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Lebendige Seelsorge 6/2017. Echter Verlag
Читать онлайн.Название Lebendige Seelsorge 6/2017
Год выпуска 0
isbn 9783429063276
Автор произведения Echter Verlag
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
2. Opportunity Discovery bzw. Entdecken von Gelegenheiten:
Produkt oder Nachfrage sind bekannt, nicht aber das jeweils andere. Möglicherweise ist für ein vormals gefragtes Produkt die Kundschaft abgewandert, möglicherweise ist das Angebot auch ganz neu und die Zielgruppe muss noch entdeckt werden. Oder eben im umgekehrten Falle: Möglicherweise gibt es da draußen ein Problem oder Kundenbedürfnis, für das aber noch das passende Produkt gefunden oder erfunden werden muss.
3. Opportunity Creation bzw. Erschaffen von Gelegenheiten:
Produkt und Nachfrage sind unbekannt. Vielleicht gibt es nur eine neue Technologie, deren sinnvolle Anwendung aber noch aussteht, vielleicht gibt es sogar schlicht nur eine Krise der bisherigen Wirtschaftsweise, weil die früher bewährten Produkte nicht mehr lieferbar sind und sie auch eh keiner mehr haben wollte. Manchmal ist es auch einfach nur die Intuition eines/r Akteur/in, dass etwas Neues begonnen werden will, dass ein Aufbruch fällig ist.
Diese drei Szenarien ergeben die Achse, auf der das Gründer*innen Handbuch gezielte Verfahrensvorschläge unterbreitet. Ist ein Projekt so bewährt oder so weit gediehen, dass Angebot und Nachfrage erfolgversprechend kombiniert sind und in einem funktionierenden Konzept zur Anwendung kommen können, greifen planerische Verfahrensweisen – Opportunity bzw. Kairós muss „nur“ erkannt werden.
Fehlt aber eindeutige Information über Angebot oder Nachfrage, so greift das Discovery-Konzept: In experimenteller Annäherung muss das fehlende Element erschlossen werden. Das Gründer*innen Handbuch schlägt hier die kleinschrittige Annäherung mit der sog. Canvas-Methode vor: Hypothesen werden lose notiert und möglichst ressourcenschonend getestet.
Der eigentliche Start-up-Bereich, so wie er oben skizziert wurde, ist aber die Domäne des sog. Creation View der Opportunity. Wo hinsichtlich der Mittel und Wege zu einem noch unbekannten Ziel maximale Ungewissheit besteht, wo vielleicht außer der Krisenhaftigkeit der Ausgangslage keinerlei Rezeptidee Erfolg verspricht, da muss anders innoviert werden.
Das Buch empfiehlt hier die radikal mittelorientierte und co-kreative Vorgehensweise des sog. Effectuation-Ansatzes und seiner beliebten Kühlschrankmetapher: Gekocht wird mit dem, was im Kühlschrank ist. Statt des perfekten Menüs nach Rezept erhalten die Gäste eine Einladung zum Mitkochen, und zwar unter Einbezug des eigenen Kühlschrankinhaltes und eigener Rezeptideen. Gesucht werden nicht „die Richtigen“, sondern die, die da und bereit sind. Zufälle lassen sich nicht planen und können den Abendverlauf maßgeblich verändern. Und vor allem: Je diverser die Kochpartner/innen, desto diverser und ergiebiger für den Innovationsprozess sind die Rezeptideen und Kühlschrankinhalte.
In der Kirchenentwicklung geht es um nicht weniger als um das Erkennen, Entdecken und Erschaffen pastoraler Gelegenheiten kairóshafter Dignität.
Das Gründer*innen Handbuch will dies alles eben nicht nur auf die Erschaffung von unternehmerischen Gelegenheiten lesen, sondern es wendet den Vorschlag kairologisch auf pastorale Chancen. In der Kirchenentwicklung geht es um nicht weniger als um das Erkennen, Entdecken und Erschaffen pastoraler Gelegenheiten kairóshafter Dignität.
INNOVATION: KEIN BUNTER ORCHIDEENSTRAUCH
Im Hintergrund steht der Innovationsbegriff des Gründer*innen Handbuches, der der Reduktion des Innovativen auf das bloß Neue oder Originelle widerspricht. Originell zu sein alleine macht keine Innovation aus, sondern nur, was aus Nutzersicht brauchbar ist und sich auch nachhaltig umsetzen und ggf. verbreiten lässt, gilt als wirkliche Innovation. Wer pastorale Innovation so buchstabiert, kann beim ersten Hinsehen beunruhigt sein, denn es ist kirchlich ungewohnt, nach den Erfolgen zu fragen. Mehr Energie geht in die Umdeutung: „Erfolg ist keiner der Namen Gottes“, hört man sagen.
