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hat etwas mit Ordnung zu tun. Wenn wir die Ordnung wiederherstellen, dann beseitigen wir dasjenige, was uns die Entropie hinterlassen hat. Alles ist immer in Bewegung, und die Folge ist eben Unordnung.«

      »Aber warum ist alles in Bewegung?«, wollte sie wissen.

      »Dazu muss ich etwas weiter ausholen, wenn Sie nicht zu müde sind«, sagte er.

      »Im Jahr 1827 beobachtete der Schotte Robert Brown mithilfe eines Mikroskops, dass sich in Wasser aufgelöste Blütenpollen ständig bewegten, wobei die Bewegung augenscheinlich den Pollen selbst anhaftete. Die naheliegende, auch von Brown zunächst getroffene Annahme, die Bewegung hinge damit zusammen, dass die Pollen noch lebten, zerschlug sich, nachdem der Effekt auch bei abgestorbenen Pollen beobachtet werden konnte. Brown konnte diesen Effekt, der später ihm zu Ehren ›Brownsche Molekularbewegung‹ genannt wurde, letztendlich nicht erklären.

      Der Grund der sich bewegenden Teilchen ist ein physikalischer. Es dauerte weitere 80 Jahre, bis man dem Phänomen auf die Spur kam. Die Bewegung der Pollen ist dadurch zu erklären, dass Wassermoleküle an sie stoßen. Moleküle bewegen sich ständig und zwar abhängig von der Temperatur des betreffenden Stoffes. Steigt die Temperatur, bewegen sich die Teilchen schneller, und umgekehrt. Im Nachhinein kann diese im Jahr 1905 getroffene Annahme allerdings nicht hoch genug bewertet werden, weil die Moleküle zum damaligen Zeitpunkt selbst mit den stärksten Mikroskopen nicht nachweisbar waren.«

      Jetzt kam es ihr wieder in den Sinn. Temperatur war das richtige Stichwort. Natürlich! Der Grund dafür, dass die niedrigste Temperatur, die es überhaupt geben kann, -273 Grad Celsius beträgt, liegt darin, dass die Teilchen stillstehen. Mehr als still stehen können sie nicht. Über die weiteren Konsequenzen dieses tief in ihr schlummernden Wissens hatte sie allerdings nie nachgedacht. Aber was hatte das jetzt wiederum mit der Entropie zu tun? Sie konzentrierte sich auf seine Stimme.

      »Temperatur und Bewegungsenergie der Teilchen hängen untrennbar zusammen. Bei jeder Temperatur über dem Nullpunkt bewegen sich Teilchen mehr oder weniger schnell. Die Entropie sorgt dann dafür, dass die durch die Energie verursachten Veränderungen der Teilchen einer Zeitumkehr im Wege stehen. Das Universum verliert so ständig etwas, das nicht wiederhergestellt werden kann. Die Energie ist aber nicht verloren. Energie kann niemals verschwinden, wie sie auch nicht erzeugt werden kann. Die kosmische Gesamtenergie bleibt immer gleich. Das ist ein thermodynamischer Grundsatz.«

      »Stopp!«

      Das war ihr dann doch zu viel. Wenn man ihr Gegenüber nicht bremste, dozierte er mit einer Intensität, dass man Mühe hatte, mitzukommen. »Jetzt mal ganz langsam. Sie wollen mir etwas von der Zeit erklären und faseln hier von kosmischen und thermodynamischen Grundsätzen, verknüpfen alles auch noch mit der Entropie. Das ist mir jetzt zu viel.«

      Es fiel ihr schwer, diesen Satz zu sagen, nicht dass er dachte, sie wäre begriffsstutzig. »Immerhin hatte ich einen Unfall.«

      Nachsichtig antwortet er: »Ja, ich weiß. Ich hatte deswegen vorhin schon gesagt, dass ich nur weiterrede, wenn Sie nicht zu müde sind.«

      »Ich bin nicht müde! Ich bin nur etwas erschöpft. Das war heute alles etwas viel für mich. Gestern habe ich mich auf meinen Urlaub gefreut. Heute ist mein Auto kaputt, und ich liege hier, diskutiere mit Ihnen. Wer weiß, was morgen ist.«

      Woher kommt die Zeit?

       Dreifach ist der Schritt der Zeit.

       Zögernd kommt die Zukunft herangezogen,

       pfeilschnell ist das Jetzt entflogen,

       ewig still steht die Vergangenheit.

