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Zimmer, mit eigener Verpflegung und Kleidung, während der übrige Konvent Hunger litt. Das Generalkapitel von 1321 entschied, dass man reiche Brüder um ein Darlehen oder um ein Geldgeschenk bitten solle, um die wirtschaftliche Not der übrigen Konventsmitglieder zu lindern.42 Die Bereitschaft, miteinander die Einkünfte zu teilen, war nicht mehr vorhanden. Fortan gehörten deshalb Gelderwerb, Misstrauen und Neid zum klösterlichen Alltag.43

      Trotz der Dekadenz gab es jedoch auch Mitbrüder, die die Einhaltung der Observanz, die Armut, das Studium und die Wanderpredigt, forderten und die ein glaubwürdiges Ordensleben führten. Zu diesen gehörte, wie der Ordenschronist Johann Meyer 1455 berichtet, neben Meister Eckhart und Heinrich Seuse auch Johannes Tauler:

       „Und wie das was, daz der orden vast abnam von seinem ersten ursprung der volkommenheit, so fand man doch durch den orden in allen provintzen gar vil heilliger brüder und swestren, die in heilligem leben den ersten vetren und mütren nit mynder waren, als man von in vil geschriben fint. … Bruder Eckhardus, ein tutzscher man und ein meister gotlicher kunst unn ein ingezogener, bescheulicher man, der gar vil menschen auf andacht gezogen hat unn manigfaltige frucht getan hat. Bruder Johannes, den man nennt den Tawler, der gar ein got minender mensch was unn des gotliche wortzt ein andechtiger prediger … .Bruder Heinrich, den man nennt den Seusen; wer diser bruder sey gewesen, bedarf ich hie nit sagen.“44

      „Und als es geschah, dass der Orden sich fast (immer mehr) von seinem ersten Ursprung der Vollkommenheit entfernte, so fand man dennoch in allen Provinzen des Ordens gar viele heilige Brüder und Schwestern, die in einem heiligen Leben den ersten Vätern und Müttern nicht minder waren, wie man über sie geschrieben findet. … Bruder Eckhart, ein Deutscher und ein Meister göttlicher Kunst und ein in sich gekehrter, beschaulicher Mann, der sehr viele Menschen zur Andacht erzogen und reichhaltige Frucht gebracht hat. Bruder Johannes, den man den Tawler (= Tauler)45 nennt, der ein gar sehr gottliebender Mensch und ein andächtiger Prediger des göttlichen Wortes war … .Bruder Heinrich, den man den Seuse nennt; wer dieser Bruder war, brauche ich hier nicht (eigens) zu sagen.“

      Johannes Tauler wendet sich in seinen Predigten zum Beispiel gegen die in seinem Kloster gängige, jedoch recht fragwürdige Annahme von unrechtmäßig erworbenem Gut als Almosen, eine Praxis, die Papst Benedikt XI. (1303 – 1304) den Straßburger Dominikanern 1304 gestattete. Der päpstlichen Bestimmung zufolge durften die Predigerbrüder bis zu 500 Mark Silber einkassieren, wenn der rechtmäßige Eigentümer nicht mehr zu ermitteln war. Dies führte jedoch unweigerlich zum Missbrauch. So nahmen die Straßburger Dominikaner 1349 das ihnen nach den Judenpogromen aus jüdischem Vermögen zugesprochene „Judengeld“ in Höhe von 400 Mark ohne Bedenken an.46 Tauler bemerkt zur Almosenpraxis seiner Zeit:

      „Hette ich das gewisset das ich nu weis, do ich mins vatters sun was, ich wolte sines erbes gelebet han und nút der almuosen“47 „Hätte ich gewusst, was ich jetzt weiß, als ich noch Sohn meines Vaters war, so hätte ich von seinem Erbe leben wollen und nicht von Almosen.“

      Dringende Reformen des Ordenslebens waren nötig. Doch wer sich für die überfälligen Veränderungen einsetzte, musste mit heftiger Gegenwehr rechnen. 1321 verlangte Jakob von Welsberg, der Provinzial (1316 – 1323), bei der Visitation des Straßburger Konvents eine striktere Einhaltung der Observanz. Daraufhin sperrten ihn einige Brüder in den Klosterkarzer und hielten ihn dort mehrere Tage gefangen. 1325 wehrten sich in Straßburg sogar die ordenseigenen Studenten gegen Reformen. Ungefähr zur gleichen Zeit klagten intrigante Mitbrüder beim Generalkapitel gegen Ordensangehörige, die vor ungebildeten Hörern in der Volkssprache predigen würden, was zu Missverständnissen und Irrtum in Glaubensfragen führen könnten.48 Dieser Vorwurf richtete sich vor allem gegen Predigerbrüder, die auf eine innere Erneuerung des Ordens drängten. Prominentestes Opfer derartiger Kampagnen wurde Meister Eckhart, der 1328 von Papst Johannes XXII. verurteilt wurde.49