Dieses Abfinden mit der Erfolglosigkeit hat aber kritische Konsequenzen für die Kirchenentwicklung auf allen Ebenen. Denn eine kirchliche Organisation, in der Erfolg nicht nur für nicht relevant gehalten wird, sondern in deren Kultur sogar die Lust am pastoralen Erfolg als unangemessen oder eitel gilt, wird auf Dauer auch nur noch Menschen zur Mitarbeit gewinnen können, mit denen man erfolgreich erfolglos bleiben dürfte.
Strategisch bedeutsam ist ferner die klare Drift des Konzeptes zur Reproduzierbarkeit pastoraler Innovation: So wie sich die simple Spiritualisierung der kirchlichen Herausforderungslage durch die Kirchenleitungen verbietet, so wollen die Autoren auch die Pastoralpioniere motivieren, etwa mittels der sog. Canvas-Methode nach der Funktionsweise der Projekte zu fragen, um den Erfolg möglichst reproduzierbar zu machen. Denn zweifellos muss zwar vor Ort jeweils berücksichtigt werden, welche Ressourcen zur Verfügung stehen. Aber wenn pastorale Innovation kein Orchideenfach bleiben will, so muss hier nachvollziehbares Wissen darüber produziert werden, wie erfolgreiche Modelle etwa einer „Kirche für Leute, die nicht mehr zur Kirche gehen“ auch andernorts gestartet werden könnte, ohne das Rad jeweils neu zu erfinden. Interessanter als das Original ist dann überraschenderweise die „Kopie“ des Neuen.
INNOVATION ALS TEIL DER EIGNERSTRATEGIE
Insofern am Anfang und am Ende speziell von kirchlichen Innovationsvorhaben die Frage nach den Rahmenbedingungen unausweichlich ist, schließt sich ein Kapitel zum Thema Führung und Innovationsmanagement an. Das Gründer*innen Handbuch macht hier wiederum Anleihen aus Führungsforschung und Technologie-Innovationsmanagement, thematisiert Innovationshindernisse wie etwa das Not-Invented-Here-Syndrom und die Kannibalisierung des Neuen durch das Alte, ferner das unternehmerisch bewährte Führungskonzept der sog. Dienenden Führung.
Gerade letzteres Modell erscheint im pastoralen Kontext gut brauchbar, weil es anschlussfähig für im besten Sinne christliche Führungsaufgaben erscheint, ohne dabei von ergebnisorientierter Verantwortungszuschreibung abzusehen.
THEOLOGISCHES SELBSTBEWUSSTSEIN FÜR PASTORALE PIONIERE
Das Gründer*innen Handbuch schließt mit einem theologischen Großkapitel, das übrigens in der Urfassung des Buchkonzepts am Anfang stand, aber in der nun vorliegenden Struktur einen stärker reflexiven und vor allem instrumentellen Charakter bekommt.
Reflexiv, weil das Buch einem Handeln-Sehen-Urteilen Paradigma folgt. Instrumentell deswegen, weil in der gegenwärtigen kirchlichen Lage pastorale Innovation und Gründung noch immer als Orchideenfach gelten und sich rechtfertigen müssen: Wo Pastoralpioniere ihre Projekte ohne belastbare Aufträge und bestenfalls noch mit ständig widerrufbarer „Erlaubnis von oben“ vorantreiben müssen, da hilft es sehr, die zentralen theologischen Argumente gebündelt parat zu haben, und sei es in Form eines 1200g schweren Ziegelsteins, mit dem man notfalls auch mal eine Scheibe einschmeißen könnte. Das gebührt sich nicht, aber die schiere Möglichkeit ändert etwas: Wir könnten, wenn wir nur wollten.
LITERATUR
Pott, Martin, Das „Aachener Innovations- und Gründertraining für Seelsorger*innen“ als strategischer Baustein diözesaner Pastoralentwicklung, in: https://www.euangel.de/ausgabe-2-2017/werkzeuge-aufdem-pastoralen-markt/das-aachener-innovations-und-gruendertrainingfuer-seelsorgerinnen/.
Sarasvathy, Saras D. et al., Three Views of Entrepreneurial Opportunity, in: Acs, Zoltan J./Audretsch, David B. (Hg.), Handbook of Entrepreneurship Research. An Interdisciplinary Survey and Introduction, New York 2010, 77–96.
Sobetzko, Florian/Sellmann, Matthias, Gründer*innen Handbuch für pastorale Start-ups und Innovationsprojekte, Würzburg 2017.
Wie viel Ökonomie verträgt die Pastoral?
Konzepte und Methoden der Betriebswirtschaftslehre (BWL) spielen vermehrt auch in der Kirche und Pastoral eine Rolle. Generell ist dagegen nichts einzuwenden. Erforderlich ist es allerdings, zu prüfen, wieweit die mit ihnen einhergehende Logik mit dem Eigensinn der Kirche vereinbar ist. Norbert Mette