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aus der Esoterik und den Religionen. Seriöse Therapien können helfen, mit der Zerrissenheit fertig zu werden, zumindest kurzfristig. Langfristig wird man sich tiefer verankern müssen. (Mehr dazu im Kapitel über die Stimmigkeit.)

      Die Brüchigkeit des Lebens lässt also Ausschau halten nach Haltgebendem, Bleibendem und Absolutem. In jedem Zusammenbrechen muss doch etwas Bleibendes sein, es bricht ja immer nur Etwas, nie das Ganze zusammen (es sei denn, der Mensch stirbt und die Welt geht unter). Der Mangel deutet darauf hin, dass er auch behoben werden kann, der Durst deutet darauf hin, dass es irgendwo Wasser gibt, die Zerrissenheit auf Einheit, die Ungerechtigkeit auf Gerechtigkeit hin, das Unglück auf Glück, die Lüge auf Wahrheit, die Krankheit auf die Möglichkeit der Gesundheit.

      Dabei ist es ist nicht so, dass es das Unglück geben muss, damit es auch das Glück geben kann, dass es das Dunkel geben muss, damit es das Licht gibt, oder den Teufel und das Böse, damit es Gott und das Gute geben kann. Sondern man muss die Asymmetrie der Welt als Asymmetrie ernst nehmen und die Gerichtetheit der Welt sehen lernen. Hier herrscht ein Gefälle: Die Zerrissenheit ist die Abweichung von der Einheit, das Unglück die Abweichung vom Glück, die Lüge Abweichung von der Wahrheit, die Ungerechtigkeit Abweichung von der Gerechtigkeit. Und nicht umgekehrt!

      Der Maßstab der Bewertung ist immer das Positive. Die Wahrheit ist der Maßstab für die Lüge und nicht umgekehrt. Andersherum ist der Begriff der Lüge ein wertender Begriff und deutet implizit darauf hin, dass Wahrheit sein soll, der Begriff der Krankheit deutet darauf hin, dass eigentlich Gesundheit sein soll, die Zerrissenheit, dass Stimmigkeit und Einheit sein soll. In einem Satz zusammengefasst: Die Wahrheit ist Anzeige ihrer selbst und ihres Gegenteils. Die Welt des Mangels ist die Welt des „Abfalls“ vom Guten, vom Wahren und vom Schönen. Es sind nicht zwei gleichwertige Welten, die des Bösen und des Guten, die sich hier gegenüber stehen. Das Böse ist der Mangel an Gutem, man könnte auch sagen, das Böse ist das pervertierte Gute. Es zieht die Kraft aus dem Guten, oder wie Ignatius von Loyola einmal sagte: Das Böse kommt oft unter dem Anschein des Guten.

      So deutet die Gebrochenheit und Brüchigkeit des Lebens darauf hin, dass es eigentlich nicht so sein sollte, dass es heil und ganz sein sollte. Allein die Frage, wie man zu dieser Ganzheit hinfindet, ist entscheidend. Der Mangel und die Brüchigkeit des Lebens zeigen sich wohl am schmerzlichsten in gescheiterten Beziehungen, im Abschied nehmen müssen, im Tod. Der Mensch sucht ein Leben lang nach bleibenden guten Beziehungen, nach bleibendem Beieinandersein, nach Nicht-Abschied-nehmen-Müssen, nach Nicht-Streit-Haben, sondern Frieden, nach Anerkanntsein, Geliebtwerden und Erkanntwerden. Lieben und Erkennen sind im Hebräischen ein Wort. Der andere soll sein Gegenüber wahrnehmen wie er „wirklich“ ist. Es sollen Begegnungen stattfinden und keine – wie Heidegger es nennt – Vergegnungen.

      Das größte Leid und die schwersten Folgen für das Leben mit all seinen Entscheidungen, die oft weit in die Politik und die Weltgeschichte hineinreichen, ist das Nicht-Angenommensein, das Verlassen-Werden und die quälende Einsamkeit. Es sind zerstörte Beziehungen, zerbrochene Lieben, enttäuschte Erwartungen, das Nicht-Geliebt-Werden. Es entstehen Minderwertigkeitsgefühle des Nicht-gut-genug-Seins, des Nicht-Anerkannt Werdens, des Von-der-Welt-nicht-Wahrgenommenwerdens, des Versagens. Als Reaktion darauf kommt es zu Kompensationen der Minderwertigkeitsgefühle, zu Machtausübung und Unterdrückung des anderen. Die Kompensationsmechanismen können das große Auto sein oder der Reichtum, es kann die Sehnsucht nach Geltung und Macht sein, die Sucht nach Erfolg. Es können die kleinen Dinge des Alltags sein, aber auch die Weltpolitik lebt von diesen Kompensationshandlungen. Mancher Diktator hat aus Gefühlen der Minderwertigkeit heraus ein ganzes Regime aufgebaut bis zur Vernichtung der Welt.

      Alfred Adler hat eine ganze Psychologie dieser Minderwertigkeitsgefühle mit ihren Kompensationsmechanismen entwickelt. Viele psychologische Forschungen befassen sich mit den dahinter liegenden Beziehungsstörungen, frühkindlichen und sogar pränatalen Störungen in der Beziehung zwischen Mutter und Kind. Fast könnte man sagen: das größte Unheil der Menschheitsgeschichte sind misslungene und gestörte Beziehungen, die verletzte oder nicht gewährte Liebe. Eine gestörte Beziehung zum anderen hat oft auch eine gestörte Beziehung zu sich selbst zur Folge oder umgekehrt, das gestörte Verhältnis zu sich selbst führt zu Beziehungsstörungen.

      Hinter all diesen Fehlstellungen steckt die große Sehnsucht des Menschen, geradezu der Schrei nach Wahrgenommen-Werden, Erkanntwerden, Angenommensein, Geliebtwerden, Geborgenheit, nach Heilsein und Ganzsein, nach Lebensentfaltung. Warum? Weil man im Raum des Angenommenseins ausruhen kann und seinen Frieden findet, weil man sich dort nicht mehr verstellen und mit dem Leben lügen muss, weil man seine Wahrheit leben kann und keinen Schein mehr aufbauen muss, der das wahre Sein verdeckt. Das schafft innere Ruhe und Gelassenheit, es gibt Vertrauen und Mut, in das Leben hineinzuleben. Es gibt auch die Kraft zur Lebensentfaltung und Lebensfreude. Das Seinkönnen im eigenen Sein befreit zum Selbstsein.

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