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der ebenfalls bald abreiste, und Stu, der noch eine Weile bei Astrid blieb, mit der er inzwischen fest zusammen war.

      Paul kehrte kurz vor Weihnachten nach Liverpool zurück und trat mit demselben Lächeln wie früher durch die Tür der Forthlin Road 20, aber mit wesentlich schmalerer Statur. „Vor mir stand ein ausgemergeltes Skelett, das mal mein Bruder gewesen war“78, schrieb Mike. Paul zeigte ihm seine neue Uhr, die Stiefel und den elektrischen Rasierapparat, schenkte seinem Bruder einen „echt angesagten“ blauen Mantel und behauptete, die ganze Fahrt sei ein Riesenerfolg gewesen. „Aber nichts konnte von der Tatsache ablenken, dass seine Knöchel, als er sich hinsetzte, über dem Schaft der spitz zulaufenden, schwarzen Schuhe so dünn und weiß waren wie Dads Pfeifenreiniger“, stellte Mike fest.

      Paul holte ein oder zwei Tage lang ein wenig Schlaf nach und musste sich dann seinem strengen Vater stellen, der sich laut fragte, wann sein einst so vielversprechender Ältester denn nun wohl damit anfangen wollte, entweder wieder zur Schule zu gehen oder die Ärmel hochzukrempeln und zu arbeiten. Paul fügte sich oder tat jedenfalls so, und er suchte sich die niedrigste Arbeit, die er überhaupt finden konnte – ein paar Tage fuhr er einen Lieferwagen, dann nahm er eine Stelle in der Verwaltung der Elektrofabrik Massey & Coggins an. Allerdings bekamen seine Chefs nach ein paar Tagen mit, dass er früher aufs Liverpool Institute gegangen war, und boten ihm einen Job mit Aufstiegsmöglichkeiten an, wobei er zunächst einmal elektrische Spulen aufwickeln musste. Eine Zeitlang gefiel Paul das Arbeitsleben mit seinem geregelten Rhythmus sogar. Morgens aufstehen, rein in den Blaumann und zur Fabrik, wie ein echter Kerl eben! Letzten Endes war das nur eine weitere Spielart des Lebens, das sein Vater so lange geführt hatte, der wiederum selbst in die Fußstapfen seines Vaters getreten war. Für Paul erschien es sicher ganz normal, seinen Platz in der traditionsreichen Reihe der Arbeiter-McCartneys einzunehmen.

      Aber die Tage vergingen, und nach vielleicht einer Woche erschienen John und George am Werkstor. Paul begrüßte sie etwas angespannt, da überhaupt nicht klar war, wie sie eigentlich miteinander verblieben waren und ob es überhaupt noch eine gemeinsame Zukunft gab. John kam wie immer gleich auf den Punkt: Sie hatten ein paar Gigs im Casbah vereinbart, ein paar weitere lagen in der Luft, und was hielte Paul davon, den Kram hier hinzuschmeißen und wieder Rock ’n’ Roll zu spielen? Paul schüttelte den Kopf. Er hatte jetzt einen festen Job und verdiente über sieben Pfund die Woche. Außerdem hatte man ihm in Aussicht gestellt, ins Management aufzusteigen. „Das ist ziemlich gut. Mehr kann ich nicht erwarten“79, erklärte er.

      Entweder machte er sich selbst etwas vor, vielleicht wollte er sich auch nur ein wenig rar machen, um zu sehen, ob seine Freunde darum betteln würden, dass er zurückkam. Oder zumindest nett fragen. Vielleicht taten sie genau das. Oder vielleicht tippte John Paul mit dem Finger auf die Brust und sagte ihm mal wieder, dass er jetzt erwachsen sei und seinem Vater erklären sollte, er könnte ihn mal, um dann endlich sein eigenes Leben so zu leben, wie er wollte. Jedenfalls sah Paul sich um, betrachtete die Männer in ihren Overalls, die geschäftig über Maschinen gebeugt waren, Paletten schoben oder Spulen aufdrehten, und kam zu einer schnellen Entscheidung. „Ich sprang über die Fabrikmauer“, erinnerte er sich, „und wurde bei Massey & Coggins nie wieder gesehen.“

      Im Casbah wussten die jungen Zuschauer nicht, was sie erwartete. Die Quarrymen hatten zuletzt im Sommer 1959 dort gespielt. Das war nun sechzehn Monate her. Auf den Plakaten – aufgehängt von Petes Freund Neil Aspinall, der damals eine Ausbildung zum Buchhalter machte und im Haus der Bests als Untermieter wohnte – war eine Gruppe namens The Beatles angekündigt, die angeblich „direkt aus Hamburg“ kam. Eine deutsche Gruppe also offenbar. Dann kam die Band auf die Bühne, die Gitarren im Anschlag, und ein erstes Wiedererkennen – hey, das waren doch die Quarrymen! – verwandelte sich schnell in Überraschung. Die trugen ja schwarze Lederklamotten! Dann wandte sich Paul zu den anderen, zählte für den ersten Song vor und – bumm!

