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Briefe über den Yoga. Sri Aurobindo
Читать онлайн.Название Briefe über den Yoga
Год выпуска 0
isbn 9783963870583
Автор произведения Sri Aurobindo
Жанр Эзотерика
Издательство Автор
Argument Nummer vier: Die Ausrede die Intuition sei nur ein Deckmantel für die Unfähigkeit, etwas mit Hilfe des Verstandes – des Joad- und Radhakrishna-Verstandes – zu erhärten und statt dessen Zuflucht in der Intuition zu suchen, da der Verstand versagt. Kann man das Problem auf eine so leichte und einschneidende Weise lösen? Tatsache ist, dass sich der Mystiker auf ein inneres Wissen, eine innere Erfahrung verlässt; doch wenn er philosophiert, muss er dem Verstand zu erklären versuchen – wenn auch notwendigerweise nicht mit Hilfe des Verstandes allein –, was er als die Wahrheit erkannt hat. Er kann nichts anderes sagen als: „Ich erkläre eine Wahrheit, die sich jenseits äußerer Erscheinungen und jenseits des Verstandes, der auf die Erscheinungswelt angewiesen ist, befindet; diese [Wahrheit] beruht auf einer Art innerer Erfahrung und auf dem intuitiven Wissen, das aus dieser Erfahrung hervorgeht, und kann mit Hilfe von Symbolen, die der Welt der äußeren Erscheinungen angehören, nicht hinreichend vermittelt werden; dennoch muss ich, so gut ich kann, diese verwenden, damit sie mir zu einer Darlegung verhelfen, die intellektuell annehmbar ist“. Es ist daher keine Bosheit oder trügerische List, Metaphern und Symbole zu gebrauchen mit einem vorsichtigen „gleichsam wie“, so wie zum Beispiel das des Brennpunktes, das bestimmt nicht als Argument, sondern als einprägsames Gleichnis gemeint war. Ich möchte hinzufügen, dass der Schreiber selbst häufig seine Zuflucht zur Metapher nimmt, angefangen mit seinem „quak, quak“, und Joad könnte durchaus erwidern, dass er dies tue, um die Gegenpartei verächtlich zu machen und die Notwendigkeit einer vernünftigen philosophischen Erwiderung auf die Philosophie, die er nicht mag und verabscheut, zu umgehen. Eine Intensität des Glaubens ist kein Maß der Wahrheit, doch ebensowenig ist die Intensität des Unglaubens das rechte Maß.
Was die wirkliche Natur der Intuition und ihre Beziehung zum intellektuellen Mental anbelangt, so ist dies eine ganz andere und sehr weite und komplizierte Frage, mit der ich mich hier nicht befassen kann. Ich habe mich darauf beschränkt darzulegen, dass dieser Artikel eine ziemlich unzulängliche und oberflächliche Kritik enthält. Man kann sich gegen spirituelle Erfahrung, gegen spirituelle Philosophie und ihre Einstellung wenden, doch um eine ernsthafte Antwort zu erhalten, muss dies besser verfochten werden und den wirklichen Kern des Problems berühren. So wie es eine Kategorie von Tatsachen gibt, zu denen unsere Sinne die bestverfügbaren, doch sehr unvollkommenen Führer sind, und so wie es eine Kategorie von Wahrheiten gibt, die wir mit Hilfe des hellen, doch noch unvollständigen Lichtes unserer Vernunft suchen, gibt es gemäß dem Mystiker eine Kategorie von noch feineren Wahrheiten, die sowohl die Reichweite der Sinne als auch die des Verstandes überschreiten, jedoch durch ein inneres, direktes Wissen und eine direkte Erfahrung gesichert werden können. Diese Wahrheiten sind übersinnlich, doch nichtsdestoweniger wirklich: sie haben ungeheure Auswirkungen auf das Bewusstsein, sie verändern seine Substanz und Bewegung und rufen vor allem tiefen Frieden und bleibende Freude hervor, ein großes Licht der inneren Schau und Erkenntnis, eine Möglichkeit, die niedere Tier-Natur zu überwinden, sowie Ausblicke auf eine spirituelle Selbstentwicklung, die ohne diese [Wahrheiten] nicht bestünde. Eine neue Anschauung der Dinge entsteht, die, falls sie in ihrer vollen Konsequenz verfolgt wird, eine große Befreiung bringt, innere Harmonie und Einung – und außerdem viele andere Möglichkeiten. Es ist wahr, diese Dinge sind von einer geringen Minorität der Menschheit erfahren worden, und dennoch war es eine große Anzahl unabhängiger Menschen in allen Zeiten, Ländern und unter allen Voraussetzungen, die sie bezeugen; unter ihnen befinden sich einige der größten Geister der Vergangenheit, einige der bedeutendsten Gestalten der Welt. Müssen nun diese Möglichkeiten sofort als Phantastereien verdammt werden, weil sie nicht nur über den Durchschnittsmenschen der Straße hinausreichen, sondern auch für viele kultivierte Intellekte nicht leicht erfassbar sind, oder weil ihre Methode schwieriger ist als die des gewöhnlichen Verstandes oder der Vernunft? Und wenn ihnen irgendeine Wahrheit innewohnt, ist es dann nicht wert, diese als etwas zu verfolgen, das das höchste Stadium der Selbst-Entdeckung und Welt-Entdeckung durch die menschliche Seele enthüllt? Im besten Falle ist es so – schlimmstenfalls muss es als Möglichkeit betrachtet werden, so wie alle Dinge, die der Mensch erreichte, in ihren frühen Stadien nur Möglichkeiten waren; doch es ist in jedem Fall ein großes und vielleicht ein höchst fruchtbares Abenteuer.
* * *
II. Abschnitt
Ich glaube nicht, dass man jemanden überzeugen kann, der genau das Gegenteil des spirituellen Standpunkts vertritt, der die Dinge mit den Augen eines viktorianischen Agnostikers betrachtet. Sein Zweifel bezüglich des Wertes der Yogaerfahrung – außer einem subjektiven und rein individuellen Wert – beruht darauf, dass diese nicht auf wissenschaftliche Wahrheit abziele und nicht in Anspruch nehmen könne, die höchste Wahrheit zu erreichen, da die Erfahrungen von der Individualität des Erfahrenden gefärbt seien. Man könnte natürlich fragen, ob die Wissenschaft selbst bei irgendeiner höchsten Wahrheit angelangt sei; im Gegenteil, es scheint vielmehr, als ob die höchste Wahrheit selbst auf der physischen Ebene sich in dem Maße zurückzieht, in dem die Wissenschaft fortschreitet. Die Wissenschaft geht von der Annahme aus, die höchste Wahrheit habe physisch und objektiv zu sein und das objektive Höchste (oder sogar noch etwas weniger als das) würde alle subjektiven Phänomene erklären. Der Yoga geht vom gegenteiligen Standpunkt aus, nämlich dass die höchste Wahrheit spirituell und subjektiv ist und wir die objektiven Erscheinungen in diesem höchsten