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erkennt der Computer die Geste und schaltet dich auf meinen Lautsprecher; dann können wir miteinander reden – alles klar?“

      Jonte nickte.

      Ron setzte seinen Sohn auf einen Sessel, legte ihm die Gamaschen an und zog ihm die Handschuhe über. Sie bestanden aus einem ungewöhnlichen Material, das ein wenig an einen Taucheranzug erinnerte. Es zog sich im unbenutzten Zustand erstaunlich weit zusammen und ließ sich mühelos wieder dehnen, gerade so, als würde es mit dem Körper mitwachsen.

      An Jontes kleinen Händen schlackerten die Handschuhe ein wenig, aber es würde schon gehen. Mehr Bedenken hatte Ron bei dem Helm. Vorsichtig setzte er ihn dem Kind auf den Kopf. Er saß sehr lose, aber doch besser als gedacht. Solange Jonte sich nicht zu ruckartig bewegte, bestand keine Gefahr.

      Ron drückte eine Taste auf seiner Tastatur und sprach in ein Mikrofon. „Kannst du mich hören?“, fragte er.

      „Ja Papa“, kam es prompt aus dem Lautsprecher.

      „Und was siehst du?“

      „Ich weiß nicht genau, es sieht ein bisschen aus wie ein Vorhang!“

      „Das ist gut. Mach es dir auf deinem Sessel bequem – und jetzt Vorhang auf für X-World!“

      Seine Hände flogen über die Tastatur. Das Bild auf dem Monitor teilte sich – auf der linken Seite erschienen verschiedene Zahlenreihen, während die rechte Hälfte wiedergab, was an den Cyberhelm übertragen wurde.

      Ron seufzte. Früher war diese Bildschirmteilerei nicht nötig gewesen. Da hatte er drei Monitore besessen. Aber die letzten Monate hatten ihre finanziellen Spuren hinterlassen. Doch nun bestand endlich wieder Hoffnung für ihn. Wenn der Deal mit den Koreanern klappte, wäre er aufs Neue im Geschäft.

      Er startete den Trailer. Von einer altmodischen Theatermusik untermalt, schob sich der Vorhang auf und gab den Blick frei auf einen Screenshot von X-World.

      „Willkommen in X-World!“, sagte eine sonore Männerstimme. Ron hatte den Text selbst gesprochen und die Aufnahme so lange elektronisch verfremdet, bis der Klang seinen Vorstellungen entsprochen hatte.

      Es folgte eine kurze Einführung in den Umgang mit dem Cyberequipment, verbunden mit ein paar kleinen Übungen. Ron lächelte, als er seinen Sohn dabei beobachtete, wie er vor sich in die Luft griff, um ein paar virtuelle Äpfel zu pflücken, und wie er mit den Beinen strampelte, als er seine ersten Gehversuche machte. Wenn man die entsprechenden Bilder dazu nicht sah, wirkte es urkomisch.

      Schließlich war die Einführung zu Ende, und Jonte betrat das kleine Paradies, welches sein Vater geschaffen hatte. Fürs Erste ließ Ron den Ton mitlaufen. Er wollte live dabei sein, wenn der erste Mensch seine Welt betrat.

      „Cool“, sagte Jonte verzückt. Er blickte sich um, wobei er brav seinen Kopf gerade hielt, um den Helm nicht ins Rutschen zu bringen. Vorsichtig ging er einige Schritte auf dem herrlichen Sandstrand. Er bückte sich und versuchte, den Sand zu einem Berg zusammenzuschieben.

      „Das geht ja gar nicht!“, sagte er enttäuscht.

      Ron machte sich eine Notiz. Er war stolz darauf gewesen, dass das Wandern über den Strand richtige Spuren hinterließ, aber so weit hatte er noch nicht gedacht.

      Jonte schlenderte weiter und wandte sich dem Wald zu. Plötzlich erstarrte er. Ein etwa gleichaltriger Junge kam auf ihn zugelaufen und blieb vor ihm stehen. Neugierig musterte er Jonte von oben bis unten. „Was machst du auf meiner Insel?“, fragte er schließlich.

      Ron beobachtete seinen Sohn aufmerksam. Lisa hatte sich schon des Öfteren Sorgen um ihn gemacht, weil es ihm schwerfiel, Kontakte zu knüpfen. In Bezug auf andere Kinder war er meist schüchtern und zurückhaltend. Ron konnte das gut verstehen, er hatte sich als Kind mit Gleichaltrigen auch immer schwergetan. Nur dass er seine Schüchternheit meist hinter Aggressionen versteckt hatte, was häufig in Raufereien ausgeartet war. Es gab so einige Freundschaften in seinem Leben, die mit blauen Flecken begonnen hatten. Er war gespannt, wie sein Sohn auf den virtuellen Spielkameraden reagieren würde – im Gegensatz zu seiner Frau hatte Ron ja nur wenig Gelegenheit, Jonte im Alltag zu erleben.

