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und Ohren fallen. Nachdem sie sich so lange Jahre das Haar zurückgekämmt hatten, trauten sich die britischen Musiker erst nicht so recht, sich von ihrem harten Image zu verabschieden. Aber kurz bevor er aus der Band ausstieg, hatte Stu bereits mit einem neuen Stil experimentiert, und je länger sie sich Vollmer nun ansahen – seine kubanischen Stiefel, die kragenlose Pierre Cardin-Jacke und die lockeren Ponyfransen –, desto mehr gefiel ihnen sein Avantgarde-Schick. Sie wuschen sich die Haare und ließen sich von Vollmer einen leicht veränderten Haarschnitt verpassen, um ein paar Tage später mit einem Beatles-Look nach Liverpool zurückzukehren, der sich noch mehr vom Aussehen anderer Bands unterschied. George, der ewige kleine Bruder, machte es ihnen binnen weniger Tage nach. Pete bevorzugte es, die Haare weiterhin zurückgekämmt und zur Tolle aufgetürmt zu tragen, eine individuelle Regung, die sich für ihn nicht auszahlen sollte.

      John und Paul waren außerdem recht geschickt darin, die Medien für den Aufbau des eigenen Images einzuspannen. Die verlässlichste Waffe bei dieser Offensive war Mersey Beat, jene Zeitschrift, die Bill Harry jüngst ins Leben gerufen hatte. Harry hatte sich schon während ihrer gemeinsamen Zeit auf der Kunstakademie mit John angefreundet. Gern bereit, seinen Kumpels bei der Selbstinszenierung zu helfen und nebenbei die Seiten seiner Zeitschrift zu füllen, überließ Harry einen beträchtlichen Teil der Titelseite der ersten Ausgabe einem Text, den John „Ein kurzer Ausflug zu den zweifelhaften Ursprüngen der Beatles“ genannt hatte. Es handelte sich um eine absurde Autobiografie, in der unter anderem die Geschichte zu lesen war, dass ein Mann, der auf einer brennenden Torte an ihnen vorüberflog, den Namen Beatles erfunden hatte. In späteren Ausgaben fanden sich regelmäßig weitere Texte aus Johns Feder (der dafür das Pseudonym Beatcomber benutzte), und auch von Paul bereitgestellte Bandfotos (von denen viele von Astrid stammten) sowie handgeschriebene Presseveröffentlichungen, in denen die jüngsten Engagements und Leistungen der Gruppe beschrieben wurden. Wegen dieser Bilder und auch aufgrund einer hartnäckigen Gefolgschaft von Fans, die auf der Suche nach der in Hamburg mit Tony Sheridan eingespielten Single „My Bonnie“ waren, wurde ein Liverpooler Plattenverkäufer auf die Beatles aufmerksam, der Brian Epstein hieß.

      Die Epsteins betrieben die NEMS-Musikgeschäfte in Liverpool; der 27-jährige Sprössling galt als sehr kultiviert und äußerst strukturiert. Rock ’n’ Roll interessierte ihn nur insoweit, als er in seinem Geschäft über die Platten Bescheid wissen musste, die er verkaufte. Nach Feierabend hörte Brian lieber die Shownummern und Popstandards seiner Jugend. Als Homosexueller in einer aggressiv schwulenfeindlichen Gesellschaft verbarg Brian seine Neigung und war ständig hin- und hergerissen zwischen Verlangen, Angst und Selbsthass. Er war eine empfindsame, schillernde Persönlichkeit mit einem höchst komplexen Innenleben. Als Ästhet, der sich unwiderstehlich zu ungehobelten Männern hingezogen fühlte, war Brian sicherlich schon vorher über die Bilder der ledergekleideten Beatles gestolpert, die im Mersey Beat zu sehen waren, zumal er für das Blatt regelmäßig eine Kolumne schrieb. Vielleicht hatte Brian die Musiker auch wiedererkannt, denn sie verbrachten nach ihren Auftritten im Cavern oft Stunden in seinem Geschäft, blätterten durch die Importschallplatten und hörten sie sich kostenlos in den Kabinen hinten im Laden an. Brian gab sich alle Mühe, die deutsche Single der Band aufzutreiben, was schließlich etwas einfacher wurde, als er herausbekam, dass die Plattenfirma die Gruppe auf der Hülle als Beat Brothers führte, um zu vermeiden, dass man den englischen Namen Beatles mit dem ähnlich klingenden, norddeutschen Ausdruck Piedel (für Penis) in Verbindung brachte. Offenbar angezogen von dem Hauch von Gefahr, der die Band umwehte, nahm der gelangweilte junge Geschäftsleiter seinen ganzen Mut zusammen, marschierte an den verfaulenden Früchten auf der Matthew Street vorbei und besuchte eine der Mittagsvorstellungen der Band im Cavern.

      Was Brian dort sah, warf ihn beinahe um. Es war nicht nur die Hitze und der Mangel an frischer Luft, der ihm das Blut in die Wangen trieb, als er da ganz allein an der Softdrinks-Bar hinten im Saal stand. Brian hatte eine Weile an der Royal Academy Of Dramatic Arts Schauspiel studiert und dabei sein Gespür für einen guten Auftritt zusätzlich geschärft. Die Leidenschaft in den Stimmen der Beatles, die Intensität ihres Spiels überwältigte ihn ebenso wie das Aussehen der Band. All das, kombiniert mit ihrem Witz und ihrer Intelligenz, die schließlich im Gespräch mit den vier Jungs zutage trat, machte die Sache klar. Er musste diese Band zu einem Teil seines Lebens machen.

