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hin reflektiert werden“ müssen (Klein 2015, S. 62) f.).27 Des weiteren besteht in unserem Kontext die Frage, ob und wie in ethischen, therapeutischen oder theologischen Fragen Empirie auf die Theorie bzw. das übliche Denken einwirken kann. Die Medizinethiker Stella Reiter-Theil und Uwe Fahr betrachten (empirische) „Forschung über Ethik“, die Betroffene und ihre Anliegen mehr als nur anekdotisch einbezieht, als eine „notwendige Aufklärung und Selbstkritik.“ (vgl. Reiter-Theil u. Fahr 2005, S. 103) Reiter-Theil beschreibt in einem grundlegenden Artikel drei Muster der Beziehung zwischen dem Empirischen (bzw. empirisch beobachtbarer Praxis) und ethischen Normen: Diese könnten sich jeweils in eine Richtung oder auch gegenseitig infrage stellen (vgl. Reiter-Theil 2012, S. 426). So könnten z. B. empirische Studien, die eine überraschende oder bedenkliche Praxis nachweisen, Anlass sein für die kritische Bewertung einer bestimmten Norm, die dabei verteidigt, modifiziert oder zur weiteren Diskussion gestellt werden könnte. Für eine Modifikation brauche es aber robuste empirische Evidenz und möglichst interdisziplinäre ethische Argumentation (vgl. ebd., S. 432 f.). In diesem Sinne könnten empirische Ergebnisse unserer Studie zusammen mit den anthropologischen und ethischen Perspektiven durchaus ein Anstoß sein zur Weiterentwicklung sowohl von medizinethischen Richtlinien (die etwa im deutschsprachigen Raum im Blick auf Religion und Weltanschauung nur die Neutralität formulieren; vgl. Abschn. 3.3.1) wie auch von Standards der psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung (die etwa in den einschlägigen Lehrbüchern Religiosität bzw. Spiritualität weitestgehend ausklammern; vgl. Abschn. 6.2.1). PT erweist sich damit „in ihrer für die Praxis generativen Kraft als gegenwarts- und zukunftsträchtig“ (vgl. Kießling 2005, S. 123). Theologie hat eine prophetische Aufgabe, es gibt in ihr „einen auf Zukunft hin orientierten Praxisbezug, der die gegenwärtig vorfindbare Praxis als Korrektur und Herausforderung trifft“ und im empirisch Erkennbaren nach Potentialen sucht, die – wie in Jesu Gleichnissen – für überraschende theologische Perspektiven offen sein können (vgl. Fuchs 2000, S. 208).

      Umgekehrt kann und muss auch die Theologie selber aus der Empirie lernen. Empirische Wahrnehmungen können Anlass sein für theologisches Nachdenken, für das Neu-Beachten oder die Neu-Interpretation von Glaubensthemen. Gute Theologie braucht „theologische Orte“ (loci theologici): Quellen und Fundstellen für Erkenntnis und ihre Vermittlung ins Heute.

      Die Loci unterscheiden zwischen konstituierenden und interpretierenden Orten der Offenbarung. Sie entwickeln also eine geordnete Rangordnung der Quellen der Theologie. Bei den interpretierenden wird zwischen eigenen und fremden, also zwischen innen und außen unterschieden. Dabei ist die Unterscheidung zwischen eigenen und fremden nicht hierarchisch in dem Sinne zu verstehen, als ob die fremden nachträglich oder gar verzichtbar wären. (Siebenrock 2003, S. 126)

      Sozialwissenschaftliche Erkenntnisse können zu den sogenannten „fremden“ Orten (loci alieni)28 gezählt werden, die eine interpretierende Funktion bekommen. Nach Stephanie Klein hat die Reflexion des im Alltag gelebten Glaubens „eine unverzichtbare theologische Relevanz. Sie konfrontiert Exegese und systematische Disziplinen mit Glaubensdeutungen und -praxis der Menschen vor Ort und arbeitet an einer Kirchengeschichtsschreibung ‚von unten‘ mit.“ (Klein 1999b, S. 258)29

      Jürgen Werbick spricht von Lernprozessen, bei denen PT mit ihren empirischen Untersuchungen im Dienst der „Kommunikation des Evangeliums“ eine „zu optimierende kritische Korrelation zwischen christlicher Zeugnisüberlieferung und gelebter, impliziter oder expliziter Religiosität“ im Blick hat, „wobei unter gelebter Religiosität hier alle Zeugnisse (»living documents«) einer »aufs Ganze gehenden« Lebensorientierung und Identitätsausrichtung verstanden werden dürfen.“ (Werbick 2015, S. 525) Entsprechend weit ist unsere Studie angelegt. Für die Theologie – und hier etwa auch eine verantwortete Klinikseelsorge – geht es um „Wege, auf denen man lernen kann, mit der gegebenen Situation »produktiv« umzugehen und so auch Möglichkeiten zu erschließen, das in den Zeugnissen der biblischchristlichen Überlieferung Bezeugte heute als schlechthin verheißungsvolle Lebens-Herausforderung zu bezeugen.“ (ebd.)

