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und ihres Gegenteils, sie bringt auch die Unwahrheit ans Licht. Wenn man sich ihr nicht öffnet, verbirgt sie sich. Dann hört der Mensch zwar äußerlich, aber er hört nicht die tiefere Botschaft, er sieht die Phänomene und sieht doch nicht durch sie hindurch, es geht ihm letztlich kein Licht auf. Er hat die Wahl: er kann sich der Wahrheit öffnen oder sich ihr verschließen. Insofern ist er seines Glückes Schmied. Wer die Wahrheit erkennt und das Erkannte auch umsetzt, kommt zum Licht (Joh 3,21).

      Die Wahrheit hat verschiedene Aspekte. Es kann die Wahrheit des eigenen Lebens sein, die Wahrheit im Gegensatz zur Unwahrheit, es kann die Wahrheit der Welt sein, die „Wahrheit“ der Mathematik oder die Wahrheit in allem, in jedem Moment oder die Wahrheit hinter allem. Selbst der Naturwissenschaftler sucht implizit nach dieser Wahrheit. Er will wissen, wie die Dinge sich verhalten, wie sie sind. Er will herausfinden, wie Natur, Pflanze, Tier und Mensch funktionieren. Zwar bringen Naturwissenschaften keine Wahrheit hervor, aber sie versuchen, dieser Wahrheit näher zu kommen: mit Modellen und Hypothesen, die sich bewahrheiten oder als falsch herausstellen, die sich verifizieren oder falsifizieren lassen. Naturwissenschaften suchen implizit nach dem Sein der Dinge, nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält, aber sie können es nicht finden.

      Denn ihre Methode ist nicht dazu geeignet, diese letzten Dinge zu erfassen, das bleibt der Philosophie und Theologie überlassen. Die moderne Naturwissenschaft stellt solche letzten Fragen auch nicht ausdrücklich. Die Philosophie eines Aristoteles hat es noch getan. Die Beschäftigung mit dem Lebendigen heißt bei ihm Physik (von physis die Natur) und die Wissenschaft, die sich mit den Grundfragen des Seins beschäftigt, Metaphysik. Diese versucht, wie es bei Aristoteles heißt, das Seiende als das Seiende zu erfassen, also nach dem Wesen der Dinge zu suchen, nach dem, was die Dinge an sich, in sich und aus sich heraus sind. Sie sucht nach den innersten Zusammenhängen, nach dem, was sich in allem und hinter allem zeigt.

      Die Frage nach dem Wesen der Dinge ist heute weithin verloren gegangen, aber gerade eine moderne Wissenschaft braucht wieder beide Zugänge zur Interpretation der Welt: den naturwissenschaftlichen und den geisteswissenschaftlichen. Beide sind von ihrer Methode her klar zu unterscheiden, sie sollten sich aber komplementär ergänzen. Sonst ist die Struktur der Welt nicht mehr hinreichend zu erfassen und ethische Fragen sind nicht mehr adäquat zu beantworten. Die moderne Ethik im Kontext von Biologie und Medizin enthält schon dieses komplementäre Zueinander von Natur- und Geisteswissenschaften. Zur Beantwortung aktueller medizinethischer und bioethischer Fragen bedarf es des naturwissenschaftlichen Sachverstandes, der Einordnung in ein konkretes Menschenbild (Anthropologie) und der ethischen Urteilsbildung zum richtigen und guten Handeln. Auch die Forschung sollte von ihren Ansätzen her bereits interdisziplinär und komplementär arbeiten. Es gilt, eine transdisziplinäre Forschung zu entwickeln, die von vornherein die verschiedenen Wissenschaften in Forschungsprojekte einbindet.

      Die moderne Naturwissenschaft sucht nach Einzelerkenntnissen und Lebensgesetzen, Philosophie und Theologie hingegen suchen nach dem Ganzen des Lebens und der Frage, warum es überhaupt etwas gibt und nicht vielmehr nichts (Leibniz). Deswegen können sich Naturwissenschaft und Theologie auch nicht widersprechen, weil ihre Fragen und Methoden ganz unterschiedlich sind. Zum Beispiel kann man bei der Frage von Schöpfung oder Evolution sagen, dass Schöpfung sehr wohl evolutiv vonstatten gehen kann. Gott kann etwas ins Sein setzen, das sich dann von selbst weiter entwickelt.

      Die Evolutionstheorie versucht, mit ihrer naturwissenschaftlichen Methode, den Werdeprozess der Welt zu erklären. Sie kann als Theorie verändert, ergänzt oder im Sinne eines Paradigmenwechsels ganz neu geschrieben werden. Sie wird bereits durch neuere Forschungen ergänzt. (Die neuere Forschungsrichtung „EvoDevo“, evolutionary development, versucht Erkenntnisse aus der Embryonalentwicklung auf jene der Evolutionstheorie zu übertragen.)1 Naturwissenschaften können nur Theorien und Hypothesen an die Welt herantragen und zusehen, ob die Phänomen sich mit diesen Theorien hinreichend plausibel erklären lassen. Solange die Sternenkonstellationen noch ausreichend mit der Annahme interpretiert werden konnten, dass die Erde im Mittelpunkt der Welt steht und die Sonne sich um sie herum dreht (daher bis heute die Rede von Sonnenaufgang), wurde nicht weiter darüber nachgedacht.

