mittel einwerben für einen Wissensproduktionsprozess mit möglicherweise unklarem Ausgang. Risiken sind schlicht nicht auszuschließen, Unvorhergesehenes kann den Plan ändern oder auch das ganze Projekt beenden.

      Das alles klingt nun erheblich riskanter, aber die Fallhöhe ist geringer: Durch kleinschrittige, agile Verfahren in kurzen Updatezyklen werden riesige Fehlinvestitionen so weit wie möglich vermieden. Statt ein großes und aufwändiges Projekt aufgrund vorheriger Analysen und Einschätzungen vollständig umzusetzen und dann an der Realität zu überprüfen, werden Start-ups optimalerweise in größtmöglichem Kontakt zu ihren Anwender/innen immer wieder testen, ob ihre Produktidee und das dazugehörige Geschäftsmodell tatsächlich Kunden findet.

      Aus Sicht der Autoren des Gründer*innen Handbuches klingt diese in Jahrzehnten ökonomischer Entrepreneurshipforschung und Gründerförderung gewachsene Arbeitsweise nach einem attraktiven Vorschlag auch für pastorale Start-ups und Innovationsprojekte.

      Auch die bestehen dann optimalerweise nicht in der Ausführung eines Planes, sondern in der kleinschrittigen und anwenderorientierten Suche nach demselben. Und auch hier gehört eine Flasche Sekt in den Kühlschrank, um darauf anzustoßen, wenn man mal wieder einen interessanten neuen Fehler gemacht hat – und den Plan dann ändert oder nötigenfalls rechtzeitig beendet.

      Die Resonanzen der Kursteilnehmer/innen des Gründertrainings sind eindeutig: „Wenn das so läuft, dann kann man sich an Innovationsprojekte heranwagen, ohne Angst vor dem großen Scheitern zu haben“. Es liegt allerdings auf der Hand, dass ein solches Design von Innovationsprozessen der kirchlichen Innovationsstrategie Konzessionen abverlangt. Fehlerkultur heißt das Stichwort, und gemeint ist keine Fehlerkulturmetaphorik, sondern ganz konkrete Maßnahmen, denn gefördert werden in solch einem Paradigma nicht nur gut geplante Projekte, sondern offene Innovationsprozesse.

      Geeignete Förderzyklen orientieren sich dann nicht an institutionellen Rhythmen, sondern an den Bedarfen der Innovationsprojekte. Statt des großen Geldes für wenige, ausgewählte Projekte von bekannten und fachzuständigen Profis gibt es adaptive Förderung für eine Vielzahl von Unternehmungen, die nicht zuerst einen großen Plan schreiben, sondern die nachvollziehbar und systematisch ihre Ideen in der Interaktion mit ihren Partner/innen und erhofften Adressat/innen schärfen, bis sie nachweislich tragfähig sind.

      Die Realität sieht bisher anders aus: Wo es Projektmittel und Fördertöpfe überhaupt gibt, müssen die Bewerber/innen innerhalb der Antragsfristen überzeugende Gesamtkonzepte vorlegen, ohne selbst sicher sein zu können. Die anschließende Bewilligung der Mittel hat dabei einen sonderbaren Effekt, denn sie suggeriert eine Autorisierung des Planes als geeignet: Wenn die uns das Geld geben, dann scheint es sich ja wirklich um eine starke Idee zu handeln…

      Die Adaption unternehmerischer Innovationsstrategien ist keine Platitüde.

      Das alles ist keine Raketenwissenschaft, und doch ist die Adaption unternehmerischer Innovationsstrategien auch theologisch keine Platitüde. Zugrunde liegt die Idee, den philosophisch-theologischen Begriff des Kairós analog der sog. Gelegenheit bzw. Opportunity des Entrepreneurshipdiskurses zu deuten.

      Und hier finden sich drei unterschiedliche Sichtweisen dieser Gelegenheit, deren Auswahl sich am jeweiligen Unsicherheitsgrad festmacht. Egal, ob es sich um rein auf finanziellen Profit gerichtete Gründungen handelt oder um auf soziale, ökologische oder eben auch pastorale Nachhaltigkeit gerichtete Vorhaben, bei denen das Ökonomische nur als notwendige Nebenbedingung zu berücksichtigen ist, entscheidend ist die Wahl einer geeigneten Vorgehensweise zur Bearbeitung unterschiedlicher Grade an Unsicherheit, und zwar hier insbesondere marktlicher Unsicherheit. Marktliche Unsicherheit meint fehlende Information über Angebot, Nachfrage und Relation der beiden Größen.

      Das Gründer*innen Handbuch unterscheidet hier im Anschluss an den ökonomischen Diskurs drei Sichtweisen eben auch pastoraler Gelegenheiten, die der Klarheit halber unpastoralisiert skizziert werden sollen. Die Rede von „Produkten“ ist dabei bewusst herausfordernd gesetzt, denn es geht natürlich nicht darum, Pastoral zum Geschäft umzudeklarieren, sondern gerade an der Reibungsfläche der Sprachspiele etwas Neues zu entwickeln.

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