       Friedrich Schiller,

       Dichter, aus »Sprüche des Konfuzius«

      »Sie haben gerade wunderschön die Grundstruktur des Zeitpfeils in Richtung Zukunft10 dargestellt. Besser kann man ihn nicht erklären.« Sie war gerührt ob des Lobes, wobei sie gerade wahrlich nicht die Absicht gehabt hatte, Anerkennung von ihm zu erhaschen. Ihr Interesse erwachte nochmals. »Weil ich von gestern, heute und morgen sprach?«

      »Ja, weil Sie von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gesprochen haben. Schauen Sie: Wir leben im Hier und Jetzt. Unsere momentanen Empfindungen sind diejenigen, die wir für real und für relevant halten. Doch in dem Moment, in dem wir etwas Bestimmtes erleben, ist der Augenblick schon vorbei. Das nächste Ereignis ist das für uns reale. Doch auch dieser Moment ist nicht von Dauer. Wir haben den Eindruck, die Vergangenheit ist erledigt, die Zukunft ist offen, und irgendwie dazwischen liegt die Gegenwart, die aber, kaum denkt man darüber nach, schon wieder Vergangenheit ist.«

      »So habe ich das noch nicht gesehen. Aber wie würden Sie dann die ›Gegenwart‹ definieren?«

      »In der Gegenwart materialisiert sich ein wahrscheinliches Ereignis der Zukunft. Nein, genauer: Das wahrscheinlichste Ereignis. In jedem Moment ereignet sich das wahrscheinlichste Ereignis der Zukunft. In demselben Moment ist es Vergangenheit, für die Ewigkeit in Stein gemeißelt. Nicht mehr änderbar für alle Zeiten.

      Bis zu dem Zeitpunkt, in dem das Ereignis eintritt, gibt es viele wahrscheinliche Szenarien. Dabei nimmt der Grad der Wahrscheinlichkeit ab, je weiter man in die Zukunft schaut. Wendet man von dort den Blick zurück in die nächstgelegene Zukunft, nimmt der Grad der Wahrscheinlichkeit möglicher Ereignisse wieder zu.

      Die wahrscheinlichsten Ereignisse Ihrer Zukunft liegen in den nächsten Sekunden. Von den vielen möglichen Ereignissen Ihrer Zukunft gelingt jedoch nur einem einzigen Ereignis der Sprung in die Realität. Die anderen zerplatzen wie eine Seifenblase.

      Mit der Materialisierung dieses einen Ereignisses in der Realität ist es fester Bestandteil im Sinne einer Kausalbedingung und kann nicht mehr geändert werden. Indem die Gegenwart dann einen weiteren Schritt vorangeht, ist die Gegenwart des vorherigen Schrittes schon Vergangenheit. So gesehen könnte man fast auf die Idee kommen, Gegenwart gibt es eigentlich nicht wirklich, denn kaum passiert etwas, ist es schon Vergangenheit.«

      Sie wurde nachdenklich.

      »Was ist denn dann Gegenwart wirklich

      »Kurz gesagt ist Gegenwart das äußerst schmale Band, in dem die Zukunft auf die Vergangenheit trifft.«

      »Und wie kann man die Zeit definieren?«

      Jetzt sagte er einen Satz, der so mysteriös wie mystisch klang:

      »Die Zeit kommt aus der Zukunft, die nicht existiert, in die Gegenwart, die keine Dauer hat, und geht in die Vergangenheit, die aufgehört hat, zu bestehen.«

      Ihr kam es vor, als schwebte der Satz im Raum, als sei er für die Ewigkeit formuliert. Irgendwie stand auch wirklich gerade die Zeit still.

      Auf wundersame Weise hatte er die Zeit mit der Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit in Beziehung gesetzt. Sie hatte immer gedacht, die Zeit komme aus der Vergangenheit und gehe über die Gegenwart in die Zukunft. Aber der Ansatz leuchtete ein. Wenn wir sagen, wir haben noch Zeit, dann ist das immer zukunftsbezogen. Die Zeit kommt aus der Zukunft, die es noch nicht gibt, in die Gegenwart, die es fast keinen Moment gibt, und geht in die Vergangenheit, die es schon nicht mehr gibt, wiederholte sie versonnen für sich. Das klingt irgendwie wie Science-Fiction.

      Dann riss sie sich von der Kraft dieser monumentalen Aussage los. »Sind das moderne Erkenntnisse der Zeitforschung?«

      »Nein, nein, das sind keine Erkenntnisse des 21. Jahrhunderts. Das ist ein Zitat des Kirchengelehrten und Philosophen Augustinus aus der Zeit um 397/398 nach Christus.«

      Was ist Zeit?

       Es gibt ein großes und doch ganz alltägliches Geheimnis.

       Alle Menschen haben daran teil, jeder kennt es,

       aber die wenigsten denken darüber nach.

       Die meisten Leute nehmen es einfach so hin

       und wundern sich kein

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