      „Er kam zu mir und sagte mir, dass er sie managen wollte“94, berichtet Peter Brown, ein enger Freund, der für Brian eine der NEMS-Filialen führte. Brown kannte Paul und John bereits, weil sie häufig in der Schallplattenabteilung seines Geschäfts herumlungerten, und er hatte dabei nicht gerade den Eindruck bekommen, dass sie etwas Besonderes waren. „John war ein interessanter Typ“, erinnert er sich achselzuckend. „Und Paul war so ein ganz Netter. Aber sonst?“ Als er erfuhr, dass sein Freund und Boss mit dem Quartett Geschäfte machen wollte, war er ziemlich erstaunt. „Ich dachte, du bist ja total verrückt.“

      Brians Freunde und Kollegen dachten überwiegend dasselbe. „Nun ja, ich hatte schon einige von Brians Marotten miterlebt“95, meint Rex Makin, ein bekannter Liverpooler Anwalt, der die Familie Epstein öfter bei ihren geschäftlichen Unternehmungen beriet. „Die waren meist eher kurzlebig. Ich ging davon aus, dass es wieder so eine Spinnerei von ihm war.“ Aber Brian blieb hartnäckig, besuchte weitere Konzerte im Cavern und drängte sich schließlich durch die Menge in die enge Garderobe, um mit der Band zu sprechen. Die Musiker waren zunächst recht skeptisch, wie meist gegenüber Außenstehenden. Aber sie waren von Brian auch beeindruckt, der ihnen gegenüber jene Upper-Class-Eleganz an den Tag legte, die sie in den düsteren Kellerräumen des Cavern sicherlich niemals zu sehen erwartet hätten. Als er sie fragte, ob sie daran interessiert seien, dass er sich um ihre Angelegenheiten kümmere, kam die Band überein, über sein Angebot nachzudenken. Seit Alan Williams ihnen die Engagements in Hamburg verschafft hatte, gab es niemanden mehr, der für sie arbeitete. Mona Best organisierte gelegentlich ein paar Auftritte für sie, aber sie war kaum als echte Managerin zu bezeichnen. Jim McCartney äußerte Bedenken, dass Brian die Band vielleicht irgendwie ausnutzen wolle, doch das störte die Beatles ebenso wenig wie die Erkenntnis, dass Brian schwul war. Sie interessierte es vielmehr, dass er Geld und gute Verbindungen hatte und dass er ihnen dabei helfen wollte, berühmt zu werden.

      Schließlich erklärten sie sich bereit, einen Vertrag mit Brian zu unterschreiben (ein vorgefertigtes Dokument, das Brian auf Makins Vorschlag hin in einem Schreibwarenladen gekauft hatte), und vereinbarten einen Termin nach einer ihrer Mittagssessions im Cavern. Sie alle erschienen pünktlich, nur Paul fehlte. Die Minuten vergingen. Brian wurde langsam nervös. Schließlich röteten sich seine Wangen. Wo blieb Paul? Ein Telefonanruf klärte es: Er war nach Hause gefahren, um zu baden.

      „Er wird viel zu spät kommen!“, regte sich Brian auf.

      George zuckte die Achseln. „Aber dann sehr sauber.“

      Es erscheint seltsam, dass Paul den ganzen Weg zur Forthlin Road gemacht haben soll, die weit außerhalb des Stadtzentrums lag, um dann wenig später die achtzehn Kilometer zurückzufahren. Tony Barrow, der bald die Presseabteilung von NEMS übernahm, hält Pauls Verspätung für reine Strategie. „Er wollte sich einen dramatischen Auftritt verschaffen und nach Divenart als Letzter hereinrauschen.“96 Pauls Motive offenbarten sich in einer geflüsterten Unterhaltung, von der Brian Epstein Barrow wenig später berichtete (und die Brians Assistent Alistair Taylor, der bei dem Treffen ebenfalls zugegen war, ihm bei anderer Gelegenheit ebenfalls schilderte). „Paul nahm Brian beiseite und sagte ihm: ‚Ob diese Band es schaffen wird oder nicht, ich werde jedenfalls ein großer Star‘“, berichtet Barrow. „Er sagte: ‚Die Band ist toll, und wenn wir es alle zusammen schaffen, dann ist das super. Aber wenn nicht, dann werde ich trotzdem ein Star. Nicht wahr, Brian?‘ Und er bekam Brian mehr oder weniger dazu, dass er ihm zustimmte.“

      Epstein ging an die Arbeit und nutzte seinen Einfluss als größter Schallplattenhändler der Region, um der Gruppe einen Vorspieltermin bei Decca Records in den Londoner Studios des Unternehmens zu organisieren. Die Session wurde für den 1. Januar 1962 frühmorgens angesetzt, und die Beatles waren überglücklich. Aber dieser entscheidende Schritt nach vorn war von einer Reihe neuer Direktiven ihres Managers begleitet. Sie sollten auf der Bühne nicht rauchen, nicht trinken, nicht essen und kein Kaugummi kauen. Und sie sollten auch nicht mehr in ungewaschenen Lederklamotten und in schwarzen T-Shirts erscheinen. Es war an der Zeit,

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