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am Fa­mi­li­en­tisch, der auch Carl bei­wohn­te, dass Je­sus ein Mensch und nicht Got­tes Sohn wäre.

      Nie­mand ver­sah sich des Ein­drucks, den die­se Er­öff­nung auf den da­mals wohl drei­zehn­jäh­ri­gen Bru­der Carl mach­te. Er sprang vom Stuhl, er wein­te fast vor Ent­rüs­tung und Wut. Aus sei­nem Mun­de spru­del­ten ei­ni­ge Mi­nu­ten lang die hef­tigs­ten Vor­wür­fe: »Du wirst es bü­ßen! Du wirst es zu bü­ßen ha­ben!« schrie er sei­nen äl­te­ren Bru­der an. Was er sage, sei Blas­phe­mie, sei Got­tes­läs­te­rung, sei ver­bre­che­ri­scher Un­glau­be. Die Mut­ter, der Va­ter wa­ren ver­dutzt. Dem Ver­tre­ter auf­ge­klär­ter Ide­en blieb die Spra­che weg. Schwes­ter Jo­han­na war ver­zückt wie bei al­lem, was Carl in den Au­gen­bli­cken sei­ner idea­lis­ti­schen Auf­schwün­ge äu­ßer­te. Die­ser aber schloss, sich in wei­nen­der Hef­tig­keit über­schla­gend, in­dem er vor Ge­org auf­stampf­te, in ei­ner Wie­der­ho­lung, die nicht sei­ne Über­zeu­gung, son­dern sein hei­ligs­tes Wis­sen ver­riet: »Ich sage dir, Je­sus ist Got­tes Sohn!«

      Carl wur­de all­sei­tig be­sänf­tigt und durch die üb­li­che Un­wahr­haf­tig­keit be­ru­higt, es sei nicht so ge­meint.

      Was mich be­traf, so exis­tier­te die Fra­ge da­mals für mich noch nicht. Ich wuss­te von ihr so­wie auch da­von, dass es ein pro­tes­tan­ti­sches und ein ka­tho­li­sches Glau­bens­be­kennt­nis gab, aber ich nahm alle die­se Tat­sa­chen als das und nichts an­de­res hin. Al­les, was mit Kir­che und Re­li­gi­on zu­sam­men­hing, ließ mich gleich­gül­tig, au­ßer in ei­nem aber­gläu­bi­schen Sin­ne. In die­sem quäl­te mich, wie ich schon be­rich­tet, manch­mal Furcht vor ir­di­schen Stra­fen und Höl­len­furcht. Mei­ne heim­lich sum­mier­ten Sün­den, be­son­ders was Un­wahr­haf­tig­keit be­traf, wa­ren zu un­über­seh­ba­ren Men­gen an­ge­wach­sen. Ich hat­te aber die Ge­wiss­heit durch das Wort mei­ner Schwes­ter Jo­han­na, dass sie alle mit ei­nem Male am Tage der Kon­fir­ma­ti­on mit dem Ge­nuss des Abend­mah­les hin­weg­ge­nom­men wür­den.

      Ich nahm also in der Fra­ge selbst zwi­schen Ge­org und Carl nicht Par­tei. Per­sön­lich da­ge­gen fand ich mich von dem er­wach­se­nen und den­ke­ri­schen We­sen Ge­orgs mehr als von Carls Be­trof­fen­heit und Ent­rüs­tung an­ge­zo­gen. Carls ver­zwei­fel­te Weh­lei­dig­keit konn­te ge­gen die ge­sun­de, an­griffs­lus­ti­ge Fri­sche des Bru­ders Ge­org nicht auf­kom­men. Carl rühr­te mich ir­gend­wie, Ge­org be­wun­der­te ich.

      *

      Es scheint mir, dass nach dem Ab­zug Ge­orgs Jo­han­na mit der Auf­sicht über mich in Schul­din­gen be­traut wor­den ist. Das war eine un­dank­ba­re Auf­ga­be, der sie au­ßer­dem nicht ge­wach­sen war. Nicht nur hat sie hier auf lan­ge hin­aus mei­ne Nei­gung ver­scherzt, son­dern sie hat­te auch al­ler­lei üble Ei­gen­schaf­ten mei­ner Na­tur ken­nen­zu­ler­nen, mit de­nen ich mich zur Wehr setz­te. Mei­ne Mut­ter wag­te sich nicht an mich, weil ich das Nest­häk­chen war, mein Va­ter schi­en sich ver­steckt zu ha­ben oder war von ei­ge­nen wach­sen­den Sor­gen um den Be­stand des Hau­ses in An­spruch ge­nom­men.

      Ich schwan­ke nicht, mir für die­se Zeit alle häss­li­chen Ei­gen­schaf­ten der wer­den­den Fle­gel­jah­re zu­zu­schrei­ben. In dem Be­stre­ben, mich aus der au­to­ri­ta­ti­ven Um­klam­me­rung mei­ner zä­hen Schwes­ter frei zu ma­chen, war mir je­des Mit­tel will­kom­men. Manch­mal muss ich ein Un­hold ge­we­sen sein, was nie­mand, der mich von un­ge­fähr er­blick­te, mei­nem sanf­ten und zar­ten We­sen zu­trau­te. Ich warf Bü­cher und Tin­ten­fass an die Wand, sprang vom Stuhl und lief da­von, gleich nach­dem mei­ne Schwes­ter mich durch ein Ge­misch von Dro­hun­gen und Über­re­dun­gen zur Er­le­di­gung mei­ner Schul­ar­bei­ten wil­lig ge­macht hat­te. »Was willst du mich leh­ren«, schrie ich ihr ins Ge­sicht, »du bist düm­mer als ich!« Mehr als ein­mal be­droh­te ich sie, ging ge­gen sie vor und dräng­te die Leh­re­rin aus dem Zim­mer.

      Es war mein Da­sein, das ich gut fand, mit dem ich so lan­ge zu­frie­den ge­we­sen und das ich im Grun­de bis an mein Le­bens­en­de bei­zu­be­hal­ten wünsch­te, das ich mit dem Mut der Verzweif­lung ver­tei­dig­te. Es war die Wut ge­gen den Zaum, die Kan­da­re, das Kumt, die Zugstri­cke und den Wa­gen, die mich zu ei­nem um sich bei­ßen­den, bäu­men­den, aus­schla­gen­den jun­gen Pfer­de mach­te.

      Es wa­ren mir noch zwei Jah­re be­stimmt, bis sich die völ­li­ge Zäh­mung durch­set­zen konn­te.

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