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einzigartige Mensch, der krank ist, sich freut, denkt und fühlt.

      Die Einzigartigkeit des Menschen hat auch mit seinem Geistsein und seiner Vernunftbegabung zu tun. Die geistige Verfasstheit setzt den Menschen instand, sich mit den verschiedenen Dimensionen seines Seins in seinem Lebensvollzug auseinandersetzen und sie zu einer Einheit zu integrieren. Er kann seine genetischen Veranlagungen nutzen, sich mit seinem Leben identifizieren oder es ablehnen, er kann ein gutes Selbstverhältnis aufbauen und seine elterlichen Prägungen in sein Leben integrieren oder sich dagegen wehren. Der Mensch kann auf Grund seiner Geistverfasstheit auch über sein ganzes Leben und den Tod nachdenken. Der Geist ragt von sich aus über den Tod hinaus und in den Bereich jenseits des Lebens hinein. Er übersteigt die Endlichkeit der Welt. Der Mensch, der seine Existenz und die Welt als endlich erkennt, ist mit seinem Geist schon darüber hinaus. Er ist schon im Raum des Absoluten, sonst könnte er die Grenze nicht als Grenze erkennen, so hat es Hegel formuliert.

      Der Mensch kann nicht nur nach draußen über die Endlichkeit hinausschauen, sondern auch nach innen. Er kann in jeder Re-flexion (reflectere, sich zurückbeugen) und inneren Versammlung in einer schrittweisen Distanzierung von den Dingen langsam zu sich selbst zurückkehren und bei sich sein. Die Tradition nennt das die vollständige Rückkehr zu sich selbst. In dieser Rückkehr zu sich selbst überschreitet der Mensch sich ebenfalls auf einen letzten Grund hin und findet diesen letzten Grund in sich. In ihm findet er seinen inneren Halt und Selbststand und lernt von dort aus, es mit sich selbst auszuhalten. Das Selbststand-Finden und das Mit-sich-Aushalten hat Seneca etwas anders ausgedrückt: Es ist das Zeichen des geordneten Geistes, dass er es mit sich selbst aushält: „Für den ersten Beweis eines geordneten Geistes halte ich das Stehen-Bleiben-Können und Mit-Sich-Verweilen.“6

      Dieses Mit-sich-selbst-Aushalten, Mit-sich-allein-sein-Können und seinen Selbststand in sich finden ist die Bedingung der Möglichkeit für gelingende Beziehungen. Nur wer es mit sich selbst aushält, wird es auf Dauer auch mit anderen aushalten. Ohne dass der Mensch seinen Selbststand erlangt – und diesen erreicht der Mensch nur, wenn er sich selbst überschreitet und im Absoluten seinen tragenden Grund und letzten Halt findet (s. u.) –, steht der Mensch immer in der Gefahr, andere oder anderes zu verabsolutieren oder als fremd abzulehnen. Wenn die innere Souveränität oder der Selbststand fehlen und das sichere In-sich-Stehen nicht entwickelt ist, wird das Fremde immer als etwas Bedrohliches erlebt und abgelehnt werden. Das In-sich-Halt-Finden ist deshalb so wichtig, da es dem Menschen Stand und „Sicherheit“ verleiht, es mit sich selbst auszuhalten, den anderen in seiner Andersartigkeit zu „ertragen“ und – bei Freundschaften und Beziehungen – den anderen nicht durch Verabsolutierung zu überfordern. Der mangelnde Selbststand, die mangelnde innere Sicherheit und die Verabsolutierung des anderen stört zwischenmenschliche Beziehungen und letztlich auch die Freiheit des Menschen. Denn diese bedeutet über die Handlungsfreiheit und Willensfreiheit hinaus auch die Freiheit von bestimmten Abhängigkeiten, die den Menschen hindern, sein inneres Wesen und seine Berufung leben zu können.7

      Der Mensch kann in seinem tiefsten Inneren den letzten Grund finden, der ihm Halt gibt, der ihn trägt und frei werden lässt von anderen Abhängigkeiten. In seinem tiefsten Seelengrund trifft der Mensch auf das Absolute. Dieses Absolute und dieser letzte Grund ist aber auch der Horizont des gesamten Seins und aus jüdisch-christlicher Sicht ein personaler Grund. Er ist im Menschen „da“ und gleichzeitig als Grund der Welt gegenwärtig. Nach einem solchen Grund haben die Menschen Jahrtausende lang gesucht. Aber sie wussten nicht, ob es ihn gibt und wie er „aussieht“. (Der deutsche Begriff „Grund“ taucht zum ersten Mal in der mittelalterlichen Mystik als Seelengrund auf. Der Mensch, der nach Begründungen sucht und immer weiter sucht, kommt schließlich auf einen letzten Grund, und diesen nennen alle Gott, so formuliert es Thomas von Aquin. Diesen letzten Grund findet der Mensch als Grund der Welt und als Seelengrund in sich selbst.)

