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oder Buddha zu durchschauen. Stattdessen entdecken wir, wie wir im grundlegend Guten ruhen, und aus ihm entfaltet sich in seinem eigenen Rhythmus ständig unser Erleben. Wir brauchen keinen Klammergriff aufzubrechen, kein verkrampftes Herz. Wir können offen zu lieben anfangen mit einer Liebe, die weiß, wann etwas festzuhalten und wann loszulassen ist. Weil das so etwas Intim-Unpersönliches ist, können wir eine Persönlichkeit werden – und „ent-werden“.

      Deshalb antwortete Trungpa Rinpoche, als er nach dem Unterschied zwischen Meditation und Psychotherapie gefragt wurde: „Der Unterschied liegt in der Einstellung des Einzelnen zu den Disziplinen Meditation und Psychotherapie. Bei der Psychotherapie im landläufigen Stil hat der Einzelne die Einstellung, dass er wieder gesund werden muss. Er sucht eine Technik, die ihm hilft, seine Beschwerden loszuwerden oder zu überwinden. Die meditative Einstellung akzeptiert auf eine gewisse Weise, dass Sie sind, was Sie sind“ (Seite 224). „So gesehen“, sagt er an einer anderen Stelle, „könnten wir sagen, dass Meditation keine Therapie ist. Wenn es auf dem spirituellen Weg oder bei irgendeiner spirituellen Disziplin irgendwo eine Vorstellung von Therapie gibt, dann wird sie von Bedingungen abhängig. … Die Praxis der Meditation ist die Erfahrung der Totalität. Man kann sie überhaupt nicht einordnen, sondern sie ist absolut universell“ (Seite 232 und 234).

      Sollte also ein authentischer Psychologe Buddhist werden? Natürlich nicht. Wir könnten noch weiter gehen: Ein authentischer Psychologe muss aufhören, Buddhist oder Mensch aus dem Westen zu sein oder irgendetwas, was auf Begriffen, Doktrinen oder Schemata beruht. „Buddhistische Psychologie“ ist also ein seltsamer Begriff. Wir sind im Grund gar keine Psychen, das Ganze ist unlogisch, und der Buddhismus existiert nicht. „Im Grunde gibt es nur offenen Raum, den Urgrund, was wir wirklich sind. Unser grundlegendster Geisteszustand, vor der Erschaffung des Ego, sieht so aus, dass es eine grundlegende Offenheit gibt, grundlegende Freiheit, ein Gefühl der Weite; und diese Offenheit haben wir jetzt und haben sie immer gehabt. … Wir sind dieser Raum, wir sind eins mit ihm“ (Seite 123 und 124)

      Das sind Worte. Deuten sie auf die Wahrheit hin? Das müssen Sie entscheiden, liebe Leserinnen und Leser. Alles, was Sie brauchen, um diese Entscheidung zu treffen, besitzen Sie schon.

      Chögyam Trungpa Rinpoche ist mein Lehrer. Ich bin in der Lage, dieses Vorwort zu schreiben, weil ich denselben Geist habe wie er. Und Sie sind in der Lage, es zu lesen, weil Sie diesen Geist auch haben. Er bildet die Grundlage der geistigen Gesundheit, auf der in jedem Moment diese ganze wunderbare, durchgedrehte, brodelnde Welt entsteht.

      Mein eigener Entwicklungsweg ist in vielerlei Hinsicht den Grundlinien gefolgt, die ich skizziert habe. Meditation und Psychotherapie sind für mich eng miteinander verknüpfte praktische Wege der Befreiung geworden, die sich gegenseitig stützen. Sie gehen mit unbeschreiblicher Präzision auf den Geist ein und befreien seine Aktivität von innen heraus.

      Ein paar persönliche Anekdoten illustrieren das vielleicht ein wenig. Jahrelang wurde ich immer dann, wenn Chaos ausbrach, zu einer Art Polizeihund, der sämtliche Blumenbeete zerwühlte, um den Schuldigen dingfest zu machen. Sowohl auf dem Meditationskissen wie auf der Couch des Therapeuten lernte ich jedoch, mitten in diesem Chaos zu ruhen. „Sie hasst mich, weil …“ wurde einfach wieder zu Schmerz. „Ich hasse sie, weil …“ wurde einfach wieder zu Wut und die einfach wieder zu Schmerz. In diesem Schmerz gab es keine Rechtfertigung, kein Hin- und-her-Überlegen, keine angemessene Reaktion, keine wohlüberlegte Schuldzuweisung, keinen Versuch zu verzeihen, eigentlich nichts irgendwie Bedeutsames. Vor allem gab es kein Heilmittel. Es war einfach Schmerz. Ich entdeckte, dass ich Schmerz ertragen konnte, es tat halt nur ziemlich weh. Und dann tat es nicht mehr ganz so weh.

      Das machte es mir möglich, meine Gefühle wie Kinder zu adoptieren – lebhaft, entzückend, impulsiv, stur, überzeugend und mit unfehlbarer Intuition, was ihre Welt betraf. Aber als ihr liebevoller Vater musste ich entscheiden, wie wir miteinander umgehen sollten.