      Chas Newby, ein Freund von Pete, der den noch in Deutschland weilenden Stu am Bass vertrat, kannte die Songs und konnte ohne weiteres mitspielen. Aber selbst von seinem privilegierten Platz aus konnte er kaum glauben, welcher Sound sich da entfaltete. „Wir wussten alle, dass George richtig gut Gitarre spielte, Paul wie Little Richard singen konnte und John ein Spezialist für die härteren Sachen war“80, berichtet er. „Aber sie waren jetzt so konzentriert, so energiegeladen … sie waren einfach besser als alle anderen. Bei weitem.“

      Ein ähnlich heißes Programm lieferten sie auch eine Woche später im Grosvenor Ballroom ab und schleppten dann, drei Tage danach, ihre Lautsprecher in die Litherland Town Hall, wo sie zusammen mit den Deltones und den Searchers auf der Bühne standen. Das Publikum bestand hauptsächlich aus Teenagern, die in der toten Zeit zwischen Weihnachten und Silvester einmal richtig Dampf ablassen wollten. Die Deltones legten mit einem sehr ordentlichen Set los, und nach einer kurzen Pause kam der Moderator des Abends, Bob Wooler, ans Mikrofon, um die nächste Gruppe anzukündigen. Die Beatles, Newby immer noch am Bass, standen hinter dem Vorhang, die Instrumente in Händen. Paul konnte das Murmeln der Zuschauer auf der anderen Seite hören. Wooler baute bei seiner Ansage richtig Spannung auf. Ladies and Gentlemen … Paul umklammerte den Hals seiner Gitarre mit seiner rechten Hand und machte einen Schritt aufs Mikrofon zu. Direkt aus Hamburg … Die linke Hand bewegte er zu den Saiten, das Plektrum gezückt. Die Band, auf die ihr alle gewartet habt …

      „Den Rest brachte er gar nicht mehr heraus“, erinnert sich Newby. „Paul legte mit ‚Long Tall Sally‘ los, und das löste eine echte Sensation aus.“ Die Jugendlichen hatten sich zuvor über die ganze Halle verteilt und sich miteinander unterhalten, in kleinen Grüppchen beieinandergestanden, Zigaretten geraucht und Cola getrunken, wie junge Leute das eben tun. Aber Pauls durchdringender, heller Gesang ließ die Fensterscheiben erzittern, und als George das erste Gitarrensolo in Angriff nahm, sah Newby, dass eine wahre Flut aus jungen Leuten in seine Richtung unterwegs war. „Die Leute drängten sich um die Bühne, um diese Rocker genauer in Augenschein zu nehmen.“

      Der Rest des Abends verging wie im Nebel – ein wilder Tumult aus Rock ’n’ Roll, ekstatischen Schreien aus dem Publikum und wildem Springen und Tanzen. Die Beatles standen in Flammen – John schrie seine Chuck-Berry-Songs heraus, George zerfetzte beinahe die Saiten, Pete spielte einen donnernden Beat. Aber Paul war völlig entfesselt. Er drehte sich wie ein Derwisch und ließ den Gitarrenhals vor- und zurückzucken. Ein paar Mädchen am Bühnenrand kreischten ihm etwas entgegen, die Augen groß wie Untertassen, die Wangen scharlachrot. Newby war begeistert („Also, es war ein toller Auftritt. Unglaublich“81), aber er musste sich alle Mühe geben, mit den anderen Schritt zu halten. Als alles vorüber war und sie wieder in ihrer Garderobe saßen – der Promoter war bereits bestrebt, die Beatles für so viele Shows zu buchen, wie sie ihm einräumen wollten –, da merkte Newby, dass er kaum noch stehen konnte. „Meine Füße taten höllisch weh, so hart hatte ich auf die Bühnenbretter gestampft“, sagt er. „Das war mir noch nie passiert.“

      Es sollte ihm auch nicht wieder passieren. Eine Woche später war Newby wieder an der Manchester University, wo er Chemie studierte. Die Beatles hingegen gingen in eine ganz andere Richtung.

      Kapitel 5

      Etwas anderes kam gar nicht infrage. Die Gitarre, mit der Paul sich so eng verbunden hatte, als er vierzehn war, die Rockmusik, die im gleichen Rhythmus pulsierte wie das Herz in seiner Brust, das war nun der Mittelpunkt seiner ganzen Existenz. Daraus war das enge Band zu seinen besten Freunden geschmiedet, das war der Magnet, der die Aufmerksamkeit anderer auf ihn zog, nach der er sich so sehnte, und das kraftvollste Instrument zum Ausdruck all seiner Gefühle – Verlassenheit, Trauer, Liebe, Angst –, die er so schwer in Worte fassen konnte. Nichts konnte wichtiger sein, nicht einmal nur annähernd. Eine feste Arbeitsstelle war ebenso wenig eine echte Option wie das Lehrerkolleg.

      Und wenn auch nur, weil für etwas anderes auch gar keine Zeit blieb. In den ersten drei Monaten des Jahres 1961 gaben die Beatles beinahe jeden Tag in Liverpool und Umgebung ein Konzert. Mona Best fungierte spontan als ihre Konzert-Agentin, und oft stand die Gruppe vor der Aufgabe, an einem Tag gleich mehrere Auftritte zu bewältigen. Am 28. Februar begann ihr Arbeitstag beispielsweise mit einer Mittags-Session im Cavern Club in der Matthew Street, also mitten im Stadtzentrum. Dann packten sie ihre Sachen für einen Auftritt am frühen Abend im

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