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In der Vertikale. Engelbert Guggenberger
Читать онлайн.Название In der Vertikale
Год выпуска 0
isbn 9783990404522
Автор произведения Engelbert Guggenberger
Жанр Религия: прочее
Издательство Автор
Der Crozzon ist der mächtigste Bergriese der Brenta und ein Symbol für die Größe der Schöpfung.
Das Wandern ist auch ein Hineingehen in mein Wesen, in meine Wahrheit, in meinen Kern. Ein innerer Auszug aus allem, was mich gefangen hält, aus Gewohnheiten, die mich fesseln, aus Bindungen an Menschen, die mich unfrei machen, ein Hineingehen in eine innere Freiheit. Und ich spüre, dass ich auf dem Weg immer weiter muss, nicht stehenbleiben kann, ohne mit mir selbst uneins zu werden. Wenn der Mensch sich treu bleiben will, so muss er gehen, muss sich wandeln, um im Tod als der letzten Wandlung vom Leben ganz durchdrungen und verwandelt zu werden. Dann hat er seine Bestimmung erfüllt, dann ist er endlich angekommen.6
Auf diesen seinem Weg verheißt der Glaube dem Menschen eine göttliche Begleitung. Diese spürt er oft aber gerade in schwierigen Zeiten nicht. Margaret Fishback Powers, die bekannte kanadische Kinder- und Jugendbuchautorin, hat für diese eigenartige Erfahrung eine berührende Deutung gefunden: Am Ende seines Lebens blickte ein Mann zurück. Er sah zwei Fußspuren im Sand; seine und die von Gott, seinem göttlichen Partner. An vielen Stellen seines Lebens war nur eine einzige Fußspur zu sehen. Es war dies an den traurigsten und schwersten Augenblicken des Lebens. Dies beunruhigte ihn sehr. Er fragte Gott: Freund, du versprachst mir einst, du würdest den ganzen Weg bei mir sein, wenn ich nur fest entschlossen wäre, dir zu folgen. Wo warst du, als ich traurig war und es mir schlecht ging? Gott antwortete: Mein Freund, als du traurig warst und es dir schlecht ging, da hatte ich dich auf meinen Händen getragen.7
In meinem Leben bin ich schon viele Wege gegangen, leichte und schwere, lange und kurze. Einen Weg aber werde ich nie vergessen. Er sollte der längste meines Lebens werden. Zu dem einschneidenden Ereignis ist es auf folgende Weise gekommen: Mit meinem Kletterfreund Daniel Wernitznig aus Spittal an der Drau träumte ich schon seit langem davon, einmal in der Brenta zu klettern. Wie oft schon setzten wir zum Sprung in den südlichsten Teil der Dolomiten an. Doch dann hielt das Wetter wieder einmal nicht oder die Urlaubstage reichten nicht. Für die Brenta aber braucht man Zeit und gute Witterung. Die Gipfel sind hoch und die Touren lang. Ein Wettereinbruch am Crozzon di Brenta beispielsweise kann zur tödlichen Falle werden. Denn fällt dann auch noch der typische Brenta-Nebel ein und verliert man beim elendslangen Abstieg über die Cima Tosa die Orientierung, findet man auch nicht mehr zur Biwakschachtel zurück, die auf dem Gipfel des Crozzon aufgestellt wurde, um die in Not geratenen Seilschaften zu retten.
Im Sommer 2012 ist es endlich so weit. Einigermaßen stabiles Wetter ist vorausgesagt. So starten wir zum großen Unternehmen. Mehrere Touren stehen am Programm. Aber alles hängt an der Frage, wie lange das Wetter hält. Wir steuern Madonna di Campiglio an, den italienischen Nobelskiort und zentralen Ausgangspunkt für den Einstieg in die Brentagruppe. Beim Rifugio Vallesinella parken wir unser Auto und machen uns zu Fuß zur Brentei-Hütte. Da kann ich heute gleich mehrere Rosenkränze beten, schießt es mir durch den Kopf, als ich das Schild lese: Rifugio Brentei: 2 ore (2 Stunden). Die Zustiege zu den Hütten oder zu den Touren nütze ich gerne für meine tägliche Meditation. So stapfen wir in Gedanken versunken dem hoch gelegenen Schutzhaus zu. Dort werden wir schon erwartet. Ich habe mit dem Hüttenwirt Claudio Detassis bereits vor Tagen telefoniert und für Angelo e Daniele (Engelbert und Daniel) una camera doppia (ein Doppelzimmer) reserviert.