      „Papa?“, fragte Jonte leise. Ron zögerte kurz. Schließlich beschloss er, nicht zu reagieren – der Junge hatte die vereinbarte Geste nicht gemacht, er musste also davon ausgehen, dass sein Vater ihn nicht hören konnte. Dann sah Ron, wie sich der Körper seines Sohnes straffte.

      „Was heißt hier ‚deine Insel‘?“, sagte Jonte selbstbewusst. „Das ist meine Insel! Mein Papa hat sie extra für mich gemacht!“

      „Echt? Du bist der Sohn des Schöpfers?“, gab der Junge beeindruckt zurück.

      „Ja, das kannst du glauben. Und ich heiße Jonte. Jonte Schäfer!“

      „Ich heiße Alf“, sagte der andere. „Wollen wir Freunde sein?“

      „Ich weiß noch nicht“, sagte Jonte vorsichtig. Sein Gegenüber nickte ernsthaft.

      „Komm, ich zeige dir alles!“, rief er fröhlich und sprang davon. Jonte folgte ihm, so schnell ihn seine virtuellen Füße trugen.

      Zufrieden schaltete Ron den Ton aus und konzentrierte sich auf die Logdateien. Es war sehr hilfreich für ihn, das Spiel einmal in Aktion beobachten zu können. Seine To-do-Liste wuchs weiter an, aber im Grunde war er zufrieden – mit sich, mit X-World und mit Jonte. Er fand, sein Sprössling hatte die Begegnung mit dem fremden Kind hervorragend gemeistert.

      Stunden später saßen Vater und Sohn bei ihrem Super-Spezial-Essen: Fischstäbchen mit Backofenpommes und einer mächtigen Portion Ketchup dazu. Dieses Gericht hatte Tradition bei den beiden, und Ron hortete große Vorräte davon in seiner Tiefkühltruhe. So war er immer gut gerüstet für die Besuche, die für ihn meist überraschend kamen, weil Zeitmanagement eindeutig nicht zu seinen Stärken gehörte. Als freischaffender Programmierer lebte er seinen eigenen Rhythmus, er arbeitete, bis er müde war und schlief, wann es gerade passte – so kam es häufig vor, dass er sich in einem anderen Zeitgefüge befand als die Menschen um ihn herum. Besonders wenn er an einem neuen Projekt arbeitete.

      „Du Papa, das Spiel ist wirklich klasse“, sagte Jonte mit vollem Mund. „Und Alf ist total nett.“

      Kein Wunder, dass er dir gefällt, dachte Ron, ich habe ihn schließlich an dein Psychoprofil angepasst. Er könnte dein Zwillingsbruder sein.

      Laut sagte er: „Das freut mich wirklich, Jonte. Schließlich habe ich diese Welt extra für dich gemacht!“ Das stimmte nicht ganz und war doch die Wahrheit.

      „Dann darf ich mir doch bestimmt noch was wünschen, oder?“

      „Klar“, sagte Ron.

      „Machst du mir einen Berg mit einer richtigen Höhle drin? Das wäre toll!“

      „Okay …“, sagte Ron nachdenklich. Das dürfte eigentlich kein Problem sein. Vor Urzeiten hatte er mal ein Adventure programmiert, das zum größten Teil in einer Höhlenwelt spielte. Er könnte die alten Daten etwas modifizieren und …

      Eher zufällig blickte er auf die Uhr. Es war weit nach Mitternacht.

      „Au weia, es ist schon spät, du musst ins Bett!“, sagte er. Jonte verzog sein Gesicht.

      „Ich will aber nochmal zu Alf“, murrte er.

      „Nein, heute nicht mehr“, sagte Ron entschieden. „Jetzt ist Feierabend. Und morgen bekommst du deinen Berg.“

      „Na gut“, gähnte Jonte, „aber vergiss die Höhle nicht!“

      „Warte nur ab“, schmunzelte Ron, „jetzt wird erstmal geschlafen!“

      Er brachte den Jungen ins Bett und machte sich gleich an die Umsetzung seiner Ideen. Er freute sich, seinem Sohn diese Wünsche erfüllen zu können. Ihm war schmerzlich bewusst, dass er seiner Frau und seinem Kind viel schuldig geblieben war. Immer wieder hatte die Familie hinter seiner Arbeit zurückstehen müssen. Es hatte kaum ein Wochenende gegeben, an dem er nicht noch dieses oder jenes erledigen musste. Ständig

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