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poch­te ich an Jo­han­nas Zim­mer. Ich poch­te und tob­te, bis sie öff­ne­te. Aber ich traf sie eben­so un­er­bitt­lich hart, wie der un­er­bitt­lich har­te Ver­käu­fer war.

      Wenn ich von die­ser klei­nen Ge­schich­te ab­se­he, so muss ich ge­ste­hen, ich habe viel­fach nur aus Freu­de am Är­gern mei­ne Schwes­ter ge­quält. Schwer zu sa­gen, welch ein letz­tes Ge­fühl von Un­be­frie­digt­sein zu­grun­de lag. Vi­el­leicht war ir­gend­ein dump­fes Ha­dern mit ei­nem un­ver­stan­de­nen Ge­schick die Ur­sa­che, auf Grund ei­nes rast­lo­sen Un­be­ha­gens, das mich da­mals wohl ge­le­gent­lich über­kom­men hat, ei­ner Emp­fin­dung von Sinn­lo­sig­keit mei­ner Exis­tenz. Ein häss­li­cher Dä­mon, viel är­ger als Puck, hat­te mich in Be­sitz ge­nom­men.

      *

      Was für ein Neu­es woll­te da­mals in mir auf­ste­hen und wühl­te in mir? Habe ich mich viel­leicht im Spie­gel der Schön­heit er­blickt und miss­bil­ligt? Am Ende woll­te sich da­mals das Ende mei­ner un­be­wuss­ten Kind­haf­tig­keit lei­se an­kün­di­gen, aber: »Su­che nicht al­les zu ver­ste­hen, da­mit dir nicht al­les un­ver­ständ­lich blei­be«, sagt ein Phi­lo­soph. Und so las­se ich denn den Um­stand auf sich be­ru­hen, der das Rohe in mir ge­gen das Ve­re­del­te, das Wil­de ge­gen das Ge­setz­te, das Ther­si­tes­haf­te ge­gen das Gute, das Häss­li­che ge­gen das Schö­ne auf­zu­ru­fen schi­en.

      Vi­el­leicht sah mei­ne Schwes­ter in mei­nem Ver­hal­ten mit Be­sorg­nis Zei­chen der Ver­wahr­lo­sung und hat­te sich mit ih­rer Leh­re­rin Mat­hil­de Jasch­ke dar­über aus­ge­spro­chen. Sie nahm mich je­den­falls ei­nes Ta­ges zu die­ser Dame und de­ren Pfle­ge­mut­ter, dem Fräu­lein von Ran­dow, mit.

      Bei­de Per­sön­lich­kei­ten neig­ten sich mit ei­ner großen Zart­heit und Wär­me zu mir. Ich durf­te Tee trin­ken, Ku­chen es­sen und mich in den Räu­men des Hau­ses, ge­nannt Kur­län­di­scher Hof, nach Be­lie­ben um­se­hen. Wohl­füh­len konn­te sich hier ein zü­gel­lo­ses Na­tur­kind zu­nächst frei­lich nicht, aber es über­kam mich ein heim­li­ches Stau­nen, eine stil­le Be­wun­de­rung. Die Zim­mer mit ih­ren an­ti­ken Mö­bel­stücken und ih­ren Par­kett­fuß­bö­den ro­chen nach po­lier­tem Holz und nach Boh­ner­wachs und wa­ren mit Re­se­da und Gold­lack in Va­sen und Scha­len par­fü­miert.

      Fräu­lein von Ran­dow war wohl­ha­bend. Ich habe die hohe, wür­de­vol­le Er­schei­nung mit der wei­ßen Rü­schen­hau­be und dem schlich­ten grau­en Ha­bit deut­lich in Erin­ne­rung. In ih­rem Be­sitz be­fand sich eine alte Vi­tri­ne, die von vier Moh­ren ge­tra­gen wur­de. Ein an­de­rer Schrank mit vie­len klei­nen Schü­ben war mit Oli­ven­holz four­niert und das Äu­ße­re je­des Fa­ches mit so­ge­nann­tem Land­schafts­mar­mor aus­ge­legt. Je­des der bei­den Stücke war eine Sel­ten­heit. Aber auch al­les üb­ri­ge der ge­sam­ten Ein­rich­tung war kost­bar und von er­le­se­nem Ge­schmack. Das Gan­ze, als es spä­ter durch Erb­schaft an Mat­hil­de Jasch­ke, her­nach auf mei­ne Schwes­ter über­ging, blieb jahr­zehn­te­lang eine Fund­gru­be und ist trotz man­cher Ver­käu­fe und Schen­kun­gen bis zum heu­ti­gen Tag noch nicht er­schöpft.

      Die selbst­ver­ständ­li­che Frei­heit und Si­cher­heit, mit der mei­ne Schwes­ter sich im Hau­se der ad­li­gen Dame be­weg­te und wie sie hier gleich­sam als da­zu­ge­hö­rig be­trach­tet wur­de, stei­ger­te mei­nen Re­spekt vor ihr. Und in der Tat hat­te schon da­mals das Ver­hält­nis des weiß­ge­lock­ten Fräu­leins von Ran­dow zu ihr einen müt­ter­li­chen Cha­rak­ter an­ge­nom­men. Ähn­lich stand es mit Fräu­lein Jasch­ke, der Pfle­ge­toch­ter.