      Außerdem galt für die Region am Oberrhein die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts als eine Zeit der Katastrophen50: Am 25. November 1346 wurde Basel von einem schweren Erdbeben heimgesucht. Dies war der Auftakt für eine Erdbebenwelle, die 1356 nochmals in Basel und 1357 in Straßburg ihren Höhepunkt fand. Basels Tragödie nahm man auch in Straßburg aufmerksam zur Kenntnis. So berichtet der Straßburger Chronist51, dass in Basel die Ringmauer, zahlreiche Häuser und Kirchen zerstört wurden; gleichzeitig wütete mehrere Tage eine Feuersbrunst. Die Menschen, die ihre ganze Habe verloren hatten, mussten in Zelten übernachten. Da die Lebensmittel knapp waren, herrschte großer Hunger. Weitere Nachbeben versetzten die Bevölkerung am Oberrhein in Angst und Schrecken. Schließlich wurde am 15. Mai 1357 auch Straßburg von einem heftigen Erdbeben heimgesucht, „der was groszer denne keinr vormals gewesen was“52 („das so heftig war wie keines zuvor gewesen war“), wie der Chronist schreibt. Die Bevölkerung floh aus der Stadt und nächtigte im Freien, um nicht das gleiche Schicksal zu erleiden wie die Bürger von Basel.53 Die zahlreichen Beben verursachten auch immer wieder Überschwemmungen und Feuersbrünste. 1353 verwüstete ein heftiger Sturm das Rheinland.54 Hinzu kam ab 1347/48 eine erschreckende Pestwelle55, die, durch italienische Handelsschiffe eingeschleppt, vom Süden her aus der Region Genua kommend nach Norden vordrang und innerhalb weniger Jahre ein Drittel der gesamten Bevölkerung Europas hinwegraffte.56 Von Juli bis Oktober 1349 wütete zum Beispiel in Straßburg die Beulenpest, der 16000 Menschen zum Opfer fielen.57 Die Bevölkerung glaubte, dass sich die letzten sieben Plagen der Apokalypse (Offenbarung 15f.) verwirklichen und der „Zorn Gottes über die Erde“58 gegossen werde.59 In diesem Sinne deutet auch Tauler in einer Predigt die Zeichen der Zeit:

       „Wenne nu denne die grossen plagen koment, so sol man grossen jamer denne sehen von den die nu vil wol dar an wenent sin. Da súllent denne die boesen engele den si nu gevolget hant, wunder und jamer mit den machen, und fuerent si ze lest mit in ane alle wider rede. Und dise velle hebent sich ietzunt an.“60

      „Wenn nun also die großen Plagen kommen, so wird man großen Jammer bei denen sehen, die nun glauben, gut daran zu sein. Es werden dann die bösen Engel, denen sie gefolgt waren, Unerhörtes und Schmerzliches mit ihnen machen, und sie werden sie zuletzt mit sich führen ohne alle Widerrede. Und solche Fälle beginnen von jetzt an, sich zu ereignen.“

      Die Angst vor dem jüngsten Gericht und dem Ende der Welt versetzte die Bevölkerung immer mehr in Panik. Sie versuchte dem drohenden Gericht durch harte Selbstkasteiung zu entgehen. Im Juni 1348, während der großen Pestwelle, erreichte der erste Geißlerzug Straßburg; ein weiterer Zug von 200 Flagellanten folgte im Juli.61 Schließlich wurde in der Stadt eine eigene Geißlerbruderschaft gegründet.62 Die Angst und Panik vor dem Ende der Welt und die Bedrohung durch den „Schwarzen Tod“ schlugen in der Stadt in offene Aggression und Gewalt um. Man suchte einen Schuldigen, und man fand ihn im Judentum. Obwohl König Karl IV. den Straßburger Juden noch am 25. November 1347 einen Schutzbrief ausstellte, nahm die Judenhetze immer mehr zu. 1348 begann schließlich eine grausame Judenverfolgung, die sich auf den ganzen Ober- und Mittelrhein bis in die Schweiz hin ausweitete.63 Die Pestseuche wurde dabei hartnäckig auf eine systematische Brunnenvergiftung durch Juden zurückgeführt. Zahllose Todesurteile wegen angeblicher Brunnenvergiftung wurden in Straßburg gegen Juden vollstreckt.64 Am 14. Februar 1349, an einem Sabbat, wurden rund zweitausend Juden auf den Judenfriedhof verschleppt und dort bei lebendigem Leibe verbrannt. Nur wer sich taufen ließ, wurde verschont.65 Am 5. Juli 1349 warnte König Karl IV. die Stadt Straßburg und die übrigen Städte davor, weiter gegen die Juden zu hetzen. Doch gewährte er nach dem Ende der Verfolgungen den an den Pogromen Beteiligten großzügig Amnestie, so dass alle an Juden begangenen Verbrechen ungeahndet blieben; jüdisches Vermögen musste nicht wieder rückerstattet werden66, sondern wurde als „Judengeld“ u.a. auch an die Dominikaner Straßburgs verteilt.67

      Wie stand Tauler zu den Verfolgungen? In seinen Predigten finden wir keinen Hinweis darauf, dass er die unschuldig verfolgten Juden in Schutz genommen hätte.68 Tauler übernimmt das in seiner Zeit vom Christentum negativ geprägte Judenbild, doch überträgt er es, wie die negative Bewertung der Pharisäer und Schriftgelehrten zeigt, auf die

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