Der nächste Tag sollte eine erste Begegnung mit dem neuen Ambiente bringen. Ganz ernst ist uns aber nicht, als wir in die Via Aste am Crozzon di Brenta einsteigen, dafür sind wir viel zu spät dran. Im mittleren Teil geraten wir dann zudem noch in eine andere Route, die Via Los Angeles, mit der sich Renzo Vettori hier verewigt hat. Wir kennen den Namen dieses überragenden italienischen Felsakrobaten bereits von seiner Route Mescalito, die wir im Frühjahr im bekannten Klettergebiet von Arco am Gardasee geklettert sind. Auch diesmal sollte uns die Begegnung mit einer seiner Touren Glück bringen. Die Los Angeles hält uns so lange auf, dass wir uns heute einmal unisono für den Abbruch der Tour entscheiden. Dies ist auch noch relativ leicht möglich, weil wir rechts aus der Wand flüchten können und bald in weniger geneigtes Gelände gelangen. Über Schneefelder, die jetzt am Nachmittag gut aufgefirnt sind, fahren wir ab und erreichen im Nu unseren Stützpunkt, das Rifugio Brentei.
Durch den erzwungenen Abbruch der Tour etwas gereizt, jedoch dadurch auch besser akklimatisiert, sind wir jetzt in der richtigen psychischen Spannung, die man für Höchstleistungen braucht. Und eine solche sollte uns abverlangt werden. Der Crozzon di Brenta ist eine überaus imposante Erscheinung, entsprechend lang sind die Touren, die auf seinen Gipfel führen. Als überdimensionaler Wächter über das Brentatal stellt er ein wahres Symbol der Größe der Schöpfung dar. Er ist, was sein Name Crozzon bedeutet, ein steiler Felsen, der mächtigste Bergriese der gesamten Gruppe. Wie die in Stein geballte Kraft wächst der Koloss hinter dem Rifugio Brentei empor. Seine Nordostwand wird von zwei auffallenden schwarzen Wasserstreifen durchzogen. Den rechten Streifen entlang führt in idealer Linienführung eine der schönsten Routen der gesamten Dolomiten: die Via delle Guide, die erlesenste Perle des großen Brenta-Meisters Bruno Detassis. Eine Kletterei über 800 Höhenmeter an steilem, wasserzerfressenem, kompaktem Plattenkalk. Und eben diese hatten wir uns ausgesucht.
Der Gipfel des Crozzon ist durch einen langen Grat mit der Cima Tosa verbunden. Von dort zieht ein Eisfeld bis zum Wandfuß in ununterbrochenem Fluss wie eine weiße Zunge herab, tausend Meter lang. Ich habe ein so imposantes und völlig geschlossenes Eisfeld noch nie gesehen. Ob ich mich wohl getrauen würde, es mit Firngleitern zu befahren? Im aufgefirnten Zustand schon, sagt der Kalkulator meines alpinen PCs im Gehirn. Aber vorerst haben wir andere Sorgen. Wir sind im Morgengrauen aufgebrochen und stehen jetzt an einem steilen, pickelharten Schneefeld, das uns den Zugang zum Einstieg der Via delle Guide versperrt. Mit unseren Turnschuhen können wir keine Stufen schlagen. Doch wir haben einen leichten Pickel dabei. Mit ihm stellen wir uns dem ungleichen Kampf und tragen nach einigen Mühen einen knappen Sieg davon.
Jetzt befinden wir uns am Einstieg. Durch die Havarie mit dem Schneefeld etwas aus dem Konzept geraten, steige ich in die falsche Tour ein. Als wir es bemerken, stellt sich die Frage: Abseilen bis zum Einstieg und richtig beginnen oder weiter machen und versuchen, mittels Quergänge nach rechts auf die Originalroute zurückzufinden? Daniel darf entscheiden, er hat die nächste Seillänge zu führen. Sein Blick fällt auf den rostigen Haken, auf den er beim Abseilen sein kostbares Leben hängen müsste, und die Sache ist für ihn klar: Wir machen weiter. Drei Seillängen lang irren wir nun in jungfräulichem Gelände umher, bis wir endlich auf Zeichen einer Route stoßen. Wir kommen zum Schluss, dass es sich dabei um unsere Route, die Via delle Guide des großen Bruno Detassis, handeln muss. Detassis bewirtschaftete damals die Brentei-Hütte und war Bergführer, was auf Italienisch guida heißt. Die Via delle Guide, zu Ehren der Bergführer von ihm so benannt, dokumentiert, über welch hohes Kletterniveau die Anführer dieser Zunft damals schon verfügten, eröffnete Detassis die Tour doch an einem einzigen Tag.
Die „Via delle Guide“, auf der mich Daniel begleitet, sollte der längste Weg meines Lebens werden.
Mit dem Bewusstsein endlich auf der richtigen Route zu sein, können wir die Kletterei genießen. Sie geht uns auch gut von der Hand und wir erreichen um fünf Uhr nachmittags den Gipfel. Es ist Anfang Juli und wir haben noch vier Stunden Zeit bis zum Einbruch der Dunkelheit. Das bedeutet zwar, dass wir angesichts des sechsstündigen Abstiegs in die Nacht kommen. Aber sollten wir deshalb die Biwakschachtel beziehen, wo es außer einigen Müsliriegel, die wir noch haben und ein paar Schluck Wasser nichts gibt, was das Herz des Menschen erfreut, während man unten auf der Brentei-Hütte die besten Pastas aller Zeiten serviert und ein