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Männern die Möglichkeit boten, Jesus Christus sinnlich, ungezwungen, persönlich und individuell anzubeten und zu lieben. Im Unterschied zur Eucharistischen Anbetung, welche sich im Katholizismus ab dem 16. Jh. großer Beliebtheit erfreute, aber nur in einer öffentlichen Kirche und lediglich bei Anwesenheit eines Priesters abgehalten werden durfte, konnte etwa die Nonne in ihrer Klosterzelle – im einzigen Rückzugsort, in dem sie ungestört allein war – das göttliche Kindlein nicht nur ostentativ verehren, sondern es ganz nach Belieben umkleiden, wiegen, küssen und sich somit einem sakralen Spiel ohne Grenzen hingeben.

      Die papstorientierte, streng hierarchisch aufgebaute Institution fokussierte sich in der Frühen Neuzeit immer mehr auf den Priester als Autoritätsfigur und Repräsentanten der Römischen Kirche. Diesem übertrug sie die Verwaltung des Allerheiligsten, die Monstranz, und stellte ihm auf diese Weise – wie Michel de Certeau5 betont – ein „pastorales Werkzeug“ zur Verfügung. Daher kann man sagen, dass der zur Anbetung ausgesetzte Leib Christi das „‚Sakrament‘ der Institution“ darstellte. Ohne Priester gab es keine Eucharistische Anbetung. Folglich lag es in seiner Macht und Kompetenz, den Gläubigen den Kontakt mit dem in der Monstranz realpräsenten Gott zu gestatten oder zu verweigern. Mit dieser Eucharistiepraxis konnten die Kleriker die Laien gewissermaßen unterjochen und ihre eigene Person als priesterlicher Verwalter des höchsten Guts in den Vordergrund rücken. Doch Jesus Christus wirklich, unmittelbar, direkt geistlich zu „sehen“ und ihm die eigenen Bitten und Nöte vorbringen zu dürfen, war unzähligen Christ(inn)en ein echtes Anliegen und geistliches Bedürfnis.

      Insbesondere Ordensfrauen, die sich nach einer innigen Gottesbegegnung sehnten, ließen sich durch diesen instrumentalistischen Gebrauch des Leibes Christi über die Messfeier hinaus nicht zufriedenstellen. Sie suchten eigenwillig und eigenständig nach neuen spirituellen Wegen, um ihre Sehnsucht nach Gottes Gegenwart zu stillen. In der Jesuskind-Statue fanden sie neben einer Lösungsstrategie einen unmittelbaren sakralen Spiel- und Gesprächspartner. Im Jesulein schufen sie sich eine, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene, private (Quasi-)Monstranz. Ich schlage dafür in Anlehnung an Michel de Certeau die Bezeichnung „Sakrament des Individuums“ vor. Es fungierte als göttliches Du, mit dem die Beziehung zu Gott leidenschaftlich, den rigiden und einengenden Anforderungen des streng reglementierten klösterlichen Lebens enthoben, realisiert werden konnte. Hier, in der Statue, war Jesus da, anwesend, präsent, ansprech- und verfügbar. In diesem intimen Zusammensein zwischen Gott und Mensch bekam all das Raum, was die Kirche als Aberglauben, Sentimentalität und Kitsch verpönt, aus der Liturgie ersatzlos gestrichen und den gläubigen Christ(inn)en verboten hatte. In dieser misslichen Lage garantierte das göttliche Kindlein die Anwesenheit Gottes in der Welt. Noch dazu wirkte es wie ein lebendiger Beweis, dass sich Jesus mit den Menschen solidarisch zeigte. Die realitätsnahen Objekte blicken mit großen, erwartungsvollen Augen und sprechendem Mund das Gegenüber an, haben die Arme häufig weit ausgestreckt oder zum Segen erhoben, so als ob sie sich nach Kommunikation, einer Umarmung, kurzum nach echter Begegnung sehnen. Die Statuen ermöglichten es, mit Gott zu „spielen“, d.h. in einer unverzweckten, bedingungslosen Beziehung mit ihm zu leben. Sie wirken schwach, bedürftig, verheißen gleichzeitig als Inbegriff göttlicher Präsenz Vergebung, bedingungslose Liebe sowie die greif- und fühlbare Nähe Jesu.