      Als aber klar wurde, dass durch genauere Meßmethoden die Unerklärbarkeiten zunahmen, ging Kopernikus von einer neuen Annahme aus, dass die Sonne im Mittelpunkt unseres Sonnensystems steht und die Welt sich rotierend um die Sonne dreht. Und siehe da, bestimmte Phänomene und Konstellationen konnten jetzt besser erklärt werden. Das nennt man einen Paradigmenwechsel. Man stellt sich auf einen neuen Standpunkt und findet bessere Erklärungen für bestimmte Phänomene. Solche Paradigmenwechsel geschehen häufiger in naturwissenschaftlichen Theorien. Ein solcher geschah auch beim Übergang von der Newtonschen Mechanik zur Quantenphysik, und er geschieht heute in gewisser Weise im Kontext der Genetik. Diese dachte bis vor kurzer Zeit, dass die Informationen für den Organismus und für Krankheiten in den Genen alleine liegen. Inzwischen wird aber immer klarer, dass Gene aktiviert und inaktiviert werden müssen und dass dafür verschiedene Faktoren in der Umwelt, aber auch im Lebensstil des Menschen, seinem Denken und Fühlen sowie seinen zwischenmenschlichen Beziehungen liegen. Diese Faktoren nennt man epigenetische Faktoren.

      Es zeigt sich also, dass naturwissenschaftliche Theorien sich ändern können, und dass Naturwissenschaften keine absoluten Wahrheiten hervorbringen. Naturwissenschaften stellen – wie erwähnt – Hypothesen auf und sehen zu, ob diese sich bewahrheiten (verifizieren) lassen oder sich als falsch herausstellen (falsifizierbar sind). Die Theologie stellt hingegen keine Theorien auf, ob es Gott gibt oder nicht und versucht dann, eine solche Theorie zu verifizieren oder falsifizieren (das geht gar nicht), sondern sie geht im Judentum und Christentum davon aus, dass Gott der Schöpfer der Welt ist und sich in dieser Welt gezeigt hat, und sie versucht unter anderem darüber nachzudenken, ob eine solche Vorstellung von Schöpfung und Offenbarung möglich ist und sinnvoll gedacht werden kann. Sie macht als Geisteswissenschaft auch keine Experimente, und die Bibel ist kein naturwissenschaftliches Buch.

      So ist die Evolutionstheorie ein naturwissenschaftlicher Zugang zur Interpretation der Welt und die Theologie ein geisteswissenschaftlicher. Beide haben unterschiedliche Methoden und Problemstellungen. Die Evolutionstheorie fragt, wie die Welt sich womöglich entwickelt hat und die Theologie fragt, warum es sie überhaupt gibt. Beide können sich also gar nicht widersprechen, weil ihre Fragen ganz andere sind. Aus theologischer Sicht schmälert es nicht die Größe Gottes, wenn man davon ausgeht, dass er etwas ins Sein setzt, was sich dann selbst weiter entwickelt und transzendiert (Selbsttranszendenz), und was das heliozentrische Weltbild mit der Sonne im Mittelpunkt angeht, ist es sogar plausibler davon auszugehen, dass die Sonne als Licht der Welt im Zentrum steht und nicht die Erde. Naturwissenschaftliche Theorien können das theologische Denken befruchten, das Staunen vor der Größe Gottes befruchten und sogar neue Aspekte eines Gottesbildes aufzeigen.

      Bei ihrer Suche nach der „Wahrheit“ entdeckt die Naturwissenschaft immer wieder Neues, aber die ganze „Wahrheit“ erkennt sie nie. Das Ganze entzieht sich ihrem Zugriff. Das Ganze ist nur vom Ganzen her zu erkennen und nicht aus der empirischen Forschung von den Einzelteilen her. In allen „Einzelerkenntnissen“ zeigt sich aber eine andere Art von Wahrheit, die eigens reflektiert werden kann: Die Naturwissenschaft und die Naturwissenschaftler gehen nämlich implizit davon aus, dass die Welt geordnet ist, sonst könnten sie gar keine Naturwissenschaft betreiben. Nur wegen dieser Ordnung ist es möglich, weltweit Forschungsergebnisse zu vergleichen: Zellen, Gewebe, Organe wachsen bei gleichen Bedingungen in Europa genauso wie in den USA und in China. Das ist ja der Siegeszug der modernen Naturwissenschaften. Sie funktionieren auf der ganzen Welt, unabhängig von kulturellen Kontexten.

      Allerdings bedeutet diese Ordnung nicht, dass alle physiologischen Abläufe bereits genau festgelegt sind. Die Ordnung im Lebendigen ist keine festgelegte Starrheit, sondern höchste Form von Flexibilität, Komplexität, ständiger Wechselwirkung und Dialog. Gerade die Erkenntnisse der modernen Biologie bringen im Kontext der Genetik viel von diesem Wechselwirkungsgeschehen ans Licht. Denn die Gene enthalten nicht die ganze Information für den Organismus. Sie sind nur die Grundinformation und müssen ständig an- und abgeschaltet, aktiviert und inaktiviert werden. Nur in diesem ständigen Wechselwirkungsgeschehen entsteht Information für den Organismus (worauf später genauer eingegangen wird.) Diese Prozesse sind hochkomplex und laufen in jeder Sekunde im Organismus milliardenfach

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