      Im Lexikon der Geisteswissenschaften definiert Wolfgang Jordan Erkenntnisinteresse als „eine allgemeine Zwecksetzung im Erkenntnisvermögen des Menschen, die zu einer Strukturierung des erkannten Gegenstands führt.“ (Jordan 2011, S. 141) In diesem Kontext würden dann u. a. Fragen von Wahrheit und Ideologie erörtert (vgl. ebd.): Kann und will der Mensch wirklich Wahrheit erkennen? Jede Forschung hat primär mit Erkenntnisinteressen und möglicherweise mit weiteren, sekundären – im schlechtesten Fall egoistischen – Interessen zu tun. Das von Norbert Mette und Johannes Steinkamp beschriebene „Paradigma der konvergierenden Optionen“ (Mette u. Steinkamp 1983, S. 170)–172) in Bezug auf die „Interaktion zwischen Humanwissenschaften und Theologie“ trägt dem wissenschaftstheoretischen Grundsatz Rechnung, „daß jeder Erkenntnis- und Forschungsprozeß von Interessen bzw. Optionen geleitet ist (im Sinne der Dialektik von Erkenntnis und Interesse)“ (ebd., S. 170). Wir sprachen bereits oben von Interessen und Anliegen etwa der Psychiatrie, der Psychotherapie, der Praktischen Theologie und Caritaswissenschaft. Es ist berechtigt, diese kritisch zu überprüfen: „Wer heute den ›Menschen‹ (Menschlichkeit, Humanität) beschwört, steht deshalb noch nicht außerhalb aller weltanschaulichen Interessen. Auch hier gilt die ideologiekritische Frage: cui bono.“ (Arlt 2001, S. 11) f.)

      Roy F. Baumeister hält es für wesentlich, religionspsychologische Forschung nicht Zeloten zu überlassen: „it is essential that religion be studied in a balanced, open-minded, objective fashion rather than being left to the pro-religious and antireligious zealots who are seeking to support predetermined conclusions.“ (Baumeister 2002, S. 165) Dem ist voll zuzustimmen. Das Einleitungskapitel des bereits genannten APA-Handbuchs sieht Religion und Spiritualität für viele Menschen mit großem Einfluss (power) verbunden, darum ließe das Thema die wenigsten kalt und löse auch bei Wissenschaftlern Emotionen aus – statt Dialog über solch wichtige und emotional aufgeladene Bereiche folgten darum leider oft entweder Schweigen oder vorgefasste Meinungen und Provokationen (vgl. Pargament et al. 2013a, S. 3). Jacob A. Belzen warnt die Religionspsychologie vor dem (evtl. unbewussten) Bedürfnis, bestimmte Ergebnisse und Schlussfolgerungen zu präsentieren, die aus der Sympathie für eine bestimmte Weltsicht oder Religion resultierten (vgl. Belzen 2009a, S. 212). Man müsse lernen, der Subjektivität von Studienteilnehmern mit so viel Aufmerksamkeit zu begegnen und nach dem psychologisch Relevanten zu suchen, wie man es in der Psychotherapie tun würde – und bei alledem genauso sein privates Urteil zurückzustellen (vgl. ebd., S. 220).30 In der Tat, eine solche Klarheit und reflektierte Neutralität ist unabdingbar.

      Die nötige Transparenz und eine berechtigte Vorsicht sind jedoch zu unterscheiden von unfairen Verdächtigungen. Der Weg von kritischer Sicht hin zu Verdacht oder gar Vorurteilen ist manchmal nicht weit. Matthias Richard vermutet, religionspsychologische Forschung sei in Deutschland unter anderem deshalb selten, weil „dem Forscher schnell unterstellt wird, den Inhalt einer religiösen Aussage belegen zu wollen und damit ‚weltanschaulich gebunden‘ zu sein.“ (Richard 2004, S. 131) Peter J. Verhagen sieht die im Bereich von Psychiatrie und Religion forschenden Wissenschaftler unter dem Verdikt stehend, religiös stark interessiert zu sein. Sie würden damit eines Interessenkonfliktes beschuldigt, und man fürchte eine Evangelisierung von Patienten und die Gefahr der Verletzung therapeutischer Grenzen (vgl. Verhagen 2012, S. 355). Prominent haben das etwa in Großbritannien die Psychiater Rob Poole und Robert Higgo vertreten, die bei einigen Forschern einen Interessenkonflikt in Form eines starken religiösen Glaubens oder einer formalen religiösen Rolle annehmen (vgl. Poole u. Higgo 2011, S. 26).31 Fiona Timmins et al. haben den Eindruck, Forscher zu Religion und Spiritualität würden bereits aufgrund ihres Themas höheren Standards und Erwartungen unterworfen als andere Forscher (vgl. Timmins et al. 2016, S. 4). Niedrigere Standards sollten es aber keinesfalls sein.

      Benannt werden müsste in diesem Kontext auch eine gegenteilige Tendenz. Klaus Baumann verwies auf Tendenzen zu wissenschaftlichem (Neo-)Positivismus, Materialismus und Empirizismus, die in den Neurowissenschaften, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapien verbreitet

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