      Ich habe das auch mit anderen Menschen versucht, wenn sie vor meinem geistigen Auge auftauchten. Mein Vater ist in vielerlei Hinsicht ein schroffer, ehrgeiziger Mensch. Ich entsinne mich, wie ich im Büro meiner Psychotherapeutin saß und mich plötzlich wie ein König fühlte. Ich saß auf einem Felsblock auf dem Gipfel eines Berges, weit unter mir grünes Land bis zum fernen Horizont. Vor mir standen ein Dutzend Leute, darunter mein Papa. „Ich bin so froh, dass du gekommen bist“, sagte ich. Und wortlos machte ich ihn zu meinem Stellvertreter und gab ihm einen Platz direkt rechts neben meinem Thron. Wir hatten die perfekte Rolle für seine immer vorhandene, aber nur in extremen Situationen ausgesprochene wütende Missbilligung gefunden, eine, in der sie gewürdigt werden konnte.

      War das mein Vater oder ich selbst? Wenn ich sage: „Ich liebe dich“, wessen Energie ist das? Wer ist dieses „Selbst“? Mein starkes Gefühl, ich selbst zu sein, dieses Hartnäckig-Individuelle und Isolierte, lockerte sich allmählich. Innen und außen waren schwerer zu unterscheiden. Und das grundlegend Gute fing an, in die Dinge einzusickern. Natürlich erlebten meine Frau und meine Töchter mich nicht immer so. Aber trotzdem war offensichtlich, dass es genug Liebe für alle gab, obwohl ich das gerne vergaß.

      Ich erinnere mich auch an Therapiesitzungen, bei denen nichts passierte – ich schaute einfach meiner Therapeutin in die Augen und sie mir. Und irgendwann ging ich nicht mehr hin, zumindest für eine Weile. Denn obwohl die Muster des Ego von endloser Komplexität sind, gibt es Zeiten, in denen wir auch allein zu Einsicht gelangen. Dann ist unser Seelenleben nicht anders als das Wetter: Bei Regen ziehen wir Hut und Mantel an, oder wir rennen nackt durch den Regen, aber beides kann man nicht richtig persönlich nehmen. Oder richtig ernst. Das setzt gigantische Energien für andere frei. Es zeigt uns auch die gesamte Existenz als ein weites Spielfeld für eine Liebe ohne Hintergedanken.

      Sowohl die Psychologie als auch die Meditation haben eine spezielle Art, mit dem Geist zu arbeiten. Auf gekonnte Weise praktiziert, löst Psychotherapie die raffinierten Verkleidungen auf, mit denen wir unsere Gedanken und Gefühle maskiert haben, und sie stößt dabei auf ein uraltes Bauchgrimmen, das sie als Sprachrohr benutzt hat. Indem diese Muster ans Licht der Sonne kommen, werden sie durchsichtig – wir können sie durchschauen und dadurch mit einer gewissen distanzierten Höflichkeit mit ihnen umgehen.

      Die Meditation führt uns in immer tiefere Schichten des Geistes. Zuerst genügt es vielleicht, einfach zu sehen, dass wir einen Geist haben, dass wir Geist sind. Allmählich jedoch und in blitzartigen Momenten erkennen wir, dass wir nicht deckungsgleich sind mit den Gedanken und Gefühlen, die uns ständig beschäftigen, die uns scheinbar definiert haben. Um sie herum ist Platz; noch besser: wir sind dieser Raum, und Gedanken und Gefühle ereignen sich hier als unsere Gäste. Und eigentlich ist dieser Raum Weisheit an sich und unsere Gedanken und Gefühle sind seine greifbare Intelligenz. Wir können uns in diese vibrierende Leere entspannen. Das ist der ganze Weg: diese Entspannung, dieses Die-Seele-baumeln-Lassen in der grundlegenden geistigen Gesundheit.

      Meine Dankbarkeit an alle meine Lehrer, Eltern, Therapeuten und Freunde, an alle Wesen und Nicht-Wesen.

      Einleitung der Herausgeberin

      Achtsamkeit, Meditation und Psychotherapie – Einführung in die buddhistische Psychologie ist eine Auswahl von Schriften des buddhistischen Meditationsmeisters Chögyam Trungpa Rinpoche. Sie präsentiert Einblicke in die Themen Meditation, Geist und Psychologie, die er in den Siebzigern und Achtzigern in Amerika westlichen Psychologen, Psychotherapeuten und Schülern der buddhistischen Meditation vermittelte. Im Grunde ist es ein Buch darüber, wie jeder von uns, wir alle, mit uns und anderen auf vernünftige und freundliche Weise arbeiten können. Darüber hinaus spricht der Autor im Rahmen der Diskussion über buddhistische Psychologie auch die speziellen Probleme und Bedürfnisse von Menschen unter extremem seelischem Leidensdruck an. Und er greift die Anliegen von Psychotherapeuten und Angehörigen anderer Heilberufe auf, die am seelischen Wohlbefinden ihrer Klienten genauso arbeiten wie an ihrem körperlichen.

      Während der Autor anerkennt, dass viele Menschen professionelle psychologische Hilfe brauchen und dass es wichtig ist, für manche Patienten eine geeignete therapeutische Umgebung oder therapeutische Gruppe zu schaffen, besteht die Grundthese dieses Buches darin, dass alle Menschen in sich die Anlagen haben,

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