      Ein re­so­lu­ter Geist und ein gol­de­nes Herz wa­ren ver­ei­nigt in ihr, Ei­gen­schaf­ten, wo­mit sie sich über­all durch­setz­te.

      »Das größ­te Zart­ge­fühl schul­den wir dem Kna­ben«, sagt Ju­ve­nal. Es war auch der Grund­satz, nach dem ich im Kur­län­di­schen Hof be­han­delt wur­de. Hier er­schloss sich mir ah­nungs­wei­se ein bis da­hin un­be­kann­tes Bil­dungs­ge­biet, wenn es mich vor­erst auch nur sehr ge­le­gent­lich und sehr flüch­tig be­rüh­ren moch­te. Eine ge­wis­se Ver­wandt­schaft be­stand al­ler­dings zwi­schen die­sem Hau­se und Dachrö­dens­hof als den letz­ten Aus­läu­fern ei­ner Kul­tur, die im großen gan­zen ver­sun­ken war.

      *

      In der Um­ge­bung des Fräu­leins von Ran­dow herrsch­te der Geist hei­ter-erns­ter Welt­lich­keit, der kei­ne mo­ra­li­sche Schär­fe zeig­te und es ei­nem ganz an­ders als in der schar­fen At­mo­sphä­re um das buck­lig-from­me Tänt­chen Au­gus­te wohl­wer­den ließ, de­ren spit­ze Bli­cke und spit­ze­re Wor­te fort­wäh­rend Kri­tik üb­ten. Wel­che der bei­den Geis­tess­phä­ren an sich tiefer und be­deut­sa­mer war, ent­schei­de ich nicht.

      Es war der Kum­mer mei­ner Mut­ter, dass mein Va­ter zu sei­ner Toch­ter Jo­han­na, so­lan­ge sie Kind war, kein freund­li­ches Ver­hält­nis ge­win­nen konn­te. Er schi­en sie im­mer zu­rück­zu­set­zen. Es war nicht zu er­grün­den, ob dies nun nach Hann­chens gleich­sam tri­um­pha­ler Rück­kehr aus der Pen­si­on an­ders ge­wor­den war. Im­mer­hin schi­en sich mein Va­ter zu­rück­zu­hal­ten, und wahr­schein­lich hat­te mei­ne Schwes­ter im Kur­län­di­schen Hof mit der im­po­nie­ren­den ad­li­gen Dame und ih­rer re­so­lu­ten und ge­bil­de­ten Pfle­ge­toch­ter einen neu­en und star­ken Rück­halt ge­fun­den.

      Die­ser Rück­halt ver­stärk­te sich.

      Er führ­te als­bald im Dachrö­dens­hof und so­gar bei mei­ner Mut­ter zu Ei­fer­sucht.

      Tan­te Au­gus­te und Fräu­lein Jasch­ke hat­ten ein­an­der nichts zu sa­gen und mie­den sich. Eli­sa­beth stand Fräu­lein Jasch­ke nä­her, da sie im­mer noch Hoff­nun­gen welt­li­cher Art nähr­te, aber das Ver­hält­nis war krie­ge­risch. Nie ist zwi­schen bei­den das Kriegs­beil ver­gra­ben wor­den. Meis­tens war es die See­le Jo­han­nas, um die man auf bei­den Sei­ten stritt, Eli­sa­beth im ze­lo­ti­schen Sinn, Mat­hil­de ih­ren Zög­ling ver­tei­di­gend.

      1 auf der Leh­re des Ari­sto­te­les be­ru­hend <<<

      2 Pie­de­stal = (meist auf­wen­dig ge­stal­te­ter) So­ckel <<<

      3 Groß­grund­be­sit­zer und Jun­ker <<<

      An­ders und tiefer war der Kampf, den mei­ne Mut­ter da­mals, durch Jah­re, um die See­le der Toch­ter kämpf­te, die ih­rer Mei­nung nach ihre kind­li­che Pf­licht ver­gaß und in ein frem­des La­ger über­ging.

      Wie mei­ne Mut­ter fühl­te und nicht fühl­te, leb­te sie in ei­ner Art Aschen­put­te­lexis­tenz. Gram und Kum­mer des­we­gen wa­ren viel­fach auch mir ge­gen­über zum Aus­druck ge­kom­men. Sie setz­te in­stink­tiv bei Jo­han­na ein ähn­li­ches Füh­len vor­aus. Vi­el­leicht schweb­te ihr von die­ser Sei­te eine Ent­las­tung vor, die sie an­der­wärts nicht er­hof­fen konn­te.

      Jo­han­na ging einen an­de­ren Weg. Ob­gleich sie, wie mein Va­ter es nann­te, als Sie­ben­mo­nats­kind nur ein klei­nes Le­ben war, be­stand ein star­ker Wil­le in ihr, den auch ich nicht sel­ten zu spü­ren be­kam. Sie schwieg,

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