      Dieser Grund beginnt sich nach der Auffassung des Judentums und Christentums im Laufe der Geschichte schrittweise zu zeigen und zu offenbaren. Der Gott Jahwe tritt aus seinem dunklen Seinsgrund und seinem „Versteck“ hervor und – so die Meinung des Judentums – beginnt zu sprechen. Dieses Sprechen ist nicht nur eine Mitteilung im Sinne der Weitergabe einer Information, sondern Gott fängt an, sich selbst mitzuteilen und sein Leben mit den Menschen zu teilen. Er sagt, wer er ist: „Ich bin der ich bin“, der „Ich-bin-Da“ (Ex 3,14). Das heißt, er ist das Da-sein, das Sein, er ist der, der er ist und auch das Für-den-anderen-da-Sein.

      Dieses Sprechen Gottes, das Wort Gottes, das zunächst noch anfanghaft und distanziert ist (niemand hat Gott je gesehen) beginnt sich später - so die Auffassung des Christentums - dem Menschen genauer zu zeigen und zu offenbaren. Das Sprechen Gottes vermenschlicht sich, das Wort Gottes wird Mensch, kommt dem Menschen entgegen und macht ihm vor, wie Leben geht. „Ich bin das Leben“ (Joh 14,6). Dieses „Wort“ Gottes, das sich im irdischen Leben zeigt, heißt im Griechischen „logos“. Der logos zeigt sich in dieser Welt als Mensch, er zeigt sich in jedem Menschen und erweist sich als Grund der Welt. Daher heißt es im Johannesevangelium: Im Anfang war der logos, im Anfang war das Wort (Joh 1,1 - 2).

      Bewusst heißt es:„Im Anfang“ war das Wort und nicht „Am Anfang“. Es geht nicht um den Anfang der Welt, den man eher mit dem Begriff des Beginns belegen müsste, sondern es geht um das je neu Anfanghafte und Ursprüngliche, in dem der absolute Grund „da“ ist und der in jedem Moment des Lebens aufspringt und etwas Neues ins Sein setzt, das noch nie da war. Es sagt etwas aus über den letzten Grund des Seins, den das Judentum den Schöpfer nennt: Alles wird täglich erneuert, das Leben lebt von dieser ständigen Erneuerung, die von selbst und ganz still vonstatten geht. Selbst Zellen im Organismus werden unmerklich in jeder Sekunde erneuert, abgebaut, umgebaut, neu gebaut.

      Bei Hermann Hesse heißt es: Allem Anfang wohnt ein Zauber inne. Allem Anfang wohnt dieses Neue, Junge, Anfanghafte und Ursprüngliche inne. Jeder Moment des Lebens ist ein solcher Anfang im Kontinuum des schon Gewesenen, Vergangenen und Zukünftigen. Im Jetzt des Augenblicks fallen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen. Das je neu Anfanghafte und Aufspringende des Ursprünglichen ist das Jetzt der ständigen Gegenwart. Ständige Gegenwart ist Ewigkeit. So ist im Vorbeizug der Zeit das Ewige immer schon „da“ und in jedem neuen Moment des Lebens, der noch nie da war, das Bleibende präsent. Das Neue knüpft an schon Bekanntes an, sonst könnte der Mensch sich gar nicht zurecht finden. So ist es neu und doch nicht ganz unbekannt. Jedem Augen-Blick des Lebens wohnt das Anfanghafte es Ur-wortes inne. Man muss es nur entdecken, es ist ganz still.

      Dieses Wort ist nach christlicher Auffassung in der Person Jesu Christi Mensch geworden und wohnt auch in jedem Menschen. Daher drückt Augustinus die Anwesenheit dieses Wortes im Seelengrund des Menschen personal so aus:„Du bist mir innerlicher als ich mir selbst bin“ und „unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir“.

      Wenn dem so ist, dann ist der Mensch derjenige, der auf dieses Ur-Wort ant-worten (gegen-worten) muss. Darin besteht seine tiefste und letzte Ver-ant-wortung.

      Nun kann der Begriff „logos“ nicht nur mit „Wort“, sondern auch mit Logik, Vernunft und Sinn übersetzt werden, und dann meint dies, dass die Welt von einer Art Ur-logik, Ur-vernunft und einem Ur-Sinn durchdrungen ist. Man findet diesen logos in der Ordnung des Kosmos, in der Ordnung und dem Spielraum der lebendigen Natur sowie in der Ordnung und Freiheit der Vernunftnatur des Menschen. Diese Ur-logik und das Ur-Wort durchdringen alles und zeigen sich in allem. Sie müssen nur ent-deckt werden.

      Wenn diese Urlogik in allem ist und der Mensch auf den Logos, der sich in der Welt zeigt, antworten muss, dann meint das konkret, dass er in eine bereits vorfindliche Welt hineingeboren wird und daher „nur“ der „Gegen-Worter“ und nicht der „Worter“ ist. Er ist das zweite Glied in der Kette, er ist Geschöpf und nicht Schöpfer. Er muss sich auf die vorfindliche Welt einlassen, kann deren Gesetze erforschen und darüber nach-denken, was die Welt im Innersten zusammenhält. Vor-denken kann er die Welt nicht, sie ist schon „da“. Auch ein Vordenker ist in diesem Sinne ein Nachdenker.

      Der Mensch muss im konkreten Alltag immer wieder neu auf die ihm begegnenden Ereignisse des Lebens reagieren und kann, wenn es gut geht, sein Leben ein Stück weit selbst mitgestalten. In ständigen

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