      Heimlicher Widerstand

      Das subversive Potenzial dieser Spiritualität sowie die damit einhergehende Möglichkeit, eine eigene private Monstranz mit dem realpräsent geglaubten Jesus Christus zu besitzen, war allerdings untrennbar mit der kirchlichen Institution verbunden. Denn diese hatte durch das Bilderdekret des Konzils von Trient (1545–1563) zwar einerseits emotionale Auswüchse bei der Verehrung drosseln wollen, andererseits berühmte, Gnaden und geistliche Zuwendungen schenkende Statuen materiell sowie ideell rege unterstützt und dadurch die Devotion implizit gefördert. Die Liebhaber(innen) des Jesuleins verehrten das göttliche Kind aber nicht „nach Vorschrift“ und offizieller Handreichung; sie verwendeten das kirchliche Produkt nach eigenem Belieben. Sie wussten um den Supplementcharakter der Objekte, verfielen nicht einer naiven Gleichsetzung von Gott und toter Materie, aber sie arrangierten sich mit dem, was ihnen zur Verfügung stand, sowie der Beamte im Roman Witold Gombrowiczs, als er sagt: „Wenn man nicht hat, was man liebt, [s]o liebt man, was man hat.“6 Michel de Certeau7 zeigt im Zusammenhang mit Alltagspraktiken und dem Konsumverhalten des modernen Menschen auf, dass die Produzenten als Mächtige ihre Produkte anbieten, wobei der Verbraucher diesen Anbietern dennoch keineswegs passiv und hilflos ausgeliefert ist. Denn er ist in der Lage, durch geschickte Kombination einen kreativen Umgang mit den angebotenen Waren eine neue, seinen Bedürfnissen entsprechende Kultur zu schaffen. Dieselbe List erfolgte bei der frühneuzeitlichen Jesuskind-Verehrung: Man verwendete die Statuen weder genau gemäß den institutionell vorgeschriebenen Regeln noch als Ersatz für die Katholische Kirche, denn die Verehrer(innen) wandten sich nicht offiziell von der Institution ab. Aber sie bauten eine, den ursprünglichen Zweck „pervertierende“ Beziehung mit dem Jesulein auf und fanden im unbeschwerten, leidenschaftlichen Umgang mit dem Objekt eine ganz neue Freiheit von der Kirche und deren Angeboten. Die unmittelbare Interaktion mit dem göttlichen Kindlein war eine Form des Widerstands, eine bewusst unverschämte Taktik, mit deren Hilfe religiös affine Menschen den „Mächtigen“, d.h. den kontrollierenden, normierenden und teils manipulativ agierenden klösterlichen bzw. kirchlichen Institutionen, ausweichen konnten, indem sie sich eine eigene, nach ihren persönlichen Bedürfnissen ausgerichtete Devotionskultur schufen, und zwar mit den offiziell angebotenen „Produkten“, den Jesulein.

      Eine göttliche Autorität

      Diese selbst geschaffene Frömmigkeitskultur mit dem Jesusknaben im Zentrum beschränkte sich aber nicht auf die eigene Zelle als privates Refugium. Im Kloster galt das Jesulein als „himmlischer Bräutigam“ der Ordensfrau. Nachweislich legten viele Schwestern ihre Profess keineswegs nur vor der Oberin ab. Auf dem Altar wurde vielmehr neben dem Allerheiligsten – und damit in unübersehbarer Konkurrenz – die persönliche Statue platziert. Auge in Auge versprach die Betreffende Gott als ihrem Lebensgefährten Armut, Gehorsam und Keuschheit. Zeichen göttlicher Präsenz inmitten dieser sakralen Zeremonie war nicht ein Kruzifix oder dergleichen, sondern das kleine Jesuskind. Die gesamte Feier und vor allem der liturgische Auszug hatten zweifellos Anklänge an eine weltliche Hochzeit, denn die Ordensfrau zog wie eine Braut feierlich mit dem Jesulein aus der Kirche. Der Übergang in die Klausur, also in jenen sakralen Raum, den sie nach ihrer Einkleidung bzw. Profess nicht mehr verließ, geschah ebenfalls samt „Trösterlein“, was darauf hindeutet, dass es in Krisenphasen und Lebensübergängen präsent war und die Ordensfrau an die liebende Nähe Jesu erinnern sollte. In ähnlicher Weise hatte Teresa von Ávila (1515–1582) während ihrer Reisen immer eine Statue bei sich, wiegte das Kindlein in der Kutsche, sang ihm Lieder und unterhielt sich mit ihm. Laut einer Mitschwester war Teresa der Meinung, dass für eine Klostergründung vier Dinge notwendig seien: ein Miethaus, ein kleines Glöcklein, der hl. Joseph und das Jesuskind. Außerdem sind zwei Namen ihrer persönlichen Objekte bezeugt. Eines hieß „el Parlero“ („der Gesprächige“), denn es plauderte mit ihr. Das zweite nannte sie „el Lloroncito“ („der Weinende“), weil es beim Abschied Tränen vergossen hatte. In ihren eigenen Werken finden sich lediglich geistliche Erfahrungen mit dem göttlichen Kind, etwa Visionen, und keine Hinweise auf Praktiken mit Statuen. Aber ersichtlich ist, dass die Jesulein-Verehrung in der karmelitischen Spiritualität eine zentrale Rolle einnimmt.8

      Auch die Mystikerin und Gründerin der Brixner franziskanischen Regulierten Tertiarinnen, Maria Hueber (1653–1705), schildert in einem Brief, dass sie unbedingt mit ihrem Beichtvater sprechen wolle. Als dieser sie mit dem Einwand, keine Zeit zu haben, abwies, ging sie in ihre Zelle, kniete sich vor ihrem persönlichen Jesulein hin, bat es unter Tränen um geistlichen Rat und flehte es an, es möge ihr doch sagen, was sie tun solle. Daraufhin erhielt sie interessanterweise keine Handlungsanweisung, sondern sie spürte neue Kraft in ihrem Leib und ihrer Seele und erfuhr die Befreiung von ihren Ängsten. Offensichtlich nahm das Objekt eine Autoritätsrolle ein, nämlich als Bräutigam, Versorger, Ratgeber, Erzieher, Tröster, als göttlicher Freund und teils gleichberechtigter Partner, der auf Gegenliebe und Zuwendung angewiesen war sowie mit geistigen Augen geschaut, sinnlich erlebt, ja gleichsam ertastet werden konnte und wollte.9

      Neben den privaten Statuen gab es außerdem kollektiv

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